Versuchter Befreiungsschlag

Von Christian Gampert |
Im Jahr 2009 jährt sich die Bauhaus-Eröffnung zum 90. Mal. Doch einer der wichtigsten Bauhaus-Künstler, Oskar Schlemmer, droht aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verschwinden, weil ein Teil seiner Erben Ausstellungen oder Reproduktionen verhindert. Schlemmers Enkelin Janine versuchte heute mit einer Pressekonferenz, den Nachlassverwalter zum Einlenken zu bewegen.
Die rechtliche Lage ist kompliziert, und das Werk des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer ist ernsthaft in Gefahr: es droht, aus dem Bewusstsein des Publikums zu verschwinden. Kein Wunder, wenn es nie präsentiert wird, wenn eine wissenschaftliche Aufarbeitung behindert wird, wenn Reproduktionsgenehmigungen für Kataloge nicht erteilt oder mit horrenden Geldforderungen verbunden werden.

Urheber dieser Situation ist ein Zweig der Schlemmer-Familie. Seit Schlemmers Witwe Tut Schlemmer, die sich engagiert um das Werk ihres Mannes gekümmert hatte, 1987 starb, verwaltet die Schlemmer-Tochter Ute Jaina zusammen mit ihrem generalbevollmächtigten Sohn Raman, also Schlemmers Enkel, den Nachlass. Sie tun das so selbstherrlich, dass weite Teile der wissenschaftlichen Öffentlichkeit seit Jahren darüber klagen: Wichtige Bilder werden aus Museen abgezogen und nicht mehr ausgeliehen, Reproduktionsgenehmigungen verweigert. Bei dem größten Teil der 3000 Schlemmer-Werke weiß man noch nicht einmal, wo sie sich überhaupt befinden - die Familie hortet den Besitz irgendwo in der Schweiz und in Italien und entzieht sie so dem Zugriff der deutschen Justiz.

Und die hätte gut zu tun: Schlemmer hatte nämlich eine zweite Tochter, Karin, die früh verstarb. Deren Tochter Janine Schlemmer, eigentlich die zweite, paritätische Erbin des Werks, hat bislang keinerlei Einfluss auf die Aktionen der anderen Familienhälfte nehmen können - geschweige denn ihr Erbe je gesehen. Nach jahrelangen Versuchen, sich mit ihrer Tante und ihrem Cousin zu einigen, ging sie heute mit einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit:

"Ich will erreichen, dass etwas in Bewegung kommt, dass etwas Positives in Bewegung kommt natürlich, dass vielleicht eine Lösung gefunden wird, wie vielleicht der Nachlass meines Großvaters wieder in seinem Sinne gut gepflegt werden kann. Und es ist einfach so, dass ich es an der Zeit fand, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil das Werk meines Großvaters wirklich sehr geschädigt wird durch die momentane Art und Weise der Nachlassverwaltung."

Janine Schlemmer will, dass das Werk gezeigt wird, dass es wissenschaftlich erforscht und in Katalogen abgebildet wird. Seit 1977 hat keine Schlemmer-Retrospektive mehr stattgefunden. Dass es zu dieser Situation gekommen ist, liegt auch am deutschen Erbrecht. Janine Schlemmers Anwalt Walter Hagena erläutert warum:

"Erbengemeinschaft bedeutet, dass alle Erben, die gemeinsam eine Person beerbt haben, nur gemeinsam über den gesamten Nachlass, wie immer er sich auch zusammensetzt, verfügen können, nur gemeinsam verwalten können. Das heißt, wenn nur einer eine Maßnahme, eine Aktion verweigert, kann die nicht stattfinden."

Auch von den Werken, die sich noch in Museen befinden, kann Janine Schlemmer also nicht einfach die eine Hälfte für sich beanspruchen: sie müssten - nach deutschem Recht - zuerst verkauft, zwangsversteigert werden, damit sie dann den Geldwert erhalten könnte. Das aber will die Erbin gar nicht: Sie will die Bilder, um sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Die Lage ist verzweifelt bis ausweglos, solange sich Raman Schlemmer, der eigentliche Hüter der Schlemmer-Bilder, jeder Kommunikation sperrt. Janine Schlemmer erhielt auf der Pressekonferenz allerdings prominente Schützenhilfe: Wolf Herzogenrath, der Direktor der Bremer Kunsthalle, und Ernst-Gerhard Güse, der Direktor der Museen der "Klassik Stiftung Weimar", wandten sich in dramatischen Appellen an ihre Kunsthistoriker-Gilde.

"Es kann so nicht weitergehen, Schlemmer darf nicht noch einmal sterben", sagte Herzogenrath; und Güse beschwor einen kunstwissenschaftlichen Alptraum: die große Bauhaus-Jubiläums-Ausstellung 2009 müsste (nach dem derzeitigen Stand der Dinge) ohne die Werke des prägenden Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer auskommen.