Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmens-Ästhetiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen: „Theatrum Belli“ (2013), „Himmlischer Glanz“ und „Frau Jedermann“ (2016).
Vorsicht im politischen Sprachgebrauch!

Begriffe wie „rechts“ und „links“ oder auch „Rechtspopulist“, „Neo-Monarchist“ und „Identitär“ sind Schubladen. Vor ihrem Gebrauch warnt der Ökonom Erik von Grawert-May. Denn allzu leicht ersetzten die Schubladen das fundierte Urteil.
Sind wir nicht oft zu voreilig im Gebrauch unserer politischen Terminologie? Wir wissen gleich, dass, wenn jemand beispielsweise AfD wählt, er selbstverständlich zu den Rechtspopulisten gehört, wenn nicht sogar zum äußerst rechten Rand. Dabei bedenken wir nicht, wie schnell wir selber zu Wechselwählern werden können, die sich plötzlich in einem Lager wiederfinden, in das sie nie gehören wollten.
Die Grenzen zwischen den Parteien sind inzwischen so fließend geworden, dass man sich vor sich selbst in acht nehmen muss. Deshalb plädiere ich schon aus Selbstschutz dafür, die uns lieb gewordenen Termini einfach zu unterlassen, weil sie etwas Verunglimpfendes an sich haben.
Stattdessen werbe ich für eine Diskussion, in der der politische Gegner mediatisiert wird. Er kann dann leichter die Fronten wechseln, weil sie sich durch Vermittlung tendenziell aufzulösen beginnen.
Diejenigen, die sich den Namen „Identitäre“ gegeben haben, scheinen mir clevere Kerlchen zu sein. Sie verlassen den parlamentarischen Raum mit seiner Ordnung von „Links“ und „Rechts“ und bringen ihr Anliegen auf den Punkt: Ihnen geht es um die Angst, angesichts von Migrationsproblemen und Globalisierung ihre Identität zu verlieren.
Und wenn ein Mann wie Martin Sellner, österreichischer Vorkämpfer dieser Bewegung, schreibt: Jeder Mensch ist Jahrtausende alt, dann übt das selbst auf mich als Liberalen, der sich bislang für politisch unverführbar hielt, einen verführerischen Reiz aus – als ob ich mich dabei ertappte, in der alteuropäischen Vergangenheit, die da heraufbeschworen wird, Geborgenheit zu suchen.
Die Züchtung eines neuen Menschen?
Nicht unklug finde ich auch jene englischen und vorwiegend amerikanischen Gruppierungen, die sich selbstironisch gleich für Reaktionäre ausgeben, um so ihren potenziellen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie nennen sich „Neo-Reactionaries“. Doch anders als wir hierzulande vermuten würden, fallen für sie Probleme von Globalisierung und Migration nicht so ins Gewicht – die einer Vergangenheit von tausend Jahren schon gar nicht. Vor allem die Vereinigten Staaten sind dafür auch zu jung. Ihre Neuen Reaktionäre schauen dafür lieber in die Zukunft. Das Neue an ihnen ist, dass sie zu neuen Ufern aufbrechen.
Sie wollen den Mars missionieren und die malträtierte Erde gleich ganz hinter sich lassen. Doch dazu bedarf es eines Völkchens von Astronauten, die intensivst trainiert werden müssen, damit sie die lange Reise auch bestehen können. Da bekommt dann das Reaktionäre in der uns vertrauten Terminologie seinen Sinn. Denn das Training kann nur absolvieren, wer sich zuvor einer Prozedur der Züchtung unterworfen hat, die vor genetischen Eingriffen nicht zurückschreckt.
Eine Diktatur ist eine Diktatur, oder etwa nicht?
Daher nennen sich auch Teile von ihnen Transhumanists. Wie bei den europäischen Identitären kann man vom Namen gleich auf das Programm schließen. Das überkommene Humanmaterial reicht ihnen nicht mehr aus. Um ferne Planeten zu besiedeln, braucht es eine Art Übermenschen, der dazu noch auf politische Führungsstrukturen zurückgreift, die an Diktaturen oder Monarchien erinnern. Einer muss dann wohl das Sagen haben, um ein solch gewaltiges Unternehmen zu starten.
Heißt das also doch, dass wir den Teufel beim Namen nennen müssen? Eine Diktatur ist eine Diktatur und eine Monarchie eine Monarchie, oder etwa nicht? Zugegeben, mein Plädoyer für eine Mediatisierung der politischen Diskussion stößt hier auf große Schwierigkeiten.
Und doch: Sollten wir nicht die Selbstironie der „Neo-Reactionaries“ zum Anlass nehmen und uns fragen, ob das, was sie anstreben, wirklich den verunglimpfenden Namen verdient? Handelt es sich nicht bei ihren Unternehmungen um so neue Dinge, dass wir sie nicht gleich verdammen, sondern sie erstmal überhaupt zur Kenntnis nehmen sollten?
Nach reiflicher Überlegung können wir ja immer noch das Fallbeil zücken. Wir lassen es auf diese neuen Gegner spätestens dann herniedersausen, wenn wir lustvoll den ultimativen Schuldspruch über sie verhängt haben.