Schule und Medienbildung

"Man denkt, es reicht, wenn alle einen Laptop haben"

Zwei Schüler sitzen in einer Grundschule in Dresden an einem Laptop.
Mediennutzungskompetenz statt Medienkompetenz werde in der Schule vermittelt, meint Simanowski. © dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert
Roberto Simanowski im Gespräch mit Frank Meyer · 24.04.2018
Die Medienbildung in der Schule sei "skandalös", sagt der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski. Anstatt Kompetenz zu vermitteln, werde den Schülern nur erklärt, wie man eine App öffne oder die Privateinstellungen bei Facebook ändere.
Frank Meyer: Der Facebook-Chef Mark Zuckerberg, das könnte der nächste Präsident der USA werden. Das ist einer der Gedanken, mit denen der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski spielt in seinem Buch "Stumme Medien: Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft". Roberto Simanowski ist Professor an der Universität Basel, er hat auch schon ein Buch mit dem Titel "Facebook-Gesellschaft" geschrieben, ein anderes über die Liebe zu den Daten, "Data Love", und weitere Bücher über die digitale Gesellschaft. Und jetzt ist er hier bei uns im Studio, seien Sie willkommen, Herr Simanowski!
Roberto Simanowski: Guten Morgen, Herr Meyer!
Meyer: Sie stellen es ja so dar in einem neuen Buch, als wäre das gar nicht so unwahrscheinlich, dass der nächste Präsidentschaftskandidat zumindest Mark Zuckerberg heißen könnte. Warum denn?
Simanowski: Ja, gut, nach den Hearings, die wir jetzt hatten, nach dem Skandal, glaube ich, ist es weniger, dass er das sein könnte, aber damals dachte ich schon, wer die Medien so beherrscht wie er – und er ist ja näher dran als Trump, Trump musste sie zu Feinden erklären, und Zuckerberg kann sie einfach aushebeln, indem er diesen wichtigen Journalismus in einem Meer von Banalitäten erstickt. Und wer dann auch noch Geld wie Trump eben auch, aber eben nicht die Expertise wie Trump eben auch nicht, der kann aber, wie Trump zeigte, trotzdem Präsident werden, und deswegen habe ich diesen Gedanken mal so hochgesponnen. Aber ich glaube, jetzt sieht es nicht mehr aus, dass seine Ambitionen auf ein politisches Amt irgendwelche Erfolgsaussichten hätten.
Meyer: Dieses Zuckerberg-Spiel ist so was wie eine Klammer rundherum um ihr Buch. Wenn wir erst mal auf den Titel vielleicht schauen, der ist ja ein bisschen rätselhaft: "Stumme Medien: Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft". Wir wissen ja alle, dass Computer im Gegenteil immer mehr vordringen und nicht verschwinden. Warum schreiben Sie da vom Verschwinden?
Simanowski: Weil die Medien die Reden halten, wenn wir nicht über sie reden, oder sagen wir, sie sind stumm, wenn wir nicht über sie reden. Wir sehen sie nicht mehr, wir benutzen sie täglich, und sie sind dann aber eher wie ein Fenster, durch das wir schauen, ohne dass wir das Fenster wahrnehmen. Und wir müssen es aber wahrnehmen, weil die Medien sich zwischen uns und die Realität stellen und uns eben die Realität in ganz besonderer Weise widerspiegeln. Und wenn uns das nicht klar ist, dann, ja, dann geht natürlich ein bestimmtes Bewusstsein verloren, und deswegen müssen wir uns klar werden, wie die Medien unser Verhältnis zur Gesellschaft und zur Wirklichkeit verändern.

Wenn Nachrichten mit Katzenvideos konkurrieren

Meyer: Und das ist sozusagen die Grundfrage in Ihrem Buch jetzt. Wenn wir uns das mal anschauen, vielleicht an einem Beispiel: Unsere Kommunikation über unser Gemeinwesen, über Politik und Gesellschaft, was machen denn auf diesem Feld die Medien mit uns?
Simanowski: Na ja, Sie wissen ja, die politische Meinungsbildung passiert im Grunde auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken. Facebook ist inzwischen die größte Zeitung der Welt, so wird es gesehen, aber es ist natürlich keine Zeitung. Wenn Sie dort politische Nachrichten haben, dann sind die umzingelt von Banalitäten, und so bilden wir uns heute politische Meinung. Statt nuancierte Artikel anzuschauen und uns die Zeit für diese vielleicht etwas komplexeren Beobachtungen zu nehmen, sind wir aus auf spektakuläre Clickbaits, auf das Interessante, das mindestens so interessant sein muss wie dann die Katzenvideos, die berühmten, und in einem solchen Umfeld ist es kompliziert, sich eine nuancierte Meinung zu bilden. Und das ist auch so ein Kommunikationsbedingung, die sehr gut für Fake News und Hassreden, weil man eben dann nicht mehr auf die Aspekte des anderen wirklich eingehen will. Es gibt ja auch gar keine Zeit, darauf einzugehen, man muss immer gleich entscheiden, ob ich das jetzt like oder nicht like.
Meyer: Und sehen Sie das politische Phänomen, über das wir jetzt in den letzten Jahren so intensiv diskutiert haben, der politische Populismus, sehen Sie da eine Verbindung zu diesen Kommunikationsbedingungen in der digitalen Welt?
Simanowski: Ja, auf jeden Fall. Ich benutze ja den Begriff des numerischen Populismus, weil nur noch das interessant ist, populär ist, was viele Views hat, viele Likes hat, und das steht dann immer ganz oben. Und weil es ganz oben steht, wird es auch angeklickt, womit dann diese Position praktisch bestätigt wird und das an Gewicht gewinnt, was schon Gewicht hat, aber nicht unbedingt die Aufmerksamkeit verdienen müsste, inhaltlich gesehen. Und zum politischen Populismus ist dann natürlich der Link auch das dualistische Bewertungsverfahren, dass wir eben nur liken oder disliken und dass wir da auch kaum noch einen Wortkommentar schaffen, uns auch nicht begrifflich klar werden, sondern eher emotional über etwas reagieren, dann eben mit dem Like-Button oder Nicht-Like-Button. Damit wären – auch bei ganz unpolitischen Themen etwa –, damit wird dann eine Mentalität trainiert, die dann durch den politischen Populismus benutzt werden kann.

Die Medienbildung ist eine "Alibiveranstaltung"

Meyer: Das sind die Themen, die Sie in Ihrem ersten großen Kapitel diskutieren in Ihrem Buch "Medien und Gesellschaft", also wo Sie eigentlich vorstellen, was ist eigentlich das Problem, mit dem wir umgehen müssen in Medienbildung. Und über die Art des Umgangs schreiben Sie dann im zweiten und dritten Kapitel – Sie haben auch eine Vorgeschichte als ausgebildeter Lehrer für Deutsch und Geschichte, eben wie gesagt heute Professor für Medienwissenschaft –, zweites Kapitel "Medien und Schule" in Ihrem Buch, wie sieht es denn aus mit der Medienbildung in deutschen Schulen nach Ihren Beobachtungen?
Simanowski: Nach meinen Beobachtungen sieht es skandalös aus. Es gibt eine Medienbildung als Alibiveranstaltung, die darauf zielt beizubringen, wie man Apps öffnet oder wie man vielleicht seine Privateinstellungen bei Facebook ändert, auch natürlich – das ist wichtig – wie man mit Cybermobbing umgeht, und natürlich auch wichtig, dass man nicht illegale Downloads vornimmt, aber es zielt eben nicht darauf, zu diskutieren, wie die Medien eigentlich unsere Gesellschaft verändern und den Umgang. Also die kulturstiftende Funktion der Medien wird nicht zum Thema, und es ist eher so eine Mediennutzungskompetenz, die da entwickelt wird, statt einer philosophisch-reflexiven Medienkompetenz.
Meyer: Und Sie schlagen zum Beispiel vor – Sie haben auch einige praktische Vorschläge –, was man diskutieren könnte mit Schülern, zum Beispiel, Schüler sollten sich ein ideales soziales Netzwerk ausdenken, überlegen. Was würden sie daran lernen, die Schüler?
Simanowski: Na ja, sie müssten ja vergleichen, was ist jetzt und was ist daran vielleicht nicht gut, was würde ich besser machen, und in diesem Falle würden sie über die Medien reden, also über das Interface, über die Möglichkeiten, die sie auf Facebook oder Instagram überhaupt haben, um dort zu posten, und würden darüber nachdenken müssen, was wäre besser, was hätte andere Konsequenzen, was sind eigentlich die Konsequenzen, mit denen ich leben kann, welche möglicherweise nicht. Und in diesem Schreiben darüber und dann natürlich in der Diskussion in der Schulgruppe würde man sich mehr bewusst werden, wie die Medien eben zwischen uns und den anderen stehen und als Medien operieren.

Schüler werden für den Arbeitsmarkt optimiert

Meyer: Sie haben sich auch angesehen, was die maßgeblichen Stellen in unserem Land denn so vorhaben auf diesem Gebiet. Es gibt von der Kultusministerkonferenz ein Strategiepapier aus dem Dezember 2016, das ist das jüngste, ein Strategiepapier zur Medienbildung, und dazu schreiben Sie, dieses Papier gehe von der Tendenz her eher in diese Richtung Mediennutzungskompetenz, also wie wende ich Medien an, statt sich klar zu werden, was die Medien mit uns tun. Also das geht aus Ihrer Sicht in die falsche Richtung.
Simanowski: Ja, ja, ich denke, es geht sehr in die falsche Richtung. Es gibt große Aspekte symbolischer Politik, also die fünf Milliarden, die das Bildungsministerium im Oktober 2016 den Schulen in Deutschland versprochen hat für eine Aufstockung des digitalen Fuhrparks, aber da geht es dann eher um eine Didaktisierung der Lehre. Es geht nicht darum, dass man eine Digitalisierung der Didaktik, sollte ich sagen, darum geht es, es geht nicht darum, dass man über digitalen Medien wirklich redet. Dazu müsste man nämlich die Lehrer erst mal ausbilden, dass sie überhaupt eine Sensibilität dazu entwickeln. Das müsste wiederum in Weiterbildungsinstitutionen geschehen oder überhaupt im Lehrerstudium an den Unis, und da wird überhaupt nichts getan. Man denkt dann, es reicht, wenn alle ein Laptop haben.
Meyer: Was typisch ist für Ihre Bücher, soweit ich sie kenne, Ihre Bücher, dass Sie solche Diskussionen, die wir heute führen, auch in historische Debatten einbetten, die früher geführt wurden und für diese Frage, was sollen Schüler oder Studenten heute eigentlich lernen, was heißt Bildung für uns heute, da ziehen Sie eine Parallele zu einer Bildungsdiskussion, die um das Jahr 1800 herum, grob gesagt, ablief. Was gibt es da für Parallelen?
Simanowski: Man hatte damals unter dem Stichwort "verhältnismäßige Aufklärung" diskutiert, wie aufgeklärt überhaupt der Bürger sein soll oder der Mensch, und dann hat man unterschieden zwischen der Vervollkommnung des Menschen an sich und seiner sozialen oder gesellschaftlichen Brauchbarkeit. Und man hat sich dann dafür entschieden, ihn nicht klüger zu machen, als er sein muss, um seine soziale Funktion zu erfüllen und ein Rädchen im Getriebe der Maschine Gesellschaft zu sein. Das wurde dann vom Humboldt'schen Bildungsideal natürlich verdrängt und eben dann später auch. Also wenn Sie an Adornos "Erziehung zur Mündigkeit" denken, da war das natürlich verpönt, aber wir haben jetzt im Grunde eine Rückkehr zu dieser Art von Pädagogik, die nur darauf zielt, wie man die Schüler für den Arbeitsmarkt optimiert, statt sie jetzt zu allgemein gebildeten und kritischen Bürgern zu entwickeln.

Die Interpretation von Texten bleibt auf der Strecke

Meyer: Ich hab's schon gesagt, Sie gehen aus von "Medien und Gesellschaft", "Medien und Schule" ist das zweite große Thema, "Medien und Universitäten" ist das dritte große Thema in Ihrem Buch, das schließt sich ja logisch an, weil bevor Lehrer mit ihren Schülern Medienbildung betreiben können, müssen sie sich erst mal selbst mit neuen Medien, mit der digitalen Kultur auseinandergesetzt haben. So wie Sie das beschreiben, sind die Voraussetzungen dafür eher schlecht an unseren Universitäten?
Simanowski: Ja, also es gibt schon einen Hype in die Richtung des Digitalen, auch unter dem Begriff der Digital Humanities, der digitalen Geisteswissenschaften, und es gibt einen Quantitative Turn oder einen Computational Turn, aber der zielt dann eher auf die Forschungsmethoden, dass man zum Beispiel Algorithmen einsetzt, um Texte zu untersuchen nach Vorkommen verschiedener Aspekte, aber weniger darauf, dass man in den verschiedenen Disziplinen – in der Kunst, in der Literatur, in der Politik – die digitalen Medien und deren kulturelle gesellschaftliche Konsequenzen zum Thema macht.
Meyer: Und was heißt das, dieser Computational Turn und die anderen Begriffe, die Sie verwendet haben, was heißt das jetzt eigentlich für die gesellschaftliche Rolle der Geisteswissenschaften?
Simanowski: Dass sie eher sich dem Vorbild der Naturwissenschaften etwa, also der harten Wissenschaften angleicht und in Richtung objektives Wissen geht, also dieser Computational Turn, der dann eben bestimmte Aspekte, Korrelationen nachweist und zählt. Es ist eigentlich eine Bewegung weg vom Wort mit seiner ganzen Ambivalenz und Unklarheit hin zur Zahl, die ja objektiver ist. In der Literaturwissenschaft zum Beispiel gibt es dann eben eine Bewegung weg vom Close Reading zum Distant Reading, das heißt, dass Algorithmen digitalisierte Texte anschauen und nach Worthäufigkeiten untersuchen. Dann haben Sie am Ende eben Zahlen, und das sind klare Aussagen über die Texte, und das sind auch interessante Erkenntnisse, die, glaube ich, gewonnen werden. Aber sie üben halt nicht mehr die Interpretation von Texten, und das ist aber das, was wir am Ende bräuchten, um auch dem Populismus entgegenzustehen und dass wir das Gefühl sensibilisieren für Zwischentöne.
Meyer: Also auch an den Universitäten wäre einiges zu tun, nicht nur an den Schulen, für eine andere Medienbildung. Darum geht es in dem Buch "Stumme Medien: Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft". Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski hat das Buch geschrieben, bei Matthes & Seitz ist das erschienen, 300 Seiten ist der Umfang, 24 Euro der Preis. Vielen Dank für das Gespräch!
Simanowski: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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