Schriftsteller und ihre Krisen

Mit faulen Äpfeln gegen das leere Blatt

52:20 Minuten
Deitailaufnahme eines Haufen zerknüllten Papiers.
Schiere Verzweiflung: Zerknülltes Papier ist das Ergebnis von Schreibkrisen. © imago images / YAY Images
Von Nadja Küchenmeister und Norbert Hummelt · 21.05.2020
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Schreibkrisen sind der schlechte beste Freund von Schriftstellern. Den meisten sind sie innig vertraut und zutiefst verhasst. Dagegen hilft nichts, es wird aber alles versucht - bis hin zur Magie.
Büchern sieht man es nicht mehr an, welchen Abgründen von Verzweiflung sie manchmal abgetrotzt worden sind. Und welch verschiedenen: Zu Anfang hemmt die gähnend leere Seite, dann kann der bereits angewachsene Stapel Papier dieselbe Verstockung und Verstörung hervorrufen, nicht anders als das Ende, in dem alle Fäden zusammenlaufen müssen.
Jeden Morgen beginnt zudem die Qual von Neuem. Wird die Schreibkrise gar permanent, droht das totale Verstummen: Arthur Rimbaud gibt mit 19 Jahren das Schreiben auf, geht nach Afrika, wird Waffenhändler und verschwindet.

Riten, Bräuche und Gewohnheiten

Gegen eine Schreibkrise hilft dauerhaft und zuverlässig nichts, sonst wäre die Krise keine Krise. Deshalb entwickeln die an ihr Leidenden Riten, Bräuche und Gewohnheiten, sogar magische Handlungen.
Für manche Autoren geht ohne völlige Ruhe nichts. Marcel Proust arbeitete in einem komplett schallisolierten Raum, um den Fluss der unwillkürlichen Erinnerung nicht zu behindern.
Heute muss man das Schreibgerät vom Internet trennen. Andererseits können Einbrüche der Außenwelt, eine Mail oder das Klingeln des Telefons, das Schreiben anregen und in neue Bahnen bringen.
Zu den magischen Bräuchen sind manche Hilfsmittel zu rechnen. Friedrich Schiller hatte stets faule Äpfel in der Schreibtischschublade, weil er ihren Geruch anregend fand. Thomas Bernhard erwarb Immobilien, um sich eine Abwechslung vom Schreibtischalltag zu verschaffen.
Anderen genügt der nicht selten exzessive Einsatz von Stimulanzien wie Kaffee, Tee, Alkohol und Nikotin. Gottfried Benn genehmigte sich in seinem Berliner Stammlokal jeden Abend zwei bis drei Bier, hörte den Leuten zu und machte sich Notizen. Peter Handke unternimmt weite einsame Spaziergänge in den Wäldern bei Paris, sammelt Pilze und bevorzugt Wein.

Krise ist immer Gegenwart

Ist eine Muse in der Nähe, verliert die Schreibkrise den schlimmsten Schrecken. Novalis und E.T.A. Hoffmann verliebten sich in Kindfrauen, die sie bedichten konnten; Stefan George verliebte sich in Hugo von Hofmannsthal. Heutige Autorinnen und Autoren halten sich in dieser Hinsicht allerdings eher bedeckt.
Schreibkrisenbewältigung scheint nicht erlernbar zu sein. Mit jedem Werk treten die grundlegenden Probleme wieder auf: die Leere des Blattes, die Angst, sich zu wiederholen, die Furcht, nicht mehr schreiben zu können.
Gelegentlich steht einem oder einer auch der Erfolg im Wege. Er macht es keinesfalls leichter. Der Erfolg polstert nicht, verdankt er sich doch der Vergangenheit. Was zählt, ist allein die Gegenwart. Ihre wahre Gestalt ist die Krise.
(pla)

Eine Produktion des WDR aus dem Jahr 2013 - aber Schreibkrisenbewältigung ist ja nicht zu erlernen. Weshalb die Angaben zu den Autorinnen und Autoren und zu ihren Büchern veraltet sind, alles andere jedoch nicht.

Das Manuskript können Sie hier herunterladen.

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