Kulturprojekt Schloss Bröllin

Nach 30 Jahren sind die Theaterleute immer noch da

10:43 Minuten
Aufnahme von Schloss Bröllin, im Vordergrund stehen links einige Bäume, das Gebäude mitsamt des mächtigen Turmes an der rechten Seite ist weiß angemalert. Im Hintergrund des Schlosses sind Baumkronen zu erkennen.
Schloss Bröllin in Mecklenburg-Vorpommern. Der letzte Bulle wurde 1992 aus dem Stall geführt, Künstler sanierten das denkmalgeschütze Ensemble. © picture alliance / dpa / Winfried Wagner
Von Ulrike Sebert · 20.07.2022
Audio herunterladen
In der Nähe von Pasewalk haben sich nach der Wende Künstler aus Berlin angesiedelt. Drei Monate gab ihnen der Landrat damals. Heute ist Schloss Bröllin ein international anerkannter Ort der Kunstproduktion.
Eine schmale Straße führt von Pasewalk fünf Kilometer durch den Wald, zwischendurch der Blick über Sommerwiesen und Felder. Dann ein Ortseingangsschild. Bröllin. Auf der rechten Seite des Ortes stehen eine Handvoll Häuser aus grauem Feldstein. Links führt ein holpriger Pflasterweg auf eine riesige Anlage: Schloss Bröllin, einst ein Gutshaus, vielleicht auch ein Rittergut.
Zu DDR- Zeiten wurde es von der LPG bewirtschaftet. Rinder und Schweine leben aber schon lange nicht mehr in den alten Ställen. Der letzte Bulle wurde 1992 herausgeführt. Das Gehöft stand leer, bis Peter Legemann und seine Westberliner Theatertruppe nach Bröllin kamen. "Der Landrat hat damals gesagt: 'Warten wir mal drei Monate, dann sind die wieder weg'", erinnert sich Legemann.

Image von Chaoten und Spinnern

Das Berliner Aktionstheater hatte damals nach einem neuen Probenraum gesucht und wurde fündig in Bröllin, das sehr viel Platz für die Kunst anzubieten hatte. Aber ersteinmal musste aufgeräumt werden: Kein Raum im Gutshaus war sofort bewohnbar, viel war verwüstet worden im Wendefrust. Bauarbeiten waren abgebrochen worden, die Ställe waren voller Dreck.

Abonnieren Sie unseren Denkfabrik-Newsletter!

Hör- und Leseempfehlungen zu unserem Jahresthema „Es könnte so schön sein… Wie gestalten wir Zukunft?“. Monatlich direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Das Theater von damals gibt es nicht mehr, aber einige der Macherinnen und Macher gestalten noch immer die Gegenwart. "Aus den drei Monaten sind inzwischen 30 Jahre geworden", sagt Legemann. Die Bevölkerung habe gedacht, sie seien Chaoten. "Da war das erste Butoh-Festival: also immer Frauen mit entblößten Brüsten und weiß angemalt. Irgendwie Sekte, irgendwie totale Spinner."
"Dieses Image sind wir bis heute eigentlich noch nicht ganz losgeworden", sagt Urgestein Legemann, aber es sei immerhin sehr viel besser geworden. "Wir werden wirklich inzwischen sehr ernst genommen als kulturpolitischer Player - sowohl von der Region, als auch von der Landesregierung."

Theater, Musik, Zirkus, Kunst

Oben ohne wird hier schon lange nicht mehr getanzt. Seit 30 Jahren werden hier Theater und Musik gemacht, wird am Trapez geprobt, es gibt Zirkus und zeitgenössische Kunstausstellungen oder eine Lesung wie an diesem Abend: Verena Kessler liest aus ihrem Buch „Gespenster von Demmin“.
Die neue Lesereihe wird gefördert vom Deutschen Literaturfonds. Darüber freut sich Peter Legemann, der viele Jahre lang im Vorstand des Vereins "Schloss Bröllin“ saß. "Das grundsätzliche Problem von Bröllin ist, dass wir alles über Projektförderung finanzieren müssen", erklärt er. Man habe noch keine Basisfinanzierung. "Deswegen kommt der Gedanke, dass wir eigentlich schon längst eine Betreibergesellschaft hätten gründen müssen. Zurzeit haben wir den Stiftungsgedanken, da gibt’s bestimmte Ängste im Verein, die Ideen sind alle da. Es ist nur die Frage: Wie setzen wir das dann um?"
Die Butoh-Tänzer Yuiko Yoshioka (links) und Kim Itoh. Itoh hält mit ihrer linken Hand die schwarzen, langen Haare hoch, beide haben den Mund schreiend weit geöffnet
Yuiko Yoshioka (links) und Kim Itoh brachten Elemente des Butoh-Tanzes 1994 auf Schloss Bröllin. Sie kamen mit dem japanisch-deutschen Tanztheater "tatoeba-Theatre Danse Grotesque" auf den Hof in der Nähe von Pasewalk.© picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Die Akzeptanz in der Region zu erreichen, war nicht einfach. Während die Einheimischen sich mit den Herausforderungen der Wende konfrontiert sahen, war Bröllin für die Künstler aus Berlin ein Abenteuer. Mit viel Enthusiasmus und Eigeninitiative wurde renoviert, und natürlich wurde Theater gespielt in den großen Ställen.
Skeptisch, aber auch neugierig betrachteten die Alteingesessenen die verrückten Neuankömmlinge meistens aus der Distanz. Nur manchmal kamen Einheimische zu den Aufführungen.

Verhandlungen mit der TLG über Bröllin

"Ich bin hier hereingeschneit mit der Absicht, mich für das Management dieses Objektes zu engagieren. Da war von Anfang an der Gedanke: Kann man da was Längerfristiges draus machen? Und dann habe ich acht Jahre mit der TLG, mit der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft, verhandelt. Und immer wenn ich 'ich' sage, meine ich 'immer'. Da waren immer Leute beteiligt. Ich hab immer Bündnispartner gebraucht und gesucht und auch gefunden. Und wir haben uns auf 240.000 Mark geeinigt, das Ding zu kaufen und im Jahr 2000 haben wir den Vertrag unterschrieben."
Ab diesem Zeitpunkt war es möglich, endlich Fördergelder für die schrittweise Sanierung der denkmalgeschützten Anlage zu beantragen.
Auch Elfriede Schrot, die hier besser bekannt ist als "Kräuterhexe Klex", ist von Anfang an mit dabei. Sie sitzt in der Küche an einem der langen Holztische und bereitet für die Lesepause Flammkuchen vor, natürlich mit frischen Kräutern. "Ich bin hier am Zwiebel schneiden, und das habe ich damals vor 30 Jahren auch gemacht." Riesige Töpfe voll Spaghetti und Spaghetti-Sauce habe sie gekocht – hauptsächlich "für die Jungs vom Theater, denn als wir hierher kamen, waren die Tiere gerade rausgetrieben worden, und die ganzen Gebäude waren voller Kornstaub und den Hinterlassenschaften von Rindern und Schweinen. Also es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schweinearbeit. Und da ich schon immer die Älteste von der ganzen Bagage da war – bis auf Peter –hab' ich dann eben gekocht."

Brückenbauen zur Bevölkerung

Schrot hat schon vielen Kindern das Zaubern beigebracht, sie künstlerisch in Workshops inspiriert oder ihnen den Reichtum der umgebenden Natur erklärt. Dadurch hat sie Brücken gebaut zu den Einheimischen – zum Beispiel zu Uta aus dem Nachbarort, die regelmäßig auf Bröllin ist. Zum Austausch trifft man sich gern in der kleinen Bar.
"Es ist schon ein experimentelles Angebot, wo sich natürlich nicht ganz Pasewalk drum reißt", sagt Uta. Sie sei Bröllin seit zwanzig Jahren gut verbunden. "Das hat angefangen mit Veranstaltungen, die ich verfolgt habe, wo ich damals meine Kinder vorgeschickt habe, die hier ganz tolle Dinge erleben konnten. Ich kann das gar nicht alles aufzählen."
Vor vierzehn Tagen sei sie bei einem Chortheater "Ins Blaue" gewesen, nun "diese wunderbare Lesung mit der Verena Kessler" und sie selber sei auch in Tanzprojekte involviert. "Das ist auch eine richtig tolle Geschichte, dass Bröllin versucht, die Einheimischen miteinzubeziehen. Es kommen Künstler aus Deutschland und dem Ausland, und stellen Projekte vor, wo Laien mitgestalten dürfen, das verbindet natürlich ganz wunderbar." Das ist ein Superausgleich zum Alltag, der in Mecklenburg-Vorpommern an sich schon schön sei: "Aber Bröllin ist noch mal 'ne Schippe drauf."

Utopie im Sinne der Kunst

Viele sind gekommen und wieder gegangen. Andere sind geblieben. Manche sind von Anfang an bis heute der Utopie von Bröllin treu geblieben: gemeinschaftlich für und mit der Kunst zu leben. Eine Mischung aus Paradies und Arbeitsstätte.
Es gibt 70 aktive Mitglieder im Verein und ebenso viele Fördermitglieder. Sie treffen sich zu Veranstaltungen, Mitgliederversammlungen, Subbotniks und gestalten gemeinsam Projekte für die Region. Momentan laufen die Vorbereitungen für das große Geburtstagsfest.
Es sei nicht immer einfach mit dem demokratischen Grundgedanken, aber die Vision habe sie immer getragen, erläutert Kräuterhexe Klex: "Meine Vision von dem Ganzen war immer, sich gegenseitig zu inspirieren. Heute ist auch ganz viel weggebrochen durch Corona an Auftrittsmöglichkeiten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass es hier einen Ort gibt, wo mehrere Gruppen parallel arbeiten können und sich dadurch neue Kombinationen entwickeln."
Tino Vetter ist Percussionist aus Berlin: "Ich mache jedes Jahr mit meiner Gruppe ein Workshop-Wochenende, mittlerweile seit sechs Jahren. Meine Gruppe nennt sich 'Vetter Sound'" berichtet er. "Was ich auch toll finde: Wir haben hier schon verschiedene Zirkusartisten erlebt, die dann Samstagabend noch ihr Programm vorgeführt haben, was sie erarbeitet haben; oder Theatergruppen, die ihr Stück aufgeführt haben, die Premiere überhaupt vor Publikum." Es sei immer wieder toll, solche Sachen zu sehen, oder auch, darüber zu sprechen, wie etwas angekommen ist. "Das hat man ja sonst weniger." Ein toller Ort der Begegnung sei Schloss Bröllin", sagt er. "Und die Bar macht dann das Übrige."

Partizipative Kunst

Tino Vetter probt im sogenannten Deutsch-Polnischen Begegnungszentrum. Die beiden Seminarräume befinden sich im Neubau, rechts und links wurden die grauen Feldsteinmauern des großen Bullenstalls integriert. Die Trommel-Gruppe wohnt hier auch im Haus, in Einzel- und Mehrbettzimmern. Auch Studenten der FH Potsdam haben sich für ein Seminar eingemietet.
"Das war der Grundgedanke, dass man nicht nur Einzelkünstler, sondern Gruppen von fast beliebiger Größe hier beherbergen kann. Aber inzwischen sind wir sehr viel weiter. Wir machen nicht mehr nur das Residenzprogramm, sondern Kunstproduktionen im allgemeinsten Sinne, zeitgenössische Kunst." Sein persönliches Faible sei "die gesellschaftliche Funktion", fährt Legemann fort: "Die gesellschaftliche Funktion von Kunst und Kultur – da habe ich vor etlichen Jahren das TRAFO-Projekt initiiert. Da geht es definitiv darum, dass man sich in der Region verankert, oder besser, dass man das Kulturprojekt in der Region verankert, sehr viel mit der Bevölkerung macht: partizipative Kunst."
Mit 1,25 Millionen Euro fördert die Kulturstiftung des Bundes Bröllins Utopie für die kommenden Jahre. Mit zusätzlichen Mitteln der Europäischen Union konnten insgesamt sieben Stellen geschaffen werden - zwar zeitlich befristet, aber immerhin. Das Ziel: Partizipative Beteiligung der Bevölkerung mit den Mitteln der Kunst. Auch vom Land, vom Landkreis, sowie von der Ostdeutschen Sparkassen-Stiftung erhält Bröllin Unterstützung. 

Generationenwechsel im Vorstand

Peter Legemann ist bei der letzten Vorstandswahl nicht mehr angetreten: "Man muss mal die neue Generation ranlassen – das setzt aber voraus, dass die Alten erstmal loslassen. Ich habe jetzt losgelassen." Der Vorstand sei zudem verkleinert worden. "Der Generationswechsel ist ja kein Schritt von heute auf morgen, sondern das ist ein Prozess. Und dieser Prozess ist im Gange, der ist noch lange nicht abgeschlossen." Vermutlich dauere es Jahre. sagte Legemann: "Dieser enorme Aufwand, die unglaubliche ehrenamtliche Tätigkeit, die damit verbunden ist, dieser hohe ideelle Faktor, das ist nicht mehr das Ding der heutigen Generation. Die heutige Generation denkt anders."
Trotz vieler Unwägbarkeiten und zäher Debatten hat sich Schloss Bröllin fest verankert in der Region und darüber hinaus. 30 Jahre deutsch-deutsche Gegenwart. Am kommenden Wochenende wird gefeiert.
Mehr zum Thema