Schräger Blick auf deutsche Befindlichkeiten

Frauke Finsterwalder und Christian Kracht im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 17.10.2013
Sie habe im Ausland über ihr Verhältnis zu Deutschland nachgedacht, sagt die Regisseurin Frauke Finsterwalder. In ihrem Spielfilmdebüt "Finsterworld" porträtiert sie einige seltsame Typen und entwirft so ein ziemlich absurdes Heimatbild. Das Drehbuch schrieb ihr Mann, der Romanautor Christian Kracht.
Stephan Karkowsky: "Finsterworld" das ist zunächst mal ein Spielfilm mit Starbesetzung, darunter Corinna Harfouch, Ronald Zehrfeld und Shootingstar Carla Juri - groß gefeiert in "Feuchtgebiete". Aber irgendwie sind die in "Finsterworld" alle so ganz anders, als wir sie gewohnt sind. "Finsterworld" steht mit seinem schwarzen Humor und seinen surrealen Bildern wie ein Monolith in der deutschen Filmlandschaft, die uns für gewöhnlich nur noch selten überraschen kann. Bernd Sobolla stellt uns den Film und seine ungewöhnlichen Dialoge vor.

Zu Gast im Studio ist nun die Regisseurin von "Finsterworld", Frauke Finsterwalder. Guten Tag!

Frauke Finsterwalder: Hallo!

Karkowsky: Und Sie haben das Drehbuch gemeinsam mit Ihrem Mann verfasst, mit Christian Kracht, auch er ist da. Guten Tag!

Christian Kracht: Guten Tag!

Karkowsky: Schämen Sie sich, dass Sie aus Deutschland kommen, Frau Finsterwalder, so wie Corinna Harfouch das gerade gesagt hat?

Finsterwalder: Ich habe darüber gar nicht so nachgedacht, bevor ich ins Ausland zog, und im Ausland wird man nicht immer unbedingt als Deutscher freundlich aufgenommen, und dann betrachtet man natürlich so eher von außen dieses Land und auch das Bild, was andere von außen von diesem Land haben, und man fragt sich halt, wie viel das mit einem selber zu tun hat.

Karkowsky: Und, was ist die Antwort, wie viel hat es mit Ihnen zu tun?

Finsterwalder: Wahrscheinlich mehr, als einem lieb ist. Aber ich glaube, der Unterschied ist, dass man eben auch lernen kann, das Ganze mit ein bisschen mehr Humor zu sehen und auch sich selber mit Humor zu sehen und auch die eigenen deutschen Eigenschaften mit Humor zu sehen, was ja angeblich keine deutsche Eigenschaft ist, der Humor, aber man kann ja auch lernen.

Karkowsky: Schon gar nicht der schwarze Humor, der in Ihrem Film ja eine ganz große Rolle spielt. Herr Kracht, wie ist das bei Ihnen? Gibt es Dinge, die Sie so aufregen an Deutschland, dass Sie gesagt haben: Die müssen unbedingt in diesem Film vorkommen?

Kracht: Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja eigentlich Schweizer und sehe das Ganze dann noch aus einer völlig anderen, eher so kleinländischen Perspektive. Aber ich habe eigentlich keinerlei Ressentiments gegenüber Deutschland, und ich finde die Sprache sehr schön, und mir fiel gerade heute Morgen auf, dass es wirklich, wirklich schöne Worte gibt wie "Wurstbrot" beim Frühstück und "Atomkrieg" und solche Sachen, die sehr viele ... sind sehr konsonantenreich, und darüber habe ich dann im Taxi hierher nachgedacht.

Karkowsky: Und?

Kracht: Und dann freute ich mich, in Berlin-West zu sein, und dieses verzeihende Herbstlaub, das sich über alles legt, macht es wahnsinnig hübsch und ein schönes Licht im Westen von Berlin.

Finsterwalder: Man muss aber auch ganz kurz sagen, dass ... so, wie Christian mich zwang eigentlich, das Drehbuch mit ihm zu schreiben, zwang ich Christian, einen Film über Deutschland zu schreiben, was Christian eigentlich gar nicht wollte.

Karkowsky: Warum nicht?

Kracht: Ja, das ist so ein schwieriges Riesenthema, also das ist ja, wie Sie vorhin mit diesem Monolith, das fand ich ein ganz gutes Wort, ... Ja, es ist ein ... wie dieser Monolith bei "2001", also das ist dieser schwarze Block, in dem sich diese Primaten oder Affen spiegeln, und den sie immer dann mit so Knochen behauen, glaube ich, und einfach nicht dahinterkommen, was das sein könnte.

Karkowsky: Also Deutschland als ewiges Rätsel für Sie auch?

Kracht: Ja, in dem Fall bin ich natürlich auch ... Ich bin ja dieser Primat und haue mit dem Knochen immer gegen die Wand und komme nicht weiter. Ich weiß nicht, wie es dir geht, Frauke?

Finsterwalder: Ich bin kein Primat!

Szene aus "Finsterworld" (Bild: Alamode Film)


Karkowsky: Wie sind Sie denn eigentlich auf Ihr Figurenensemble gekommen? Das ist ja nun höchst ungewöhnlich. Also es gibt da eine Gruppe Schulkinder samt Lehrer mit Sendungsbewusstsein. Die machen diesen Ausflug in eine KZ-Gedenkstätte. Dann gibt es den Polizisten mit Kuscheltierfimmel, der im, wie heißen die, Furrys, der im Fellkostüm sich mit seinen Gleichgesinnten trifft, weil er irgendwie ein Bedürfnis danach hat. Der hat eine dokumentarfilmende Freundin. Dann gibt es einen Einsiedler mit Vogel und es gibt ein saturiertes, reiches Paar, und natürlich die einsame Großmutter – wenn man genau aufpasst, ist es die Mutter des Paares, die von einem verhuschten Fußpfleger betreut wird.

Das ist ja schon, ja, was ist das für ein Ensemble? Das ist ja schon ein menschlicher Zoo, den Sie da angesammelt haben, oder?

Finsterwalder: Auf der einen Seite sind das alles Menschen, die wir kennengelernt haben oder beobachtet haben oder wie auch immer, also den Fußpfleger Claude zum Beispiel habe ich persönlich mal getroffen, als ich in München zu einer Fußpflege gehen wollte und es dann aber nicht tat, weil der Fußpfleger sehr unheimlich war und ich danach eben sagte zu Christian: Der backt bestimmt Kekse aus dem Fußstaub seiner Kundinnen im Altersheim. Jetzt ist der Claude in "Finsterworld" halt ein sehr sympathischer Mensch, das ist der sozialste Mensch in dem Film.

Aber genauso beruhen halt viele andere Figuren ... Das reiche Ehepaar zum Beispiel ist ein Ehepaar, was wir mal auf einer Reise in Südamerika beobachtet haben über mehrere Tage, die immer versuchten, am Telefon einen Hubschrauber zu bestellen und ihre Kreditkartennummer immer durchgaben enerviert, also das ...

Kracht: Durchschrien eigentlich.

""Alles Figuren, die sozusagen aus wahren Begebenheiten entstanden sind""

Finsterwalder: Ja, und daraus entstanden eben Georg und Inga. Dann die Schulklasse zum Beispiel, das ist was, was aus einem Dokumentarfilm von mir kommt, den ich gemacht habe, über Mobbing in einem Kinderzeltlager, das ist eigentlich eine Wiederholung dieser Geschichte, aber auf einer anderen Ebene. Und der Furry ist was, was Christian, glaube ich, schon seit 20 Jahren beschäftigt als Phänomen. Das sind eigentlich alles Figuren, die sozusagen aus wahren Begebenheiten entstanden sind, aber die natürlich auch sehr viel von uns in sich haben. Also viele dieser Figuren haben natürlich auch Eigenschaften, die unsere eigenen sind, sonst könnte man so was auch nicht schreiben oder so einen Film auch nicht drehen.

Karkowsky: Sie hören Frauke Finsterwalder, Regisseurin von "Finsterworld", und das Drehbuch hat sie gemeinsam geschrieben mit ihrem Mann Christian Kracht. Auf mich wirkte das auch sehr märchenhaft, wie Sie uns da durch Ihr Deutschland führen. Also es gibt diese viel zu alten Schulkinder, die in ihren Schuluniformen dann wieder wie Zwerge wirken, es gibt die einsame Alte, die auf Erlösung wartet durch den fußpflegenden Prinzen, es gibt das Hexenhaus, ja, es gibt ein Hexenhaus, das steht bereit in Form einer KZ-Gedenkstätte, und es wird ja dann auch tatsächlich ein Kind in den Ofen geschoben, also ähnlich wie bei Hänsel und Gretel, und das schreit dann panisch um Hilfe. Sie wissen natürlich, dass Sie damit gleich wieder so eine Diskussion auslösen, oder? Ist das nicht zu hart, darf man so was? Kann man so was zeigen?

Finsterwalder: Die Diskussion gibt es ja gar nicht interessanterweise, also zumindest gibt es sie in der Form nicht. Ich habe befürchtet, dass es sie geben würde, weil ich eben an der Filmhochschule, als ich das Drehbuch einreichte als meine Abschlussarbeit, da ziemlichen Ärger bekommen habe ...

Karkowsky: Mit der Szene?

Finsterwalder: Ja, oder insgesamt für das Drehbuch und aber auch für diese Szene, das war eine Diskussion, wo man mir gesagt hat: Willst du das wirklich tun? Bist du dir sicher, was du da tust, wenn du das zeigst? Aber wir haben den Film ja jetzt zum Beispiel im Ausland gezeigt, in Montreal, in Argentinien, da waren eben auch sehr viele ältere Menschen, die sich überhaupt nicht an dieser Szene gestoßen haben, also im Gegenteil. Und ich glaube, dass es ziemlich plausibel ist, warum die Szene im Film ist.

Karkowsky: Sagen Sie es mir, ich finde es nicht so offensichtlich – Herr Kracht, können Sie es erklären?

Kracht: Die Szene, um die es jetzt geht, ist im Film, um zu zeigen erst mal, wie man schuldlos schuldig wird im Falle des Lehrers Nickels, und dann ist sie natürlich im Film, weil sie die zentralste Szene des Films ist, in der das Unfassbare geschieht und das Böse in die Welt kommt.

Karkowsky: Es ist auf jeden Fall das arme Mädchen, das dann halt da drin liegt, gar nichts dafür kann, ...

Finsterwalder: Es ist nicht die böse Hexe. Das ist auch der Versuch, ein deutsches Märchen anders herum zu erzählen.

Karkowsky: Und dann wird auch noch der Falsche verantwortlich gemacht für das, was da passiert.

Finsterwalder: Genau.

Kracht: Ja.

Karkowsky: Also Schuld ist nicht unbedingt die Schuld der Gerechtigkeit, sondern in diesem Fall kann es halt auch jemanden treffen, der gar nichts dafürkann.

Finsterwalder: Man muss aber auch sagen, dass diese Szene auch wieder auf Beobachtungen basiert, weil wir gemeinsam in Auschwitz waren, in der Gedenkstätte, und eben eine deutsche Schulklasse dort beobachteten, die sich, nicht ganz so extrem, aber ähnlich verhielt, und dann eben auch die Frage bei uns aufkam, wie eigentlich die wirklich junge Generation, die jetzt keine Großeltern mehr hat, die beteiligt waren an der Geschichte oder so, wie die eigentlich dazu stehen und inwieweit eigentlich auch so unsere Art der Erinnerung überhaupt diese Menschen erreichen kann.

Karkowsky: Frauke Finsterwalder, ihr Spielfilm-Debüt als Regisseurin "Finsterworld" kommt heute in die Kinos. Christian Kracht hat am Drehbuch mitgeschrieben, mit beiden habe ich bereits am Sonntag gesprochen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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