Schusswaffen als Fetisch
Der Journalist Dan Baum macht sich auf, um die Beweggründe für die Faszination von Waffen in den USA zu ergründen. Der Autor schont auch sich selbst nicht - immerhin ist auch er einer der "Gun Guys", der amerikanischen Waffennarren. Das ist erhellend, doch am Ende lässt das Buch den Leser hilflos zurück.
Was würde wohl geschehen, wenn Millionen von Amerikanern ihre Waffen abgeben sollten? Das fragt Dan Baum einen Mann, den er auf einem Schießstand trifft. Der ist belesen und zieht die griechischen Geschichtsschreiber Plutarch und Herodot heran.
Sie berichten, wie der persische Großkönig Xerxes an der Spitze eines übermächtigen Heeres den Feldherrn der Spartaner auffordert, seinen Speer niederzulegen. Leonidas Antwort wurde zum geflügelten Wort: "Molon labe – Komm und hol ihn dir!"
Es ist ein windschiefer Vergleich. Denn die USA befinden sich - anders als die Griechen im Jahre 480 vor unserer Zeitrechnung - nicht im Kampf gegen Invasoren. Die Antwort des wehrhaften Sportschützen spiegelt vielmehr ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat wieder, gegenüber der Politik im fernen Washington.
Baum rückt diesen Vergleich nicht gerade. Er ist Reporter. Und wie die antiken Historiker erzählt er Geschichten. Und weil er kein Analytiker ist, tut er das, was jeder gute Reporter versucht, der sich einem Thema nähert: Er sucht in Details Erklärungen für das große Ganze.
Also begibt er sich auf eine Reise, um den 60 Prozent aller Amerikaner, die keine Waffe besitzen, jene gar nicht so kleine Minderheit vorzustellen, die unbedingt bewaffnet sein will. 15.000 Meilen kreuz- und quer durch Amerika fährt er, um "Gun Guys" zu treffen, darunter Biff, den Besitzer eines Waffenladens, der, heftig erregt, schweres Kaliber auffährt – natürlich nur mit Worten.
"'Warum hassen die Liberalen Waffen?', schrie er, 'Sie glauben einfach nicht an die persönliche Verantwortung. Und weil sie meinen, die Regierung solle auf alles aufpassen.' Er schob sein Gesicht über den Tresen wie ein bellender Hund. 'Diese Liberalen denken, dass alles perfektioniert werden kann, dass jeder gut ist. Ich glaube das nicht. Es gibt Böses in dieser Welt.'"
So wie diese, stecken viele Rechtfertigungen der Waffenfreunde voller Widersprüche, mit denen sie vielleicht einen unbewussten, einen emotionalen Grund rational aufzuwerten versuchen.
Dan Baum hat dafür einen Zeugen, den er in- und auswendig kennt. Er beginnt seine Reise bei sich selbst, weil auch er ein "Gun Guy" ist, der sich dem Leser als ein Scout anbietet - einer, dem man gut und gerne vertrauen kann.
Er beschreibt sich selbst als einen liberalen Juden von der Ostküste. Lange schrieb er für den "New Yorker". Er zählt zur kleinen Elite des amerikanischen Reportage-Journalismus. Ein aufgeklärter Mann also, dem allerhand kritischer Verstand zuzutrauen ist - einer, der ganz bestimmt nicht dem Klischee vom wild um sich feuernden Hillbilly entspricht.
Dass er zur Waffe kam, war eine Initiation. Als Junge wurde er von seinen Freunden als zu schwach für American Football befunden. In den Ferien hielt er zum ersten Mal ein Gewehr in den Händen. Er schoss und traf.
"War das mein ganz persönlicher Big Bang? War ich deshalb so sehr von Waffen fasziniert, weil ich genau in dem Augenblick herausfand, dass ich ein guter Schütze bin, als ich erstmals das Gefühl hatte, nicht männlich genug zu sein?"
Nein, dieser Dan Baum ist ganz sicher kein schreibender Lobbyist der Waffenlobby, der "National Rifle Association". Unter anderen Umständen, so Baum, wäre er vermutlich kein Waffennarr geworden, sondern hätte sich auf E-Gitarren oder Kameras gestürzt. Auf Männerspielzeug halt.
"Barbie für Männer" - so hat er ein Kapitel überschrieben. Und rasch erkennen wir, was das Arsenal an Schusswaffen, das er hortet, für ihn ist: Es ist ein Fetisch. Davon fällt Trennung schwer. Und darum hat er viel Verständnis für seine "Gun Guys".
Dem Leser will er klarmachen, dass nicht jeder von ihnen ein potenzieller Killer ist. Sich selbst verschafft er zugleich ein besseres Gewissen - warum sonst sieht er sich durch die Arbeit am Buch ermahnt, welch große Verantwortung er als Waffenbesitzer habe?
Andererseits wirbt er um Verständnis: wer könne einem Mann, der ausgeraubt wurde, schon verwehren, dass er sich eine Waffe zulegt? Der Staat, dies bleibt unausgesprochen, bestimmt nicht.
Doch dann kommt der einfühlsame Reporter an einen bemerkenswerten Punkt: Er begreift eine Gruppe von Waffenfreunden nicht. Er begegnet ihnen in Cincinnati, bei den Nachfahren deutscher Einwanderer, auf einem Schützenfest. Und er ist beeindruckt, wie detailversessen ein Adler vom Schreiner gefertigt wurde, nur um diese eindrucksvolle Handwerkskunst anschließend mit Hunderten von Patronen zu zerschießen.
Der Brauch, so wird ihm erzählt, ginge auf einen Jäger zurück, der einen Adler mit einem Schuss erlegt haben soll, als dieser ein Baby rauben wollte. Doch Baum misstraut der Legende.
"Es war mir ein Rätsel, warum diese Geschichte, an deren Helden und an deren Datum sich niemand mehr erinnern konnte, der Anlass für ein jährliches Fest in der deutschsprachigen Welt gewesen sein sollte... Ich glaube eher, dass ein paar Typen einfach gern ein paar Sachen auseinander ballern, und sie brauchten eben ein bisschen Folklore, um die Erlaubnis der Ehefrau zu bekommen. Die Geschichte mit dem geretteten Baby war da nur eine nette Zugabe."
"Gun Guys" ist ein Panoptikum, eine Welt, die uns und wohl auch manchem Amerikaner fremd sein dürfte. Der Reporter hat sie mit seiner Reise zu sich selbst und zu anderen Waffenbesitzern ein wenig erhellt.
Seine Sympathie geht nicht soweit, dass er die Schattenseite, die Opfer von Gewalt ignorieren würde. Und doch wirkt es naiv, wenn er am Ende des Buches nicht anderes zu sagen hat, als dass man mit Pistolen und Gewehren verantwortungsvoll umgehen möge.
Letztlich zeigt sein Appell, wie gefangen - teils hilflos, teils tief überzeugt - Dan Baum in seiner Leidenschaft ist. Und Millionen andere mit ihm.
Sie berichten, wie der persische Großkönig Xerxes an der Spitze eines übermächtigen Heeres den Feldherrn der Spartaner auffordert, seinen Speer niederzulegen. Leonidas Antwort wurde zum geflügelten Wort: "Molon labe – Komm und hol ihn dir!"
Es ist ein windschiefer Vergleich. Denn die USA befinden sich - anders als die Griechen im Jahre 480 vor unserer Zeitrechnung - nicht im Kampf gegen Invasoren. Die Antwort des wehrhaften Sportschützen spiegelt vielmehr ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat wieder, gegenüber der Politik im fernen Washington.
Baum rückt diesen Vergleich nicht gerade. Er ist Reporter. Und wie die antiken Historiker erzählt er Geschichten. Und weil er kein Analytiker ist, tut er das, was jeder gute Reporter versucht, der sich einem Thema nähert: Er sucht in Details Erklärungen für das große Ganze.
Also begibt er sich auf eine Reise, um den 60 Prozent aller Amerikaner, die keine Waffe besitzen, jene gar nicht so kleine Minderheit vorzustellen, die unbedingt bewaffnet sein will. 15.000 Meilen kreuz- und quer durch Amerika fährt er, um "Gun Guys" zu treffen, darunter Biff, den Besitzer eines Waffenladens, der, heftig erregt, schweres Kaliber auffährt – natürlich nur mit Worten.
"'Warum hassen die Liberalen Waffen?', schrie er, 'Sie glauben einfach nicht an die persönliche Verantwortung. Und weil sie meinen, die Regierung solle auf alles aufpassen.' Er schob sein Gesicht über den Tresen wie ein bellender Hund. 'Diese Liberalen denken, dass alles perfektioniert werden kann, dass jeder gut ist. Ich glaube das nicht. Es gibt Böses in dieser Welt.'"
So wie diese, stecken viele Rechtfertigungen der Waffenfreunde voller Widersprüche, mit denen sie vielleicht einen unbewussten, einen emotionalen Grund rational aufzuwerten versuchen.
Dan Baum hat dafür einen Zeugen, den er in- und auswendig kennt. Er beginnt seine Reise bei sich selbst, weil auch er ein "Gun Guy" ist, der sich dem Leser als ein Scout anbietet - einer, dem man gut und gerne vertrauen kann.
Er beschreibt sich selbst als einen liberalen Juden von der Ostküste. Lange schrieb er für den "New Yorker". Er zählt zur kleinen Elite des amerikanischen Reportage-Journalismus. Ein aufgeklärter Mann also, dem allerhand kritischer Verstand zuzutrauen ist - einer, der ganz bestimmt nicht dem Klischee vom wild um sich feuernden Hillbilly entspricht.
Dass er zur Waffe kam, war eine Initiation. Als Junge wurde er von seinen Freunden als zu schwach für American Football befunden. In den Ferien hielt er zum ersten Mal ein Gewehr in den Händen. Er schoss und traf.
"War das mein ganz persönlicher Big Bang? War ich deshalb so sehr von Waffen fasziniert, weil ich genau in dem Augenblick herausfand, dass ich ein guter Schütze bin, als ich erstmals das Gefühl hatte, nicht männlich genug zu sein?"
Nein, dieser Dan Baum ist ganz sicher kein schreibender Lobbyist der Waffenlobby, der "National Rifle Association". Unter anderen Umständen, so Baum, wäre er vermutlich kein Waffennarr geworden, sondern hätte sich auf E-Gitarren oder Kameras gestürzt. Auf Männerspielzeug halt.
"Barbie für Männer" - so hat er ein Kapitel überschrieben. Und rasch erkennen wir, was das Arsenal an Schusswaffen, das er hortet, für ihn ist: Es ist ein Fetisch. Davon fällt Trennung schwer. Und darum hat er viel Verständnis für seine "Gun Guys".
Dem Leser will er klarmachen, dass nicht jeder von ihnen ein potenzieller Killer ist. Sich selbst verschafft er zugleich ein besseres Gewissen - warum sonst sieht er sich durch die Arbeit am Buch ermahnt, welch große Verantwortung er als Waffenbesitzer habe?
Andererseits wirbt er um Verständnis: wer könne einem Mann, der ausgeraubt wurde, schon verwehren, dass er sich eine Waffe zulegt? Der Staat, dies bleibt unausgesprochen, bestimmt nicht.
Doch dann kommt der einfühlsame Reporter an einen bemerkenswerten Punkt: Er begreift eine Gruppe von Waffenfreunden nicht. Er begegnet ihnen in Cincinnati, bei den Nachfahren deutscher Einwanderer, auf einem Schützenfest. Und er ist beeindruckt, wie detailversessen ein Adler vom Schreiner gefertigt wurde, nur um diese eindrucksvolle Handwerkskunst anschließend mit Hunderten von Patronen zu zerschießen.
Der Brauch, so wird ihm erzählt, ginge auf einen Jäger zurück, der einen Adler mit einem Schuss erlegt haben soll, als dieser ein Baby rauben wollte. Doch Baum misstraut der Legende.
"Es war mir ein Rätsel, warum diese Geschichte, an deren Helden und an deren Datum sich niemand mehr erinnern konnte, der Anlass für ein jährliches Fest in der deutschsprachigen Welt gewesen sein sollte... Ich glaube eher, dass ein paar Typen einfach gern ein paar Sachen auseinander ballern, und sie brauchten eben ein bisschen Folklore, um die Erlaubnis der Ehefrau zu bekommen. Die Geschichte mit dem geretteten Baby war da nur eine nette Zugabe."
"Gun Guys" ist ein Panoptikum, eine Welt, die uns und wohl auch manchem Amerikaner fremd sein dürfte. Der Reporter hat sie mit seiner Reise zu sich selbst und zu anderen Waffenbesitzern ein wenig erhellt.
Seine Sympathie geht nicht soweit, dass er die Schattenseite, die Opfer von Gewalt ignorieren würde. Und doch wirkt es naiv, wenn er am Ende des Buches nicht anderes zu sagen hat, als dass man mit Pistolen und Gewehren verantwortungsvoll umgehen möge.
Letztlich zeigt sein Appell, wie gefangen - teils hilflos, teils tief überzeugt - Dan Baum in seiner Leidenschaft ist. Und Millionen andere mit ihm.
Dan Baum: Gun Guys. A Road Trip
Verlag Alfred A. Knopf, New York 2013
352 Seiten, 15,85 Dollar
Verlag Alfred A. Knopf, New York 2013
352 Seiten, 15,85 Dollar