Aus den Feuilletons

Rechtspopulismus als Folge der Diktatur?

Mehrere tausend Pegida-Anhänger demonstrieren auf dem Theaterplatz in Dresden.
Mehrere tausend Pegida-Anhänger demonstrieren auf dem Theaterplatz in Dresden. © pa/dpa/Killig
Von Tobias Wenzel · 22.07.2017
In der "Zeit" diskutieren Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und der polnische Historiker Włodzimierz Borodziej über die Frage: "Sind Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit eine Folge der Diktatur?" Herta Müller begründete ihre Haltung mit eigenen Erfahrungen.
An den schönen Tagen dieser Woche konnte man schon Lust aufs Grillen bekommen. Bis man las, was Tim Caspar Boehme in seinem Nachruf auf den US-amerikanischen Horrorfilmregisseur und Zombie-Pionier George A. Romero in der TAZ schrieb: "Schon in 'Night of the Living Dead' wird hemmungslos in Menschenfleisch gebissen, eigentlich roh, aber wenn, wie in einer haarsträubend-unvergesslichen Szene des Films, etwa Autofahrer in ihrem brennenden Wagen zu Tode kamen, verschmähen die kannibalischen Untoten auch deren gegrillte Überreste nicht." Und zack, war den Lesern die Lust aufs sommerliche Grillen auch schon wieder vergangen. Und eine große Enttäuschung machte sich breit. Wie überhaupt in den Feuilletons dieser Woche.
"Et tu, Poschardt?", fragte bitter enttäuscht und auf Shakespeare anspielend Silke Burmester, ebenfalls in der TAZ und meinte "Auch du, Poschardt?" Dahinter verbarg sich ihr Entsetzen darüber, dass der Chefredakteur der "Welt" einerseits alles versucht, um seinen Türkeikorrespondenten Deniz Yücel aus der Haft zu befreien, aber andererseits "schönfärberische", eine gesunde Demokratie suggerierende, von türkischen Ministerien finanzierte Türkei-Werbebeilagen nicht nur in der Springer-Verlagsdruckerei jahrelang produziert und vertrieben, sondern auch der "Welt" beigelegt wurden, wie zuletzt im März eine zum Thema Reisen, führte Silke Burmester aus und sprach von "Bigotterie".
Die Chefredakteure des "Tagesspiegel" distanzierten sich von anderen Zeitungen wie auch der "Süddeutschen", die solch lukrative Anzeigen veröffentlicht hatten. Aus dem TAZ-Artikel erfuhr man allerdings, dass just der "Tagesspiegel" "eine Woche vor dem G20-Gipfel eine achtseitige Beilage" veröffentlicht hatte, die - in Burmesters Worten - "den Glanz der deutsch-chinesischen Beziehungen lobpreiste".

TV-Pranger als Instrument der Einschüchterung

Als wollte er die Macher des "Tagesspiegel" daran erinnern, wie es zurzeit um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in China bestellt ist, schrieb Mark Siemons besorgt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: "Niemand weiß, wo Liu Xia ist, die Witwe des in Haft gestorbenen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo."
Wo Gui Minhai, alternativer Verleger, Buchhändler und Autor, steckt, ist dagegen klar: im chinesischen Gefängnis. Das erfuhr man aus Christoph Giesens Artikel für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Gui steht mit seinen Kollegen von einem Hongkonger Buchladen auf der Short List für den Prix Voltaire, einem Preis, der mit der Meinungsfreiheit verbunden ist. Mittlerweile ist eine Giesen zufolge so gar nicht glaubwürdige Fernsehbeichte von Gui aufgetaucht: "Seit Xi Jinping vor knapp fünf Jahren die Macht übernommen hat, ist der TV-Pranger ein beliebtes Instrument der Einschüchterung geworden", erklärte Giesen. "Die Texte werden von Drehbuchautoren geschrieben, Soldaten und Vernehmer sorgen dafür, dass die Delinquenten nicht vom Script abweichen."

Kick für verklemmte Funktionäre

"Sind Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit eine Folge der Diktatur", fragte DIE ZEIT die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und den polnischen Historiker Włodzimierz Borodziej in einem Streitgespräch. Da durfte man sich daran erinnern, was die SÜDDEUTSCHE, die ein Bild des erwähnten Horrorfilmemachers Romero abdruckte, den Leser fragte: "Würden Sie diesem freundlichen älteren Herrn ein schreckliches Blutbad abkaufen?" Gegenfrage: Würde man dem niedlich dreinblickende Hutzelmännchen Jarosław Kaczyński die Abschaffung des Rechtstaates abkaufen? Für Demokratieliebende war die Entwicklung in Polen dieser Woche eine große Enttäuschung.
Die ZEIT fahndete nach Ursachen und fragte deshalb: "Sind Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit eine Folge der Diktatur?""Die Fremdenfeindlichkeit im Osten ist doch ein Kontinuum, die wurde aus dem Sozialismus mitgeschleppt", war sich Herta Müller, die im Ceauşescu-Rumänien aufgewachsen war, sicher. "Der Ostblock ist doch bereits vor 28 Jahren zusammengebrochen. Die Ausländerfeindlichkeit muss ganz andere Gründe haben", hielt der polnische Historiker Borodziej dagegen, der sich im Gegensatz zu Herta Müller "an keine klassische Diktaturerfahrung" während seiner Kindheit erinnerte.
Herta Müller erinnerte sich sehr genau daran, wie Geheimdienstler sie als junge Frau mit erfundenen Anschuldigungen in Bedrängnis bringen wollten: "Es wurde behauptet, ich prostituiere mich mit acht arabischen Studenten, die mich mit Kosmetika und Strumpfhosen bezahlten. Prostitution war ohnehin verboten. Also hätten auch acht Rumänen gereicht, um mich ins Gefängnis zu stecken. Aber es mussten Araber sein, das gab den verklemmten Funktionären den besonderen Kick. In diesem Rassismus waren sich Bevölkerung und Staat einig."

Dalís Schnurrbart noch immer auf "zehn Uhr zehn"

Rassismus in den Völkern dieser Welt, so könnte mal der Titel einer Ausstellung im Berliner Stadtschloss heißen. "Ist das Humboldt-Forum überhaupt noch zu retten?", fragt Swantje Karich in der WELT AM SONNTAG rhetorisch-desillusioniert. Noch enttäuschter zeigte sich Bénédicte Savoy, gerade aus dem Museumsbeirat zurückgetreten, im Gespräch mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Man könnte sich unendlich viel vorstellen, wenn das Ganze nicht unter dieser Bleidecke begraben wäre wie Atommüll, damit bloß keine Strahlung nach außen dringt. Das Humboldt-Forum ist wie Tschernobyl."
Mit einem Super-GAU, der größten anzunehmenden Unzufriedenheit, sollte man nicht enden. Da macht das Grillen wirklich keinen Spaß mehr. Dazu braucht es eine positive Überraschung. Die lieferte die Online-Ausgabe des SPIEGEL mit einem Bericht über die Exhumierung von Salvador Dalí, die durch eine Wahrsagerin ausgelöst wurde, die glaubt, seine Tochter zu sein. Das Ergebnis der DNS-Analyse steht noch aus. Aber die Dalí-Stiftung im spanischen Figueras verbreitete stolz folgende Information: Auch 28 Jahre nach dem Tod des Malers hätten bei der Öffnung des Sargs die beiden Zipfel von Dalís berühmtem Schnurrbarthaar immer noch, wie von ihm gewünscht, auf "zehn Uhr zehn" gestanden.
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