Moralische Werte für Führungskräfte

„Falsches Verständnis von Macht“ im Fall Schlesinger

10:55 Minuten
Eine goldene Krone
Wer in einem Unternehmen oben steht und Macht ausübt, sollte ein moralisches Einschätzungsvermögen haben, sagt der Wirtschaftsethiker Martin Booms. © imago images/ylivdesign
Martin Booms im Gespräch mit Nicole Dittmer · 05.08.2022
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Fragwürdige Beraterverträge, Luxus-Dienstwagen, dubiose Abrechnungen: Gegen die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger gibt es zahlreiche Vorwürfe. Führungskräfte bräuchten ein moralisches Urteilsvermögen, sagt der Wirtschaftsethiker Martin Booms.
Seit Wochen gibt es zahlreiche Vorwürfe gegen die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Patricia Schlesinger – immer verbunden mit dem Thema Geld: darunter dubiose Beraterverträge, fragwürdige Aufträge für ihren Ehemann, Vorwürfe falscher Abrechnungen von Abendessen, ein Luxus-Dienstwagen. Inzwischen hat sie erste Konsequenzen gezogen und ihr Amt als ARD-Vorsitzende abgegeben.
Im Zusammenhang mit den Vorwürfen wird immer wieder die Frage nach der Vereinbarkeit von Schlesingers Verhalten mit den Compliance-Regelungen des RBB gestellt. Das englische Wort „Compliance“, das in immer mehr Unternehmen und Betrieben eine Rolle spielt, meint die Einhaltung von Gesetzen, Regeln und Normen.

Ethisches Verhalten "muss von innen kommen"

Aber wie ist das mit den Compliance-Regeln? Ist man, wenn man sie einhält, auf der sicheren Seite und hat sich auch moralisch nichts vorzuwerfen? „Das wäre zu einfach“, sagt Martin Booms, Wirtschaftsethiker und Direktor der Akademie für Sozialethik und öffentliche Kultur in Bonn. Es müsse eine wertorientierte innere Haltung – "Integrity" genannt – dazu kommen. Beim Blick auf Führungskräfte gelte: Erst beides zusammen ergebe eine gute Unternehmensführung.
Es gehe ja um Unternehmensethik, also ethisches Verhalten – und das sei eine Kompetenz, die von innen kommen müsse, erklärt Booms. Führungskräfte müssen ein solches moralisches Einschätzungsvermögen haben.“ Das sei zu lange vernachlässigt worden, auch in der Ausbildung.

Vorstandsvorsitzende(r) als erster Diener

Grundsätzlich habe die Wirtschaft eine dienende Funktion für die Menschen – nicht andersherum. Und das gelte auch für Führungspositionen: „Je mächtiger eine Person ist in einem Unternehmen, umso größer ist die Verantwortung. Man kann sagen, die mächtigste Person – etwa eine Vorstandsvorsitzende oder ein Vorstandsvorsitzender – ist zugleich die erste Dienerin des Unternehmens.“ Macht bedeute eigentlich immer Verantwortungsdruck in ganz besonderer Weise. „Macht heißt nicht, ich bin jetzt in der Situation durchsetzen zu können, was immer ich will. Das ist ein grundlegendes Missverständnis.“
Es gebe die Verantwortungsdimension nach innen, gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch gegenüber der Gesellschaft. Der Kern sei immer: Wo tangiere ich mit dem unternehmerischen Handeln berechtigte Interessen Dritter?
Häufig würden diese unternehmensethischen Dinge im Grunde ausgegliedert, zum Beispiel wenn es um die ökologische Verantwortung gehe. „Da machen Unternehmen ganz viele ganz tolle Sachen für die Natur oder für die Gesellschaften, schauen aber gar nicht darauf: Was ist denn in meinem Kerngeschäft moralisch fragwürdig?“ So komme es nicht selten vor, dass nach außen hin viele tolle Projekte gemacht würden – „aber nach innen, da wo es wirklich ernst wird, da ist es dann sehr weich oder es ist vielleicht überhaupt nichts“.

"Macht dient nicht mir"

In Bezug auf den rbb als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die aus Gebühren finanziert wird, gebe es eine besondere Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und in der Verwendung dieser Gelder, betont Booms.
Er sieht hier einen möglichen problematischen Umgang mit Macht: „Ich glaube, dass wir hier auch einen Fall sehen, wo dieses falsche Machtverständnis gegriffen hat. Also ein Machtverständnis, das sich von einem Verantwortungsverständnis entkoppelt hat.“ Macht heiße, eine Verantwortungslast zu tragen im Dienst für die Organisation, der man vorstehe – in diesem Fall einem Sender oder eben der Öffentlichkeit. „Meine Macht muss ich immer in den Dienst dieser Dinge stellen, für die das Unternehmen da ist. Macht dient nicht mir. Dann ist es ein Missverständnis.“

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