Schluss mit der Schlagloch-Verwaltung

Von Stephan Hebel |
Sollte die Finanzkrise irgendwann überwunden sein, wäre es höchste Zeit, die Statik unserer Institutionen einer General-Revision zu unterziehen. Es geht um nichts weniger als die Neudefinition des deutschen Föderalismus, meint Stephan Hebel.
Es ist einiges los im europäischen Haus: Ganz oben brennt es lichterloh, ganz unten schimmeln die tragenden Wände. Oben, wo Europas Staatenlenker sitzen, befehligt Angela Merkel einen Feuerwehr-Einsatz nach dem anderen. Unten, wo der alltägliche Kampf gegen Schlaglöcher, Bildungsmangel und Kulturverlust tobt, fehlen dieselben Euros, mit denen wir unsere Banken retten, an allen Ecken und Enden.

Sollte die Finanzkrise irgendwann überwunden sein – es wäre höchste Zeit, die Statik unserer Institutionen einer General-Revision zu unterziehen. Wenigstens im deutschen Flügel des europäischen Hauses. Das war auch vor der großen Krise längst überfällig. Jetzt wird die Reform um ein Vielfaches schwieriger, aber weniger dringlich ist sie nicht. Es geht um nichts weniger als die Neudefinition des deutschen Föderalismus.

Der Stand der Dinge ist dieser: Die drei Ebenen unseres Staatsaufbaus, also Bund, Länder und Kommunen, sind einander in kleinkarierter Konkurrenz verbunden. Und dabei gilt im Großen und Ganzen eine Faustregel: Je näher die Politik dem Bürger kommt, desto weniger Gestaltungsfreiheit hat sie. In Städten und Gemeinden ist politische Arbeit beinahe zur Schlagloch-Verwaltung verkommen.

Man sollte zwar das Argument der Bürgernähe nicht überstrapazieren. Denn auch die vermeintlich abstrakten Entscheidungen auf bundesdeutscher oder gar europäischer Ebene wirken direkt auf unser Leben ein. Und zwar oft mehr, als das politikverdrossene Publikum das wahrhaben will. Aber es bleibt doch richtig, dass eine Entscheidung zwischen Sportplatz und Straße, zwischen Altenclub und Kindergarten den Alltag zunächst spürbarer bestimmt als eine Steuerreform.

Eigentlich, denn es gibt so gut wie nichts zu entscheiden. Viele Städte und Gemeinden leben von kurzfristigen Kassenkrediten, deren Volumen in den vergangenen Jahren auf rund 45 Milliarden Euro gestiegen ist. Manche stehen längst schon unter Aufsicht ihres Bundeslandes, weil der Haushalt vollständig aus dem Ruder läuft. Unter Aufsicht desselben Bundeslandes, das seinen Kommunen das Geld für gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben mit allen Tricks verweigert.

Von den "klebrigen Händen" der Länder reden Fachleute. Und die Bundesebene zeichnet sich kaum weniger durch den Unwillen aus, für Aufgaben, die sie den Kommunen gesetzlich auferlegt, vollständig und pünktlich zu zahlen. Und es ist ja kein Wunder, dass Bund und Länder knausern. In zwei Jahrzehnten ideologisch bestimmten Staatsabbaus haben sie ihre eigene Verarmung systematisch betrieben, daran ändert auch ein konjunkturell bedingter Rekord bei den Steuereinnahmen nichts.

Es ist in Zeiten von Stuttgart 21 und "Occupy" oft von Bürgermacht und Bürgerbeteiligung die Rede. Es gäbe keinen besseren Ort, damit zu beginnen, als Dorf, Stadt und Kreis. Das gilt gerade in Zeiten, da viele politische und ökonomische Prozesse sich zunehmend globalisieren und europäisieren. Heimat – dieses schöne Wort bezeichnet in solchen Zeiten am ehesten die verbliebenen Räume der Überschaubarkeit, die sichtbare – und eben auch gestaltbare – Umgebung des eigenen Lebensorts.

Der Kieler Bürgermeister Torsten Albig hat mehrmals versucht, dieser Erkenntnis durch einen radikalen Vorschlag gerecht zu werden: Er forderte die Abschaffung der Bundesländer und die Neuverteilung politischer Aufgaben allein zwischen Bund und Kommunen. Das Echo war erschreckend gering. Selbst eine Zusammenlegung mehrerer Länder scheitert immer wieder an den Interessen der 16 eigenständigen Beamten-Apparate.

Der Kieler Torsten Albig wird vielleicht bald Gelegenheit haben, die Ernsthaftigkeit seiner Idee unter Beweis zu stellen. Er ist Spitzenkandidat der SPD für das Amt des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein. Ein Regierungschef schafft sein Land ab? Das wäre mal ein mutiger Anfang.

Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.
Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau
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