Schlemmers verschleudertes Erbe

Von Christian Gampert |
Weil sich die Erben Oskar Schlemmers nicht einigen können, soll der Nachlass des großen Bauhaus-Künstlers unter den Hammer kommen. Die Folgen sind desaströs. Ölgemälde, Reliefs, Skulpturen, Aquarelle, Zeichnungen und Hinterglasbilder: Noch nie ist eine so große Menge musealer Werke eines einzelnen Künstlers auf einen Schlag auf den Markt gekommen. Und es besteht die Gefahr, dass die Arbeiten in den Gemächern reicher Privatiers verschwinden.
In der Stuttgarter Staatsgalerie ist man nicht sehr glücklich über das, was mit Oskar Schlemmers Werk jetzt passiert. Seit den 1970er Jahren beherbergt die Staatsgalerie nämlich nicht nur das Schlemmer-Archiv, sondern auch zahlreiche Arbeiten des Bauhaus-Künstlers, zum Teil als Ankäufe, zum Teil als Deposita, die aber natürlich auch ausgestellt werden konnten.

Die letzten dieser Leihgaben, 42 Papierarbeiten und drei Reliefs, mussten die Stuttgarter nun herausrücken für die am 6. Dezember stattfindende Versteigerung des Kölner Auktionshauses Lempertz. Der Auktionator spricht von einer Zwangsversteigerung auf Gerichtsbeschluss.

Hintergrund ist ein Streit der Schlemmer-Erben, und die Vorgeschichte ist kompliziert: Tut Schlemmer, die Witwe des 1943 gestorbenen Oskar Schlemmer, kümmerte sich engagiert um Ausstellungen und um die wissenschaftliche Aufarbeitung des Oeuvres. Als sie 1987 starb, übernahm ihre Tochter Ute Jaina Schlemmer die Oberaufsicht über die Werke - mit dubiosen Folgen: Immer mehr Arbeiten verschwanden in den familiären Privat-Depots in der Schweiz und zuletzt wohl auch in Italien, immer mehr Werke wurden aus Museen abgezogen, immer mehr Arbeiten aus Wechselausstellungen herausgenommen und nicht mehr zurückgegeben.

So jedenfalls die Darstellung der zweiten Erbin, Janine Schlemmer. Sie ist die Tochter der erstgeborenen Schlemmer-Tochter Karin, die als Schauspielerin in Stuttgart Karriere machte und früh verstarb. 1987, als Janine Schlemmer (als Enkelin) ihr Erbe hätte antreten müssen, war sie 23 Jahre alt. Sie fühlte sich zu jung für eine solche Aufgabe und überließ die Verwaltung des Schlemmer-Werks zunächst ihrer Tante Ute Jaina.

Als Janine Schlemmer allerdings begriff, dass durch die restriktive Politik ihrer Tante eine wirkliche Pflege von Schlemmers Werk eher verhindert wurde (die letzte große Schlemmer-Retrospektive hat 1977 in Stuttgart stattgefunden), bestand sie auf ihrem Erbteil. Sie wollte ihr Erbe nun tatsächlich antreten, sprich: mitbestimmen. Das wurde von der Gegenseite verweigert.

Nun wurde es schwierig, denn: Eine Erbengemeinschaft kann nur gemeinsam über das Erbe verfügen. Einigen sich die Erben nicht, dann besteht - im Fall Schlemmer - die einzige Erbteilungs-Möglichkeit in der Zwangsversteigerung der Bilder, damit jede Partei den Geldwert des Erbes erhält. Genau das passiert jetzt. Zunächst werden 64 Schlemmer-Werke versteigert, im nächsten Jahr soll eine zweite Schlemmer-Auktion folgen. Vorausgegangen war ein juristischer Zwist bis hin zum Bundesgerichtshof.

Die Folgen für das Werk sind desaströs. Noch nie ist eine so große Menge musealer Werke eines einzelnen Künstlers auf einen Schlag auf den Markt gekommen, und es besteht die Gefahr, dass die Arbeiten in alle Himmelsrichtungen verteilt werden und in den Gemächern reicher Privatiers verschwinden, sprich: für die öffentlichen Museen (und wahrscheinlich auch für den Ausstellungsbetrieb) vorerst verloren sind.

Es sei denn, große Museen - etwa die Stuttgarter Staatsgalerie - bieten mit. Aber die halten sich natürlich bedeckt. Und: Sie haben eigentlich kein Geld - der Ankaufs-Etat der Staatsgalerie etwa ist lächerlich klein. Ein Skandal, den die baden-württembergische Landesregierung seit Jahren unter dem Tisch zu halten versucht.

In Köln werden zwei bekannte Gemälde Schlemmers aus den 1910er Jahren unter den Hammer kommen, "Mann mit Fisch" von 1916/18 und "Komposition auf Rosa" von 1916, letzteres allerdings in einer vom Künstler selber vorgenommenen Variation mit Lack- und Metallfarbe von 1930. Der Schätzwert dieser beiden wichtigsten Werke der Auktion liegt bei 1,2 beziehungsweise zwei Millionen Euro.

Wer bietet mit? Sodann gibt es ein ganzes Konvolut von Papierarbeiten, Tuschfederzeichnungen weiblicher Figuren und gestaffelter Gestalten, Aquarelle von Halbfiguren, eine Bleistift-Skizze zur "Bauhaus-Treppe", Hinterglas-Malerei. Dazu einige der berühmtesten Gips-Plastiken und eine riesige Draht-Figur. Thema all dieser Arbeiten ist, wie so oft bei Schlemmer, die Typisierung und Stellung der menschlichen Gestalt im Raum.

Für Janine Schlemmer, die Enkelin, ist die Versteigerung kein Triumph: Sie will im Grunde nur erreichen, dass das Werk ihres Großvaters wieder gezeigt werden kann. Das würde natürlich am ehesten erreicht, wenn die Werke von öffentlichen Museen ersteigert würden.

Bei der Kölner Auktion wird allerdings nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar. Rund 3000 Werke hortet der andere Familienzweig: Ute Jaina Schlemmer und ihr Sohn Raman, angeblich noch in Italien. Und dort mahlen die Mühlen der Justiz etwas langsamer als in Deutschland.
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