Schriftsteller Robert Menasse

"Die Welt steht politisch Kopf"

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Der Schriftsteller Robert Menasse bei der Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille
Überzeugter Europäer: Der Schriftsteller Robert Menasse beklagt politische Anfeindungen in Österreich. © dpa / Andreas Arnold
Robert Menasse im Gespräch mit Joachim Scholl  · 14.05.2019
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Für seine klaren pro-europäischen Standpunkte ist Robert Menasse wiederholt heftig attackiert worden. Im Interview erklärt er, warum er nicht schweigen will - und was er den Narrativen der österreichischen Boulevardpresse entgegensetzt.
Joachim Scholl: Wir in der "Lesart" schauen hoffnungsvoll auf die Europawahl mit unserer täglichen Reihe, auch jetzt, wo prominente europäische Autorinnen ihre Stimmen für Europa erheben. Eine der profiliertesten männlichen, die gehört Robert Menasse aus Wien.
Europa liegt Ihnen ja schon lange, lange am Herzen, weit vor Ihrem fulminanten Brüssel-Roman "Die Hauptstadt", spätestens aber seit diesem Buchpreis-Bestseller von 2017 sind Sie schon so etwas wie ein literarischer EU-Sonderbotschafter geworden. Kürzlich haben Sie in einem Zeitungsinterview von einer "reichlich vernarbten Seele" gesprochen. Was war denn anscheinend so anstrengend und vielleicht sogar verletzend für Sie?
Menasse: Das Problem ist im Wesentlichen, dass ein Künstler oder ein Schriftsteller, der sich klar politisch positioniert, plötzlich nicht nur mit literarischer Kritik sich auseinandersetzen muss, sondern wirklich politische Gegner, um nicht zu sagen: politische Feinde hat. Ich muss sagen, dass ich so naiv war, dass ich in dem Ausmaß nicht damit gerechnet habe. Das war verletzend. Gleichzeitig werde ich immer mutloser, wenn ich die gegenwärtige Entwicklung betrachte, wie alles ins Rutschen kommt, alle Errungenschaften des letzten halben Jahrhunderts, und wie gleichzeitig die vernünftige Weiterentwicklung der Europäischen Union vollkommen ins Stocken geraten ist und blockiert wird.
Ich frage mich mittlerweile selbst, welchen Sinn es noch hat, wenn ich nur noch merke, dass ich bereits Überzeugte überzeugen kann. Wenn ich einen Vortrag mache irgendwo, kommen 500, kommen 800 Menschen, sind sehr zufrieden und sehr glücklich mit mir, aber die waren ja schon pro-europäisch und sind deswegen gekommen, weil sie sich aufmunitionieren wollten. Aber ich komme ja an die nicht ran, die an der Zerstörung dieses Projekts arbeiten, abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass sie für Argumente zugänglich sind.

Frage nach dem Kräfteverhältnis

Scholl: Auf der anderen Seite, Herr Menasse, wenn hunderte von Menschen zu einem Schriftsteller kommen, um seine doch gesellschaftspolitischen Meinungen zu hören, dann ist das ja auch durchaus ein Zeichen unserer Zeit. Wir hören hier in unserem Programm in diesen Tagen die Stimmen von vielen Schriftstellern, wie gesagt, auch etwa in unserer Reihe, wo wir zwölf europäische Autorinnen gewonnen haben. Alle haben sofort zugesagt, mitgemacht, und diesen Eindruck hat man ja auch quer durch alle Medien. Man könnte ja schon durchaus sagen, dass es ein neues politisches Engagement, eine neue Front der liberalen, aufgeklärten Schriftsteller gibt. Wie nehmen Sie das wahr?
Menasse: Ja, das stimmt durchaus, aber die Frage ist, bei solchen Situationen des angeblich wachsenden politischen Engagements, letztlich doch immer dieselbe: Wie ist das Kräfteverhältnis? In dem Moment, wo mich zum Beispiel ein paar tausend Menschen lesen, wurden durch die politischen Eliten und die Boulevardpresse Hunderttausende schon wieder in ihren Irrtümern bestärkt oder betrogen. Schauen Sie, vor drei Tagen hat der österreichische Bundeskanzler – und der hat ja die Mehrheit in diesem Land – gesagt: "Wir müssen die EU zurückstutzen. Es gehören tausend Richtlinien sofort gestrichen, wir wollen uns nicht dauernd bevormunden lassen und nicht überregulieren. Tausend Richtlinien gehören gestrichen."
Ich weiß es nicht, ob dieser Mann, der dieses Land als Kanzler regiert, das nicht besser weiß oder ob er eine der größten politischen Zyniker in der Geschichte der zweiten Republik ist, weil es gibt gar keine tausend Richtlinien, zum Beispiel. Er will die Macht, die sogenannte Macht der Kommission zurückstutzen, er will Beamte in Europa entlassen und so weiter. Die Europäische Kommission hat 30.000 Beamte zur Verwaltung des ganzen Kontinents. Die Stadt Wien, in der er im Bundeskanzleramt sitzt, hat mehr Verwaltungsbeamte als die Kommission für den ganzen Kontinent. So kann man minuten-, stunden-, tagelang die Dinge klarstellen, aber dann lesen Sie die Boulevardpresse, und Sie fühlen sich extrem hilflos.

"Die Nation ist eigentlich eine Fiktion"

Scholl: Vorhin klangen Sie trotzdem sehr, sehr mutlos, Robert Menasse. Das fasst einen direkt an, weil man Sie so oft so temperamentvoll gehört hat, aber eben haben Sie, glaube ich, schon wieder so ein bisschen die Spur gehabt, so den Menasse-Furor. Wir erreichen Sie, können wir ja mal sagen, quasi Hut und Mantel: Heute fliegen Sie nach Deutschland, nach Potsdam zum dortigen Literaturfestival, wo Sie Writer in Residence sein werden. Dort wird man wahrscheinlich auch den Robert Menasse erwarten, der über Europa spricht. Kommt was oder erst mal nix?
Menasse: Ich möchte schon, aber ich möchte es wieder verstärkt als Künstler, als Schriftsteller tun. Mein Anspruch war ja schon mit meinem Roman: Man muss Europa erzählen können, man muss einmal durchsetzen, dass das europäische Projekt kein Abstraktum, kein großes Abstraktum ist. Die Welt steht ja politisch Kopf. Die Menschen glauben, EU ist was furchtbar Abstraktes, aber die Nation, das ist das Konkrete. In Wirklichkeit ist die EU ein ganz konkretes politisches Projekt, und die Nation eigentlich eine Fiktion, eine sehr abstrakte Idee. Aber es genügt nicht, das einfach nur immer wieder in intellektuellen Diskussionen klarzustellen, man muss es erzählen können. Ich möchte einfach verstärkt wieder die Geschichten erzählen, in denen sich zeigt, in welchen Widersprüchen sich unsere Zeitgenossenschaft entwickelt und sich verstrickt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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