Gegen den Schönheitswahn

Besser Haar dran als Haar ab

Berlin - Deutschland. Unrasierte Beine einer Frau. *** Berlin Germany Unshaved legs of woman
Das ist das einzige Agenturbild, das ich finden konnte, das ein Frauenbein mit Haaren zeigt. Im Jahr 2024. © IMAGO / Sabine Gudath
Von Maja Fiedler · 01.03.2024
Unsere Autorin hat sich 20 Jahre lang die Beine rasiert. Ohne diese Routine zu hinterfragen. Bis sie etwas zum Nachdenken bringt. Kurz darauf zwingt sie sich, das Rasieren zu lassen. Aus Prinzip. Wirklich drüberstehen, das übt sie bis heute.
Seit einiger Zeit rasiere ich mir meine Beinhaare nicht mehr. „Iiieh!“, werden Sie jetzt denken, „wie eklig ist das denn?“ Genau so hätte ich vor zwei, drei Jahren auch reagiert. Aber irgendetwas hat sich verändert. Ich fühle mich wohl in meinem Körper, so wie er ist. Zumindest meistens.

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Den Körperwahnsinn 20 Jahre lang nicht hinterfragt

Wie wahrscheinlich der Großteil der jungen Frauen habe ich mit viel zu jungen 14 Jahren angefangen, mir regelmäßig die damals noch feinen goldenen Beinhaare abzusäbeln. Müsste man mal ausrechnen, was die Rasierklingen-Industrie in den vergangenen Jahren an mir verdient hat. Alles begann damit, dass mich eine ältere Freundin mit ehrlicher Empörung fragte, ob ich mich nicht rasiere. Kurze Zeit später begann ich damit. Und habe es seitdem etwa 20 Jahre lang nicht hinterfragt.
Irgendwann, ich war gerade schwanger, habe ich dann etwas in einem Podcast gehört, das mich zum Nachdenken brachte. Eine Mutter erzählte, sie habe aufgehört, sich die Beine zu rasieren, damit ihr kleiner Sohn nicht in dem Glauben aufwachse, alle Frauenbeine seien glatt. Das blieb bei mir hängen und arbeitete.
Es begann damit, dass ich überhaupt erst mal registrierte, dass sämtliche Frauen um mich herum ihre Beine rasierten. Die glänzende nackte Wade, die an der Ampel bei der Fahrradfahrerin vor mir unter der Hose aufblitzte. Die Freundin, die mit dickem Babybauch kaum noch in ihre Schuhe kam, aber betonte, Beine rasieren, das müsse sein.
Die beiden Anfang 40-Jährigen, die am Rande eines Sportwettkampfes von ihrer Laserbehandlung schwärmten. Ja, es sei schrecklich teuer, aber tue kaum weh und sei es absolut wert gewesen. Selbst die hippe Bekannte, die in ihrem Bad eine Postkarte mit nackten Menschen in allen Formen und Farben mit Haaren in allen Formen und Farben ausstellte, trug ihre Beine blank.  

Ich zwang mich, mich an meinen Anblick zu gewöhnen

Erst mal nahm ich nur wahr. Dann begann ich mich selbst zu hinterfragen. Nein, frierend unter der Dusche meine Beine zu rasieren, machte mir keinen Spaß. Ich fand es lästig. Also begann ich es zu lassen. Tja, wie hässlich fand ich nun, was ich da Neues an meinem Körper entdeckte?
Zugegeben, als weiße, blondhaarige junge Frau bin ich selbst mit Haaren vermutlich nicht so weit entfernt von dem „Idealbild“ eines Beines, dem sich viele Frauen unterwerfen. Um so erschreckender, wie schwer es mir trotzdem fiel, das Natürliche anzunehmen. Und wir reden hier nur vom Rasieren der Beine! In der Hoffnung, mich an meinen eigenen Anblick zu gewöhnen, zwang ich mich dazu.
Wenn auch vorsichtig. Im Büro trug ich erst mal lange Hosen und keine Sandalen. Man hätte ja Haare hervorsprießen sehen können. Aber mit der Zeit wurde ich nachlässiger. Dann scannte ich die Blicke auf mich und brachte mich in Angriffsstimmung. Blieb jemand an meinem Beinhaar hängen? Der würde was zu hören bekommen! Aber nichts. Nur mein eigenes unterdrücktes Unwohlsein.
Ich wurde offensiver und befragte einige Männer in meinem nächsten Bekanntenkreis, was sie von Beinhaar hielten: „Was interessieren mich die Haare an deinen Beinen, ich hab doch auch welche.“ Idealantwort. „Pfff, mich stört's nich“. Gute Männer. Das kennt man ja auch anders.

In 20 Jahren will ich nicht mehr aus Prinzip handeln

Als ich Freundinnen von meinem Schritt erzählte, vielen die Antworten schon anders aus. „Ja gut, du hast aber auch blonde Haare, das sieht man ja kaum.“ oder „Ich hab meine Haare auch gerade zwei Wochen wachsen lassen. Weil ich nächste Woche ein Waxing hab. Hat mich auch null gestört.“ und „Echt, das könnte ich nicht. Für mich ist rasieren auch so ein Um-Mich-Kümmern.“ Ich war zugegeben etwas enttäuscht. Ich hatte mir mehr „Gemeinsam-Gegen-Bescheuerte-Schönheitsideale“-Spirit erhofft. Aber gut. Ist ja vor allem mein Ding.
In weniger willensstarken Zeiten hielten mich Bücher von Margarete Stokowski, Sandra Konrad und Mareike Fallwickl bei der Stange. Oder auch das gelegentliche Scrollen durch die Social-Media-Profile von Arvida Bystrom oder Molly Soda. Aber ich habe auch diese schwachen Momente. Vor dem Nachmittag am See mit vielen Freunden. Vor einem wichtigen Jobgespräch. Ja, ab und zu hab ich gekniffen und eine Leggins drübergezogen. Aber die Klinge angesetzt hab ich nicht mehr. 

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Inzwischen liegt mein Sinneswandel fast drei Jahre zurück. Und im Moment bin ich guter Dinge, dass ich mir meine Willensstärke auch für den nahenden Frühling bewahre. In 20 Jahren will ich das nicht mehr aus Prinzip machen, sondern auch ab und zu mal zum Rasierer greifen. Aber meistens nicht. Ich will, dass mein Sohn weiß, wie Frauenbeine aussehen und das nicht eklig findet. Bis dahin freue ich mich über jede Komplizin.
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