Schreck der Investoren

Ein Berliner Baustadtrat kämpft um billigen Wohnraum

Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat vom Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, aufgenommen am 16. Juli 2018 im Rathaus Kreuzberg in der Yorckstraße
Das wohl schärfste Schwert des grünen Baustadtrats, Florian Schmidt, gegen Spekulanten und steigende Mieten ist das Vorkaufsrecht. © picture-alliance/Tagesspiegel/Kitty Kleist-Heinrich
Von Philip Banse · 19.11.2018
In manchen Berliner Bezirken haben sich die Mieten in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Doch Florian Schmidt, der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hat den Kampf gegen Spekulanten aufgenommen - und gilt mittlerweile als Robin Hood der Mieter.
Empfang in exklusiver Lage. PB3C, eine PR-Agentur für die Immobilienwirtschaft, hat zum "Wohnungspolitischen Abend" eingeladen, im Max Liebermann Haus, direkt neben dem Brandenburger Tor.
"Ich möchte bevor wir einsteigen in die Diskussion ganz kurz unsere Gäste vorstellen"
Auf dem Podium sitzen Männer wie Jacopo Mingazzini, Vorstand der ACCENTRO Real Estate AG, einem börsennotierten Immobilienunternehmen, das rund 150 Millionen Euro Umsatz macht, indem es Wohnungen kauft und wieder verkauft. Etwas aus dem optischen Rahmen fällt ein Mann rechts auf dem Podium mit zerzaustem Bart und ausgebeulter Jeans, der Baustadtrat von Berlin Kreuzberg:
"Florian Schmidt von Bündnis 90/Die Grünen, vielen Dank, dass sie da sind."

Florian Schmidt – weniger Politiker als Aktivist

Baustadtrat Florian Schmidt, Mitte 40, vor ein paar Jahren noch freischaffender Musiker, sieht sich weniger als Politiker, denn als Aktivist. Viele in Kreuzberg sehen ihn als "Robin Hood der Mieter". Denn in Kreuzberg haben sich die Mieten in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt – und steigen weiter um zuletzt rund acht Prozent pro Jahr. In der elektrisierten Baubranche dagegen gilt Schmidt als Immobilienschreck.
"In gewisser Weise ist schon was dran, denn wenn wir die Botschaft durch Handeln austragen, dass eben bei uns, wer spekulativ unterwegs ist, das gar nicht erst probieren braucht, weil wir dann eingreifen, dann ist das schon etwas, was dann ja auch Wirkung zeigen kann, indem die Leute dann sagen: 'Ok, dann brauchen wir es gar nicht machen.' Und das kann man schon als so eine Art Schreckmoment betrachten – was wir auch bewusst ausspielen."
Das wohl schärfste Schwert in Schmidts Kampf gegen Spekulanten und steigende Mieten ist das Vorkaufsrecht.
Sanierte Altbauten, aufgenommen im Stadtteil Kreuzberg in Berlin am 18.03.2018.
Altbauten in Friedrichshain-Kreuzberg – weite Teile des Bezirks stehen unter Milieuschutz.© picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Weite Teile von Friedrichshain-Kreuzberg stehen unter Milieuschutz, ein staatliches Schutzgebiet quasi, damit in diesen heiß begehrten Innenstadtlagen auch in Zukunft unterschiedliche soziale Schichten leben können. Soll in diesem Gebiet ein Haus verkauft werden, kann Schmidt darauf bestehen, dass der potenzielle Käufer das Haus nicht luxusmodernisiert mit neuen Balkonen, Aufzügen und Dachterrasse. Will der Kaufinteressent das nicht unterschreiben, hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht.
"Ja, das Vorkaufsrecht ist natürlich ein gewisser Tabubruch. Es ist keine Enteignung formal, denn wir greifen in eine Eigentumserwartung ein, aber es fühlt sich für viele so an."
Denn der Bezirk kann das Haus, das der Käufer nach monatelanger Suche gern erworben hätte, zum Marktpreis von einer staatlichen Wohnungsbaugesellschaft kaufen lassen.
"Und es ist gleichzeitig auch ein Eingriff, der im Grunde sagt: 'Liebe Leute, so wie hier der Markt funktioniert, das wollen wir so nicht und wir unterbrechen hier die Wertschöpfungskette.' Und das irritiert natürlich, weil die Akteure am Markt nicht mehr wissen, ob das, was sie da tun, ob das noch funktioniert."

Schutz vor unnötigen Mietsteigerungen

Mit dem Vorkaufsrecht kauft eine staatliche Wohnungsgesellschaft das Haus zwar zum Marktpreis, bewirtschaftet es aber "gemeinwohlorientiert":
"Das heißt, dort sind die Mieter vor unnötigen Mietsteigerungen oder vor Kündigungen, weil Wohnungen in Eigentum aufgeteilt werden, geschützt."

Hören Sie auch unsere "Zeitfragen"-Beiträge zu den katastrophalen Folgen des Verkaufs landeseigner Wohnungen für Mieter in München und den Rundgang mit der Stadtgeografin Yvonne Franz durch den 15. Bezirk in Wien – die Stadt gilt als Vorbild für billigen Wohnraum in Metropolen.

Marktpreise zahlen und Mieten deckeln – damit die Rechnung aufgeht, muss das Land Berlin jeden dieser Käufe mit bis zu 15 Prozent subventionieren, pro Wohnung seien das 30.000 Euro Steuergeld, sagt Schmidt. Auf diese Weise habe er schon 1000 Wohnungen "abgesichert", wie er es nennt: also den Verkauf an einen Investor und damit steigende Mieten und Vertreibung der Mieter verhindert.
"Erstmal ist die Hoffnung, dass es weiter so geht. Da sind wir guter Dinge. Ich unterschreibe fast wöchentlich einen Vorkaufsbescheid. Da kommen wir gut voran. Der Wunsch, ist eigentlich, dass wir das über die nächsten 20 Jahre machen und dass wir dann zu einem Gleichgewicht kommen in den Beständen, das wir ungefähr die Hälfte Gemeinwohl orientiert abgesichert haben der Bestände und die andere Hälfte vielleicht nicht, so dass man sagen kann: Das ist ein geschützter Raum, wo soziale Vielfalt gedeihen kann."

Wirtschaftsforscher: Bestandshäuser kaufen reicht nicht

"Die Politik von Baustadtrat Schmidt kann durchaus erfolgreich sein, wenn er Investoren mit schlechten Absichten glaubhaft macht, dass er ihr Verhalten nicht toleriert."
Sagt Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. In den vom Staat gekauften Wohnungen könne Schmidt mit seinem Vorkaufsrecht die Mieten stabilisieren. Aber diese Politik habe Grenzen:
"Rein finanziell ist der Bezirk nicht in der Lage, in jeden Kaufvertrag einzutreten; und auch administrativ ist es schwierig, jeden Kaufvertrag oder jede Kaufabsicht dahingehend zu prüfen, ob negative Folgen damit für die Mieter verbunden sind. Insofern dürfte es schwer werden, große Teile des Bestand auf diesem Weg zu schützen."
Wer niedrige Mieten wolle, müsse mehr machen, als Bestandshäuser kaufen, sagt der Wirtschaftsforscher:
"Das Mengenproblem fehlende Wohnungen, kann man nur lösen, indem man ausreichende Wohnungen dazu baut."
Das könnten entweder staatliche Sozialwohnungen sein oder privatfinanzierte Wohnungen, von denen einige zu günstigen Mieten angeboten werden müssen. Auch das passiert in Kreuzberg.

Gleichgewicht zwischen sozialem und privatem Neubau finden

Reinhold Knodel ist Geschäftsführer der PANDION AG, einer Firma, die deutschlandweit teure Wohnungen baut, allein in Berlin aktuell für 700 Millionen Euro, auch in Kreuzberg. Er habe mit Baustadtrat Schmidt gute Erfahrungen gemacht, sagt der Bauunternehmer:
"Es war eine Forderung von Schmidt: Gebt doch drei Prozent eurer Fläche zu niedrigeren Mieten ab, so dass auch Kleinsthandwerker, die den Stadtteil Kreuzberg lebendig machen, auch eine Möglichkeit haben, anzumieten. Das haben wir gemacht, das haben wir in unsere Gesamtkalkulation eingearbeitet und das war einer dieser Maßnahmen, die dazu geführt haben, dass wir da konzessial durch den Baugenehmigungsprozess gekommen sind."
Auch in Kreuzberger Milieuschutzgebieten würden also neue Wohnungen entstehen, sagt Stadtrat Schmidt und fragt:
"Ist eigentlich hier zu viel Sturm im Wasserglas? Ist nicht eigentlich beides richtig? Dass wir sagen: Wir müssen die Bestände schützen, und zwar auch ein bisschen radikal; und gleichzeitig müssen wir ein Gleichgewicht finden im Neubau zwischen sozialem Neubau und auch privatem, frei finanziertem Neubau. Ist die Formel nicht eigentlich ganz einfach?"
Auf dem "Wohnungspolitischen Abend" hat niemand widersprochen.
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