Akteur in der Wohnungskrise

Bundeseigene Behörden als knallharte Vermieter

Blick auf die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in der Fasanenstraße 87 in Berlin
Im Auftrag des Bundesfinanzministeriums verwaltet die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BImA, in Berlin knapp 5000 Wohnungen, bundesweit 36.000. © imago/Sven Lambert
Von Wolf-Sören Treusch · 05.11.2018
Die Wohnungsnot ist ein drängendes soziales Problem. Besonders ärgerlich ist es, wenn auch Bundeseigene Behörden an der Mietpreisschraube drehen. Dabei könnten sie bei der Lösung der Wohnungsfrage mithelfen - das zeigt ein Blick nach Berlin.
Ortstermin im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf – eine ehemalige Wohnsiedlung der US-Streitkräfte. Mehrere viergeschossige Gebäude reihen sich aneinander, zwischen den Häusern viel Grün. Eigentlich wohnt es sich hier sehr schön, sagen die beiden Vertreter der Mieterinitiative, wenn nur die satten Mietpreiserhöhungen zuletzt nicht gewesen wären.
"125 Euro pro Monat. Und das will erstmal verdient werden. In Prozenten, haben wir das dann ausgerechnet, sind das 14,87 Prozent. Also wir haben schwer geschluckt, und wir haben dann uns auch überlegt: ist denn das langsam noch die Wohnung überhaupt wert?"

Zwei Mieterhöhungen in vier Jahren

Claudia-Stefanie Schmid hat sogar noch Glück. Für ihre 124-Quadratmeter-Wohnung war das die einzige Mieterhöhung seit 2014. Nachbar Michael Alvarez Kalverkamp wurde gleich zwei Mal zur Kasse gebeten. Vor vier Jahren zog er mit Frau und drei Kindern in die Siedlung. Nach zwei Jahren kam die erste, nun die zweite Mieterhöhung. Machte insgesamt eine Preissteigerung um knapp 20 Prozent. Dabei gebe es genug Gründe, sagen die beiden, die Mieterhöhung in Frage zu stellen.
Claudia-Stefanie Schmid und Michael Alvarez Kalverkamp sind BImA-Mieter und stehen vor ihrem Haus in Berlin Steglitz-Zehlendorf
Claudia-Stefanie Schmid und Michael Alvarez Kalverkamp sind BImA-Mieter und haben mit Mieterhöhungen zu kämpfen.© Wolf-Sören Treusch
"Wir haben Schimmel in der Wohnung, praktisch in allen Zimmern, trotz angemessenen und auch richtigen Lüftens, vor allen Dingen dann halt im Winter, wir haben relativ hohe Heizkostenausgaben, weil die Wohnungen nicht vernünftig isoliert sind insgesamt, wir haben abbröckelnde Fassaden und auch hier, ist mir jetzt erst vor zwei Monaten aufgefallen, weil ich da noch nie draufgeguckt habe, ich habe aber gesehen, dass unsere Fensterbänke, von außen, da hängen die Armierungseisen frei in der Luft, das können Sie sich auch gleich mal anschauen …"
In der Wohnsiedlung der BImA in Berlin Steglitz-Zehlendorf bröckeln die Fensterbänke und die Armierungseisen liegen frei
Mietsteigerungen trotz Mänglen: In der Wohnsiedlung der BImA in Berlin Steglitz-Zehlendorf bröckeln die Fensterbänke und die Armierungseisen liegen frei.© Wolf-Sören Treusch
"Ja, es kommt nichts zurück. Sie machen Flickenarbeit, wenn das Dach mal undicht ist, wird es dann Stückchenweise repariert, wir möchten gern wissen: was passiert denn jetzt auch hier mit der Liegenschaft? Wo wird denn jetzt investiert, was haben sie denn vor?"
Sie, das ist ihr Vermieter, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BImA. Im Auftrag des Bundesfinanzministeriums verwaltet sie in Berlin knapp 5000 Wohnungen, bundesweit 36.000. Gern wollten die Mieter mit der BImA über Instandsetzungsmaßnahmen und Mietenpolitik sprechen, doch die Behörde zeigte sich knallhart. Und zog gegen die Mieter vor Gericht, wenn sie die nötige Unterschrift unter das Mieterhöhungsbegehren nicht leisteten. Die Bundeseigene Behörde gibt sich renditeorientiert statt sozial, wie es eigentlich ihr Auftrag sein müsste, findet Michael Alvarez Kalverkamp.
"Ich betone Bundeseigenen, weil das Liegenschaften sind, die aus Steuergeldern finanziert wurden, längst abbezahlt sind und uns allen gehören, Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, und die nun auch von der Bundesregierung eigentlich erwarten, die Mieter dieser Liegenschaften, dass die Bundesregierung die von ihr selbst anerkannte Wohnungsraumkrise bekämpft, und dies könnte die Bundesregierung am besten dadurch tun, indem sie die Wohnungen, die sie selber besitzt, gleich zu einem Preis auf den Markt bringt, der dieser Logik der Mietpreiserhöhungen nicht entspricht und bekämpft."

BImA bewegt sich oft am obersten Limit des Mietspiegels

Sie sei gesetzlich verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln, argumentiert die BImA. Beim Abschluss neuer Mietverträge bewegt sie sich dabei jedoch oft am obersten Limit des Mietspiegels. Das ergab die Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Berliner Bundestagsabgeordneten Lisa Paus von Bündnis 90/Die Grünen. Danach hat die BImA bei 80 von 271 Neuvermietungen im ganzen Land im Jahr 2017 die ortsübliche Vergleichsmiete um zehn Prozent überschritten.
"Deswegen muss der Bundestag quer über alle Parteien hinweg gemeinsam entscheiden im Haushaltsausschuss, dass die BImA – das ist das direkte Instrument, das die Bundesregierung hat – gegen diesen Trend eingesetzt wird und nicht noch den Trend befördert."
Und tatsächlich: es tut sich etwas in der Vergabepraxis der BImA. Nicht bei den Mieten, die bleiben wie sie sind. Aber bei den Grundstücksverkäufen. Künftig dürfen Länder und Kommunen auf alle Grundstücke, die der Bund für entbehrlich hält, zuerst und verbilligt zugreifen, heißt es in einer neuen Richtlinie der BImA von Ende August. Ziel ist es, damit unter anderem den Neubau von bezahlbaren Wohnungen zu fördern.

Das Land Berlin möchte Grundstücke der BImA erwerben

Im Portfolio der BImA befinden sich nicht nur 36.000 Wohnungen, sondern auch Grundstücke und Liegenschaften mit einer Gesamtfläche von 462.000 Hektar – darunter riesige Forstgebiete. In den sieben größten deutschen Städten besitzt der Bund 230 Hektar unbebauter Grundstücksflächen, allein in der Hauptstadt knapp 90 Hektar. Und an die will das Land Berlin jetzt ran.
"Im Grunde nach streben wir eigentlich an, alles was der Bund nicht selber braucht, zu erwerben, …"
So Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz, SPD.
"… um dann eben möglichst zügig Entwicklungen zu machen, die allerdings dann nicht nur Wohnen betreffen, sondern auch kommunale Infrastrukturen, das geht halt bei Kitas los, und hört bei Flächen, die wir für die U-Bahn brauchen, hört das dann auf. Da ist jetzt ein Verfahren vereinbart worden, dass man sich mehrmals im Jahr trifft, um eben über konkrete Pakete zu reden. Und wenn das tatsächlich gelingt, wäre das ein großer Fortschritt."

Bund möchte großzügige Preisnachlässe gewähren

Konkret geht es zurzeit um elf Grundstücke, die für den Bau von Flüchtlingsunterkünften vorgesehen sind. Und um weitere 50, auf denen Kindergärten, Sportstätten, Museen, Straßen oder eben vor allem Sozialwohnungen entstehen sollen. Nachdem der Bund in der Vergangenheit viele seiner Grundstücke zum Höchstpreis veräußert hat, will er jetzt großzügige Preisnachlässe gewähren. Vor allem, wenn der Käufer, also Länder, Städte und Kommunen, bezahlbaren Wohnraum auf der Fläche plant.
"Für jede Wohnung im Sozialen Wohnungsbau gibt es eine Ermäßigung von 25.000."
Da kann beim Bau eines Gebäudeblocks mit 300 Wohneinheiten ein Rabatt in Höhe von 7,5 Millionen Euro herausspringen. Wobei: Die Verbilligung ist auf die Höhe des Kaufpreises begrenzt. Berlin kann also kein Geld dazu bekommen, wenn der Preisnachlass den Wert des Grundstücks übersteigt.
"Aber der wichtige Punkt ist ja, dass dort eben die Verbilligung nicht nur bei symbolhaften Minibeträgen bleibt, so war es früher mal angegangen, sondern dass sie tatsächlich kumulativ wirkt, und wenn sie eben dann ein Gelände haben, wo sie Hunderte von Sozialwohnungen drauf bauen können auf einer relativ großen Fläche, schlägt das eben dann tatsächlich zu Buche."
Außenansicht vom Dragonerareal in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
4,7 Hektar groß ist das gesamte Gelände des Dragonerareals in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg© Wolf-Sören Treusch
Ortswechsel. Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg befindet sich das so genannte Dragonerareal. Im Hauptgebäude, heute ein Finanzamt, waren bis ins 20. Jahrhundert hinein Soldaten stationiert. 4,7 Hektar groß ist das gesamte Gelände, diverse Kleinbetriebe sind hier seit langem zuhause: Biomarkt, Musikklub, Möbelpolsterer, mehrere Autowerkstätten. Viele der Gebäude hätten eine grundlegende Sanierung nötig, sagt Enrico Schönberg von ‚Stadt von unten’, einer Initiative, die sich für mehr Mitbestimmung in der Stadtentwicklung einsetzt.
"Was das Aussehen des Geländes und die Infrastruktur betrifft, muss man ganz klar sagen, dass man die BImA, also die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben durchaus mehr in die Verantwortung hätte nehmen müssen, es geht schon an die Substanz der Gebäude hier."
Enrico Schönberg von der Initiative "Stadt von unten", die sich auf dem Dragonerareal enagiert
Enrico Schönberg von der Initiative "Stadt von unten", die sich auf dem Dragonerareal enagiert© Wolf-Sören Treusch
Die BImA wollte das bundeseigene Grundstück privatisieren. Initiativen wie ‚Stadt von unten’ machten mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen dagegen mobil. Das überzeugte auch den Berliner Senat, der die Fläche daraufhin als Sanierungsgebiet einstufte. Was sie für private Bauherren unattraktiv machte. Im Finanzausschuss des Bundesrats konnte die Privatisierung gestoppt werden. Jetzt wird das Dragonerareal im Rahmen des Hauptstadtfinanzierungsvertrags an das Land Berlin übertragen. Noch in diesem Jahr, ist Finanzsenator Matthias Kollatz zuversichtlich. In Berlin ist nun eine Debatte darüber entbrannt, wie es nach dem Grundstückskauf durch das Land weitergeht.
"Wir haben als Land Berlin die Abstimmung seinerzeit im Bundesrat auch nur gewinnen können, weil wir gesagt hatten: es geht ganz dominant um das Thema Wohnungen, und da weiß ich, dass es welche gibt, die dort ganz überwiegend Gewerbe machen wollen, aber wir haben die Abstimmung im Bundesrat, die die Grundlage dessen ist, dass wir überhaupt das Gelände erwerben können, die haben wir nur gewonnen mit dem Hintergrund einer dominanten Wohnbebauung."

Bund möchte selbst wieder Wohnungen bauen

Der Senat will, dass überwiegend die landeseigenen Wohnungsunternehmen das Gelände entwickeln. Später könnten auch private Projektträger zum Zug kommen, vorausgesetzt sie erfüllen die öffentliche Aufgabe: Zum Beispiel bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Enrico Schönberg von ‚Stadt von unten’ fordert dagegen mehr Mitspracherecht der Zivilgesellschaft.
"Das zweite große Standbein für bezahlbaren Wohnraum sind die Genossenschaften zum Beispiel. Neben den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Und wir stellen uns einfach eine Akteursvielfalt an der Stelle vor, aber auch ne Mischung aus selbstverwalteten Strukturen, kommunalen Strukturen, genossenschaftlichen Strukturen.
Wie auch immer diese Debatte ausgehen wird: Es bleibt offen, wie viele seiner Grundstücke der Bund tatsächlich für entbehrlich hält und dem Land Berlin verkauft. Denn vor kurzem hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz angekündigt, der Bund wolle selbst wieder Wohnungen bauen. Für seine Bediensteten. Sozialer Wohnungsbau wird das kaum sein. Denn der Druck auf die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, jedes Jahr aufs Neue hohe Mieterträge an das Bundesfinanzministerium abzuführen, der bleibt bestehen.
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