Schutzheiliger des Underground
Wolfgang Farkas im Gespräch mit Jürgen König · 18.08.2010
Dass Cohen sich in seiner Literatur selbst zum Gegenstand seines Spottes macht, darin sieht sein deutscher Verleger Wolfgang Farkas die Größe des Altmeisters des American Songwriting.
Jürgen König: Leonard Cohen ist als Sänger und Songwriter weltberühmt. Weniger bekannt ist, dass er auch Schriftsteller ist. Er begann seine Karriere als Lyriker. 1956 erschien sein erster Gedichtband. Parallel zu seiner Karriere als Sänger und Songschreiber veröffentlichte er dann elf Bücher, Gedichte, Epigramme, Sprüche, Kurzprosa, Geschichten und auch ein autobiografischer Roman, "Das Lieblingsspiel" aus dem Jahr 1963.
Den großen Musiker Leonard Cohen wird gleich Uwe Wohlmacher feiern, zu einem Gespräch über den Schriftsteller – vor allem über den Lyriker Leonard Cohen – begrüße ich seinen deutschen Verleger Wolfgang Farkas vom Blumenbar Verlag. Herr Farkas, schön, dass Sie da sind.
Wolfgang Farkas: Ja.
König: Sie haben gerade die dritte Auflage eines Leonard-Cohen-Buches von 2006 auf Deutsch herausgebracht: "Buch der Sehnsüchte" heißt es. Welche Sehnsüchte sind es denn, die Leonard Cohen umtreiben?
Farkas: Ja, es ist ganz stark die Sehnsucht nach Erleuchtung. Erstaunlicherweise, der Kontext, in dem diese Gedichte entstanden sind, das war ein paar Jahre, die Leonard Cohen in einem Zenkloster in der Nähe von San Francisco verbracht hat. Und er hat da eine Zeit lang ein ganz anderes Leben versucht und Erleuchtung jetzt durchaus ernst genommen im Sinne von "Gelingt es mir, über den Ausstieg aus dem klassischen, zivilisatorischen Leben und über Meditation eine andere Art von Weisheit zu finden, die ich vielleicht als Musiker und Dichter nicht gefunden habe?" Das ist auf jeden Fall ein Strang in dem Buch, also die Sehnsucht, sich so von den alltäglichen, irdischen Dingen zu befreien.
König: Aber die Sehnsucht nach Frauen und Zigaretten spielt schon auch eine Rolle?
Farkas: Die spielt auch eine Rolle, und das macht auch den Charme und den Witz dieser Gedichte aus, dass dieses hochtrabende Spirituelle gebrochen wird mit den ganz banalen Wünschen, die mit Frauen zu tun haben, mit Zigaretten, mit dem Zenmeister einen trinken zu gehen. Also Cohen macht sich auch über diesen Versuch lustig, und er hat auch eine Art von Selbstironie, eben so diese Phase zu beschreiben, die aber gleichzeitig auch dann eine Reflexion über sein sonstiges Leben ist, und insofern auch den anderen Cohen oder den bisherigen Cohen, den man so kennt, auch mit enthält.
Aber es ist eben so ein Versuch, und er scheitert auf eine Art, aber in dem Scheitern scheint dann so etwas auf, dass er vielleicht tatsächlich gar nicht so weit weg ist, von dem, was er ursprünglich gewollt hat.
König: Lassen Sie mich ein Beispiel geben, ein Gedicht aus diesem Band "Buch der Sehnsüchte":
"Immer noch den Mädchen nachschauen – aber da sind keine Mädchen. Wirklich nicht. Da sind nur – das wird dich noch umbringen – innerer Friede und Harmonie, ein Abend im Hotel."
Das fand ich sehr schön, wie er diesen Widerspruch einfängt: Also auf der einen Seite innerer Friede und Harmonie, aber dann eben genau das fürchtet, er wird ihn umbringen und eben nicht die Mädchen, die da sein Verhängnis sein werden. Macht das den Cohen aus, so in diesem Spannungsfeld zu stehen?
Farkas: Absolut, das ist es genau, das ist in ganz vielen ganz kurzen aber auch in den längeren Gedichten, es ist immer so beides. Es gibt dann immer so den anderen Gedanken oder die andere Seite oder auch irgendetwas unfreiwillig Komisches. Er beschreibt in einem Gedicht, wie er sich unter allen möglichen Gewändern zur Morgenmeditation aufmacht, die haben dann auch alle irgendwelche exotischen Namen, aber es ist dann eine Erektion, die es eigentlich verhindert, dass er sich wirklich auf die Meditation vorbereiten kann.
König: Soll ja vorkommen im Leben.
Farkas: Und so, mit diesen Dingen spielt er und hat offensichtlich auch Spaß daran. Und das macht ihn aber auch ganz unmittelbar und irgendwie sympathisch.
König: Noch ein Gedicht: "Der liebeskranke Mönch":
"Hab mir den Schädel rasiert, die Gewänder angezogen, in der Ecke einer Hütte geschlafen, zweitausend Meter hoch in den Bergen, ganz schön abgelegen. Das Einzige, was ich hier nicht brauche, ist ein Kamm."
Da haben wir es wieder. Dabei sind es eigentlich doch die großen Themen, die Leonard Cohen umtreiben, also Männer und Frauen, wie kommen sie zueinander oder eben oft genug auch nicht. Lieben und Sterben, Gott, die Sehnsucht nach einem irgendwie nicht zu beschreibenden Mehr, das man haben möchte. Das sind schon die großen Themen.
Farkas: Das stimmt, und was auch noch wichtig ist, also dieses, es gibt noch etwas anderes, ja. Es gibt Gedichte, die Lachen auslösen, die eine Art Pointe auch haben. Es gibt aber bei Cohen auch immer so einen Zug von einer ganz eigenartig und schwer zu beschreibenden Rätselhaftigkeit, mit der man manchmal vielleicht weniger anfangen kann, aber die manchmal so eine bestimmte Kraft hat, wo man ganz stark spürt: Da ist irgendeine Wahrheit eingefangen.
Es gibt zum Beispiel ein Gedicht über die große Flut, die kommen wird. Und so, wie er das dann auch sprachlich fasst, spürt man da etwas, da hat er so ein bisschen so die klassische Fähigkeit eines Dichters, nämlich die auch des Sehers. Also er hat eine bestimmte innere Vision, die dann in einem bestimmten Moment so was Zeitloses auf eine Gesellschaft auch bezogenes hat. Also er besingt dann auch die Gesellschaft, die eigentlich untergeht, und es ist zu jeder Zeit und auch jetzt, das kann man auf jedes Jahr oder auf jede Zeitphase in einer Gesellschaft anlegen, und es bringt damit etwas zum Schwingen.
Das heißt, also dieser religiöse, spirituelle Zug, über den er sich auch lustig macht, der hat auch eine ernste Facette, nämlich dass er durch genaues Schauen und Wahrnehmen dann zu Sätzen kommt, die einen berühren oder auch umhauen, und wo man merkt: Da erzählt er auch mehr als Männer-Frauen-Geschichten oder Sehnsucht nach Ekstase. Sondern das ist dann etwas, was so, wo man das Gefühl hat, es zielt mitten rein in die Zeit, in der man sich gerade befindet.
König: Leonard Cohen hat mal gesagt, im Grunde seines Herzens würde er sich für einen Sänger halten, an guten Tagen aber, da hält er sich für einen Stilisten. Was unterscheidet den Songschreiber Cohen vom Schriftsteller, vom Dichter Cohen?
Farkas: Es ist eine schwierige Frage. Ich würde erst mal denken, dass es eine Menge Gemeinsamkeiten gibt. Es gibt auch Bilder und bestimmte Zeilen, die genauso in Songs wie in den Gedichten vorkommen, also es ist da schon das Gefühl, es ist eigentlich ein Werk, und mancher Text wird dann zu einem Musikstück und der andere nicht. Gut, die Texte, die gehen teilweise ein bisschen darüber hinaus. Er hat dann einfach auch mehr Raum, zu erzählen, vielleicht auch mal eine Story zu erzählen, die dann für einen Song zu lang wäre.
Ich nehme das so wahr, dass es eigentlich ein Werk ist und dass man es nicht so voneinander trennen kann. Also die Musik und die Gedichte wie auch die beiden Romane, die es gibt, die bilden eigentlich ein so ein Gesamtkunstwerk Cohen.
König: Ihr Verlag, Herr Farkas, der Blumenbar Verlag ist ja eigentlich auf junge, ich würde sagen, auf hippe Literatur spezialisiert. Dennoch haben Sie sich auf einen der Altmeister des American Songwriting eingelassen, nämlich Leonard Cohen, drei Bücher von ihm veröffentlicht. Erreichen Sie damit ein junges Publikum?
Farkas: Auch. Also ich hoffe es zumindest auch. Es ist klar, es gibt die mit Cohen gealterten Fans, die zu seiner Generation gehören, das ist aber bei Cohen das Erstaunliche, dass er eigentlich von jeder Generation auch neu entdeckt wird. Er ist ja ein bisschen so etwas wie, wie soll man sagen? Er ist so etwas wie ein Schutzheiliger nicht nur der Popkultur, sondern auch des Undergrounds. Zahllose Independent Bands seit den 70er- und frühen 80er-Jahren und auch heute wieder entdecken ihn, beziehen sich auf seine Stücke, interpretieren seine Stücke neu. Das ist ganz seltsam, er scheint eine Kraft zu haben, die durch dieses Schmeichelnde in seinen Songs jemanden berührt, der mit Popkultur vielleicht gar nicht so viel zu tun hat.
König: Und das über die Generationen hinweg, das ist ja das Faszinosum, dass auch bei Konzerten sehr viele junge, mittelalterliche und eben ältliche dabei sind.
Farkas: Und dann gibt es auch so eine subversive Note, die auch in so einem, in einem der berühmten Songs "First We Take Manhattan", da schwingt so etwas seltsam subversiv Politisches auch mit, das gar nicht so eindeutig ist, aber das offensichtlich auch immer wieder eine neue Generation erreicht und anspricht.
König: Kommt in den Gedichten etwas von diesem Subversiven auch herüber, oder auch in den Prosa-Texten oder in seinem autobiografischen Roman? Wir wollen hier über den Schriftsteller Cohen reden.
Farkas: Ja, ja. Bei dem autobiografischen Roman würde ich schon sagen, ja, und insofern haben wir damit ja auch einen Autor verlegt, der zum Zeitpunkt des Entstehens – da war er ja auch gerade mal noch keine dreißig. Und das ist so ein, das war zu der Zeit auch ein bisschen so ein Skandalbuch, weil er für heutige Verhältnisse zwar gar nicht so besonders explizit, aber doch offen auch über eine sexuelle Sehnsucht spricht und alle möglichen Affären auch beschreibt.
Ich finde schon, dass da auch eine Radikalität drinsteckt. Weil das ist jemand, der auf die Welt losgelassen wird, aus einer jüdischen Familie stammend, durch Pubertät verwirrt, von der kommunistischen Partei kurzzeitig auch angelockt, und da aber dann doch eher von den attraktiven Frauen angezogen als von dem Parteiprogramm. Und mit dessen Blick dann eigentlich die Welt so grundsätzlich betrachtet und auch auseinandergenommen wird.
Also das hat mir sehr gut bei der Lektüre gefallen, dass er einem die Augen öffnet, dass man eigentlich alles, was es so gibt, wie die Gesellschaft funktioniert, wie ein Alltag aussieht – das wird nicht akzeptiert erst mal, sondern er hinterfragt es oder will da auch ausbrechen und weiß auch selber noch gar nicht, was er mit seinem Leben machen soll. Das ist erst mal alles auch ungerichtet, und es ist alles offen und es ist alles möglich.
König: Was macht für Sie, Herr Farkas, alles zusammengenommen, die Größe Leonard Cohens aus?
Farkas: Ja, die Größe macht aus, dass es ein ernsthafter Dichter und Songschreiber ist, der in seiner ernsthaften Suche nach dem, worum es im Leben geht, ganz großen und speziellen Witz entfaltet. Und diesen Witz nicht nur auf das ihn Umgebende richtet, sondern ihn auch auf sich selbst bezieht, und sich dadurch, ja, sich praktisch selbst zum Gegenstand seines Spottes auch macht. Und das macht ihn auf eine ganz angenehme Art menschlich.
König: Vielen Dank, immer noch den Mädchen nachschauend – zur Poesie Leonard Cohens ein Gespräch mit seinem deutschen Verleger Wolfgang Farkas vom Blumenbar Verlag. Dort sind von Leonard Cohen auf Deutsch erschienen: das "Buch der Sehnsüchte", von dem jetzt viel die Rede war, sowie die Bücher "The Twins" und der autobiografische Roman "Das Lieblingsspiel". Herr Farkas, ich danke Ihnen!
Bücher von Leonhard Cohen beim Blumenbar Verlag
Den großen Musiker Leonard Cohen wird gleich Uwe Wohlmacher feiern, zu einem Gespräch über den Schriftsteller – vor allem über den Lyriker Leonard Cohen – begrüße ich seinen deutschen Verleger Wolfgang Farkas vom Blumenbar Verlag. Herr Farkas, schön, dass Sie da sind.
Wolfgang Farkas: Ja.
König: Sie haben gerade die dritte Auflage eines Leonard-Cohen-Buches von 2006 auf Deutsch herausgebracht: "Buch der Sehnsüchte" heißt es. Welche Sehnsüchte sind es denn, die Leonard Cohen umtreiben?
Farkas: Ja, es ist ganz stark die Sehnsucht nach Erleuchtung. Erstaunlicherweise, der Kontext, in dem diese Gedichte entstanden sind, das war ein paar Jahre, die Leonard Cohen in einem Zenkloster in der Nähe von San Francisco verbracht hat. Und er hat da eine Zeit lang ein ganz anderes Leben versucht und Erleuchtung jetzt durchaus ernst genommen im Sinne von "Gelingt es mir, über den Ausstieg aus dem klassischen, zivilisatorischen Leben und über Meditation eine andere Art von Weisheit zu finden, die ich vielleicht als Musiker und Dichter nicht gefunden habe?" Das ist auf jeden Fall ein Strang in dem Buch, also die Sehnsucht, sich so von den alltäglichen, irdischen Dingen zu befreien.
König: Aber die Sehnsucht nach Frauen und Zigaretten spielt schon auch eine Rolle?
Farkas: Die spielt auch eine Rolle, und das macht auch den Charme und den Witz dieser Gedichte aus, dass dieses hochtrabende Spirituelle gebrochen wird mit den ganz banalen Wünschen, die mit Frauen zu tun haben, mit Zigaretten, mit dem Zenmeister einen trinken zu gehen. Also Cohen macht sich auch über diesen Versuch lustig, und er hat auch eine Art von Selbstironie, eben so diese Phase zu beschreiben, die aber gleichzeitig auch dann eine Reflexion über sein sonstiges Leben ist, und insofern auch den anderen Cohen oder den bisherigen Cohen, den man so kennt, auch mit enthält.
Aber es ist eben so ein Versuch, und er scheitert auf eine Art, aber in dem Scheitern scheint dann so etwas auf, dass er vielleicht tatsächlich gar nicht so weit weg ist, von dem, was er ursprünglich gewollt hat.
König: Lassen Sie mich ein Beispiel geben, ein Gedicht aus diesem Band "Buch der Sehnsüchte":
"Immer noch den Mädchen nachschauen – aber da sind keine Mädchen. Wirklich nicht. Da sind nur – das wird dich noch umbringen – innerer Friede und Harmonie, ein Abend im Hotel."
Das fand ich sehr schön, wie er diesen Widerspruch einfängt: Also auf der einen Seite innerer Friede und Harmonie, aber dann eben genau das fürchtet, er wird ihn umbringen und eben nicht die Mädchen, die da sein Verhängnis sein werden. Macht das den Cohen aus, so in diesem Spannungsfeld zu stehen?
Farkas: Absolut, das ist es genau, das ist in ganz vielen ganz kurzen aber auch in den längeren Gedichten, es ist immer so beides. Es gibt dann immer so den anderen Gedanken oder die andere Seite oder auch irgendetwas unfreiwillig Komisches. Er beschreibt in einem Gedicht, wie er sich unter allen möglichen Gewändern zur Morgenmeditation aufmacht, die haben dann auch alle irgendwelche exotischen Namen, aber es ist dann eine Erektion, die es eigentlich verhindert, dass er sich wirklich auf die Meditation vorbereiten kann.
König: Soll ja vorkommen im Leben.
Farkas: Und so, mit diesen Dingen spielt er und hat offensichtlich auch Spaß daran. Und das macht ihn aber auch ganz unmittelbar und irgendwie sympathisch.
König: Noch ein Gedicht: "Der liebeskranke Mönch":
"Hab mir den Schädel rasiert, die Gewänder angezogen, in der Ecke einer Hütte geschlafen, zweitausend Meter hoch in den Bergen, ganz schön abgelegen. Das Einzige, was ich hier nicht brauche, ist ein Kamm."
Da haben wir es wieder. Dabei sind es eigentlich doch die großen Themen, die Leonard Cohen umtreiben, also Männer und Frauen, wie kommen sie zueinander oder eben oft genug auch nicht. Lieben und Sterben, Gott, die Sehnsucht nach einem irgendwie nicht zu beschreibenden Mehr, das man haben möchte. Das sind schon die großen Themen.
Farkas: Das stimmt, und was auch noch wichtig ist, also dieses, es gibt noch etwas anderes, ja. Es gibt Gedichte, die Lachen auslösen, die eine Art Pointe auch haben. Es gibt aber bei Cohen auch immer so einen Zug von einer ganz eigenartig und schwer zu beschreibenden Rätselhaftigkeit, mit der man manchmal vielleicht weniger anfangen kann, aber die manchmal so eine bestimmte Kraft hat, wo man ganz stark spürt: Da ist irgendeine Wahrheit eingefangen.
Es gibt zum Beispiel ein Gedicht über die große Flut, die kommen wird. Und so, wie er das dann auch sprachlich fasst, spürt man da etwas, da hat er so ein bisschen so die klassische Fähigkeit eines Dichters, nämlich die auch des Sehers. Also er hat eine bestimmte innere Vision, die dann in einem bestimmten Moment so was Zeitloses auf eine Gesellschaft auch bezogenes hat. Also er besingt dann auch die Gesellschaft, die eigentlich untergeht, und es ist zu jeder Zeit und auch jetzt, das kann man auf jedes Jahr oder auf jede Zeitphase in einer Gesellschaft anlegen, und es bringt damit etwas zum Schwingen.
Das heißt, also dieser religiöse, spirituelle Zug, über den er sich auch lustig macht, der hat auch eine ernste Facette, nämlich dass er durch genaues Schauen und Wahrnehmen dann zu Sätzen kommt, die einen berühren oder auch umhauen, und wo man merkt: Da erzählt er auch mehr als Männer-Frauen-Geschichten oder Sehnsucht nach Ekstase. Sondern das ist dann etwas, was so, wo man das Gefühl hat, es zielt mitten rein in die Zeit, in der man sich gerade befindet.
König: Leonard Cohen hat mal gesagt, im Grunde seines Herzens würde er sich für einen Sänger halten, an guten Tagen aber, da hält er sich für einen Stilisten. Was unterscheidet den Songschreiber Cohen vom Schriftsteller, vom Dichter Cohen?
Farkas: Es ist eine schwierige Frage. Ich würde erst mal denken, dass es eine Menge Gemeinsamkeiten gibt. Es gibt auch Bilder und bestimmte Zeilen, die genauso in Songs wie in den Gedichten vorkommen, also es ist da schon das Gefühl, es ist eigentlich ein Werk, und mancher Text wird dann zu einem Musikstück und der andere nicht. Gut, die Texte, die gehen teilweise ein bisschen darüber hinaus. Er hat dann einfach auch mehr Raum, zu erzählen, vielleicht auch mal eine Story zu erzählen, die dann für einen Song zu lang wäre.
Ich nehme das so wahr, dass es eigentlich ein Werk ist und dass man es nicht so voneinander trennen kann. Also die Musik und die Gedichte wie auch die beiden Romane, die es gibt, die bilden eigentlich ein so ein Gesamtkunstwerk Cohen.
König: Ihr Verlag, Herr Farkas, der Blumenbar Verlag ist ja eigentlich auf junge, ich würde sagen, auf hippe Literatur spezialisiert. Dennoch haben Sie sich auf einen der Altmeister des American Songwriting eingelassen, nämlich Leonard Cohen, drei Bücher von ihm veröffentlicht. Erreichen Sie damit ein junges Publikum?
Farkas: Auch. Also ich hoffe es zumindest auch. Es ist klar, es gibt die mit Cohen gealterten Fans, die zu seiner Generation gehören, das ist aber bei Cohen das Erstaunliche, dass er eigentlich von jeder Generation auch neu entdeckt wird. Er ist ja ein bisschen so etwas wie, wie soll man sagen? Er ist so etwas wie ein Schutzheiliger nicht nur der Popkultur, sondern auch des Undergrounds. Zahllose Independent Bands seit den 70er- und frühen 80er-Jahren und auch heute wieder entdecken ihn, beziehen sich auf seine Stücke, interpretieren seine Stücke neu. Das ist ganz seltsam, er scheint eine Kraft zu haben, die durch dieses Schmeichelnde in seinen Songs jemanden berührt, der mit Popkultur vielleicht gar nicht so viel zu tun hat.
König: Und das über die Generationen hinweg, das ist ja das Faszinosum, dass auch bei Konzerten sehr viele junge, mittelalterliche und eben ältliche dabei sind.
Farkas: Und dann gibt es auch so eine subversive Note, die auch in so einem, in einem der berühmten Songs "First We Take Manhattan", da schwingt so etwas seltsam subversiv Politisches auch mit, das gar nicht so eindeutig ist, aber das offensichtlich auch immer wieder eine neue Generation erreicht und anspricht.
König: Kommt in den Gedichten etwas von diesem Subversiven auch herüber, oder auch in den Prosa-Texten oder in seinem autobiografischen Roman? Wir wollen hier über den Schriftsteller Cohen reden.
Farkas: Ja, ja. Bei dem autobiografischen Roman würde ich schon sagen, ja, und insofern haben wir damit ja auch einen Autor verlegt, der zum Zeitpunkt des Entstehens – da war er ja auch gerade mal noch keine dreißig. Und das ist so ein, das war zu der Zeit auch ein bisschen so ein Skandalbuch, weil er für heutige Verhältnisse zwar gar nicht so besonders explizit, aber doch offen auch über eine sexuelle Sehnsucht spricht und alle möglichen Affären auch beschreibt.
Ich finde schon, dass da auch eine Radikalität drinsteckt. Weil das ist jemand, der auf die Welt losgelassen wird, aus einer jüdischen Familie stammend, durch Pubertät verwirrt, von der kommunistischen Partei kurzzeitig auch angelockt, und da aber dann doch eher von den attraktiven Frauen angezogen als von dem Parteiprogramm. Und mit dessen Blick dann eigentlich die Welt so grundsätzlich betrachtet und auch auseinandergenommen wird.
Also das hat mir sehr gut bei der Lektüre gefallen, dass er einem die Augen öffnet, dass man eigentlich alles, was es so gibt, wie die Gesellschaft funktioniert, wie ein Alltag aussieht – das wird nicht akzeptiert erst mal, sondern er hinterfragt es oder will da auch ausbrechen und weiß auch selber noch gar nicht, was er mit seinem Leben machen soll. Das ist erst mal alles auch ungerichtet, und es ist alles offen und es ist alles möglich.
König: Was macht für Sie, Herr Farkas, alles zusammengenommen, die Größe Leonard Cohens aus?
Farkas: Ja, die Größe macht aus, dass es ein ernsthafter Dichter und Songschreiber ist, der in seiner ernsthaften Suche nach dem, worum es im Leben geht, ganz großen und speziellen Witz entfaltet. Und diesen Witz nicht nur auf das ihn Umgebende richtet, sondern ihn auch auf sich selbst bezieht, und sich dadurch, ja, sich praktisch selbst zum Gegenstand seines Spottes auch macht. Und das macht ihn auf eine ganz angenehme Art menschlich.
König: Vielen Dank, immer noch den Mädchen nachschauend – zur Poesie Leonard Cohens ein Gespräch mit seinem deutschen Verleger Wolfgang Farkas vom Blumenbar Verlag. Dort sind von Leonard Cohen auf Deutsch erschienen: das "Buch der Sehnsüchte", von dem jetzt viel die Rede war, sowie die Bücher "The Twins" und der autobiografische Roman "Das Lieblingsspiel". Herr Farkas, ich danke Ihnen!
Bücher von Leonhard Cohen beim Blumenbar Verlag