Schriftsteller aus Belarus

Widerstand im Exil

06:38 Minuten
Das Wort "Belarus" wird auf einer alten Schreibmaschine getippt.
Wer in Belarus regimekritische Texte verfasst, dem droht Gefängnis. Viele Autorinnen fliehen aus dem Land. © imago / YAY Images
Von Lara Sielmann · 23.05.2022
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In Belarus geht Machthaber Lukaschenko weiter massiv gegen die Demokratiebewegung vor. Um den Repressionen zu entkommen, gehen immer mehr Menschen ins Ausland. Im Exil versuchen Intellektuelle, sich weiter politisch zu engagieren.
Am Fuße des historischen Uhrenturms auf dem Grazer Schlossberg lebt das belarussische Autoren-Ehepaar Alhierd Bacharevič und Julia Cimafiejeva seit anderthalb Jahren als Writer-in-Exile. Das Kulturamt der Stadt Graz vergibt das Stipendium seit 1997 an Schriftsteller, die in ihren Ländern aufgrund politischer Umstände nicht mehr bleiben können.
Am Uhrenturm holt mich Alhierd Bacharevič ab. Zusammen gehen wir eine breite Steintreppe nach unten, bis links ein schwarzes Tor erscheint. Dahinter führen weitere Stufen in einen grünen Innenhof, der von einem flachen Haus mit überdachter Terrasse umschlossen ist. Hier lebt das Ehepaar.
Julia und Alhierd protestierten im Sommer 2020 gegen die Regierung Lukaschenko und entschieden sich dann im November desselben Jahres, das Land zu verlassen – zu brutal ging das Regime mittlerweile gegen die eigene Bevölkerung vor. Die Gefahr, dass ihnen etwas angetan wird, war zu groß.
„Mein jüngerer Bruder und seine Frau sind politische Gefangene in Belarus. Sie haben anderthalb Jahre bekommen, weil sie auf einem der Proteste, auf dem wir zusammen waren, Musik gespielt haben“, erzählt mir Julia Cimafiejeva, als wir in ihrer Wohnung sind. Wir sitzen auf einem Sofa in einem hellen und geräumigen Raum, der gleichzeitig Wohn- und Schlafzimmer ist. Schräg gegenüber steht Julias Schreibtisch. Alhierd Bacharevič hat seinen Arbeitsplatz in der großen Küche eingerichtet.

Politik ist zum Hauptthema geworden

„Vor zwei Jahren – im April 2020 – waren wir gar nicht so politisch. Natürlich haben wir die Nachrichten gesehen und so, aber es hat keine große Rolle für unsere Literatur, unsere Texte gespielt. Aber das ist nun ganz anders und Politik ist eines der Haupthemen für uns geworden.“
Politisch engagiert haben sie sich hingegen schon: Gemeinsam mit anderen Oppositionellen aus der belarussischen Kulturszene haben die beiden in den Jahren vor den Protesten, einen unabhängigen Literaturbetrieb mit aufgebaut: „Wir dachten, auf diese Weise können wir zumindest etwas Sinnvolles für unsere Kultur machen", sagt Julia. "Wenn man immer nur am Kämpfen ist, kostet das wahnsinnig viel Energie, und am Ende entwickelt man gar nichts, man verliert nur an Kräften.“
Und Alhierd ergänzt: „Wir hatten unabhängige Buchhandlungen, Festivals, wir hatten Plätze für Diskussionen, für Lesungen. Jetzt ist alles vernichtet. Wo es früher zwei Kulturen gab, gibt es jetzt nur eine. Und die andere, die unabhängige, ist praktisch verboten.“

Keine unabhängigen Medien mehr

Im österreichischen Exil sieht ihre Arbeitsrealität hingegen anders aus: Sie geben viele Interviews, sind europaweit eingeladen zu Lesungen, Festivals und Diskussionen. „Wir haben viele Publikationen im Ausland, und ich glaube, das ist gut für die Autoren in Belarus, weil unsere Literatur nicht so bekannt war, und es nicht so viele Übersetzungen aus unserer Sprache, aus dem Belarussischen gab. Unsere Sprache ist klein,“ sagt Alhierd.
Mittlerweile gibt es keine unabhängigen Medien mehr in Belarus, und viele der unabhängigen Autoren und Autorinnen sind ins Exil gegangen. Die, die noch da sind, verhalten sich meist ruhig. Einige von ihnen sind dennoch im Netz aktiv – wie die meisten der im Exil lebenden Schriftsteller. So auch Julia und Alhierd. „Viele belarussische Autoren publizieren Gedichte oder Essays auf ihrem Facebook-Profil und haben so einen direkten Kontakt zu ihren Lesern“, erzählen die beiden. „Wir benutzten und benutzen Facebook wirklich nicht als Social Media, sondern als unabhängige Medien.“

Die Freiheit im Exil nutzen

Julia Cimafiejeva und Alhierd Bacharevič posten regelmäßig kritische Texte zu Russland und Belarus sowie Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine, aber auch Hinweise, wie man belarussische Gefangene unterstützen kann.
Sie nutzen die Freiheiten, die ihnen das Exil gibt, für ihren politischen Kampf und sie stehen mit anderen belarussischen Autoren, die wie sie im Exil leben, im engen Austausch, erzählt Alhierd. „Wir treffen uns in Warschau, in Berlin, in verschiedenen Städten, und unsere Mission heute, meiner Meinung nach, ist die Idee von einem anderen Belarus zu behalten, diese unabhängige Kultur hier im Ausland in Migration zu behalten, zu bewahren. Wir sammeln jetzt unsere Kräfte in der Migration, und wenn die Situation besser wird, eines Tages, dann werden wir schon etwas haben.“
Derzeit ist es ungewiss, ob sie jemals wieder nach Belarus zurückkönnen. Momentan ist Alexander Lukaschenko noch an der Macht – eine Rückkehr wäre für sie zu gefährlich. „Unsere Zukunft ist jetzt nicht klar, was mit uns weiter wird. Das beeinflusst natürlich sehr stark unser Bewusstsein, unser Pläne, unser Selbstwahrnehmen und unser Schreiben auch.“
Bis zum Ende des Jahres bleiben sie noch in Graz, dann endet ihr Aufenthaltsstipendium und sie brauchen ein neues. Aber darüber machen sie sich jetzt noch keine Gedanken.

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