Schirrmacher-Preis an Peter Thiel

Nihilismus statt Weltverbesserung

10:14 Minuten
Peter Thiel steht vor einem Mikrofon.
Der Tech-Investor Peter Thiel bei einer Veranstaltung der US-Republikaner im Jahr 2016. © picture alliance / AP Images / Carolyn Kaster
Timo Daum im Gespräch mit Gesa Ufer · 06.10.2021
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Den diesjährigen Frank-Schirrmacher-Preis erhält der Investor und Digital-Pionier Peter Thiel. Der Namensgeber wäre darüber nicht begeistert, meint der Autor Timo Daum. FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube widerspricht.
20 Jahre lang war der Journalist und Autor Frank Schirrmacher Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Eines seiner zentralen Themen bis zu seinem Tod im Jahr 2016 waren die Folgen der Digitalisierung und des Internets für die Gesellschaft.
Dabei warnte er stets auch vor einem entfesselten Kapitalismus im Silicon Valley. Am 7. Oktober wird nun der nach ihm benannte Frank-Schirrmacher-Preis für "herausragende Leistungen zum Verständnis des Zeitgeschehens" an Peter Thiel gehen, den Gründer von Paypal und Großinvestor bei Facebook.

"Radikalisierte kalifornische Ideologie"

Diese Wahl ist auf Kritik gestossen. Für den Sachbuchautor und Dozenten Timo Daum steht Thiel für eine "radikalisierte kalifornische Ideologie, also für die Überzeugung, dass technologischer Fortschritt unermüdlich vorangetrieben werden soll, ohne Rücksicht auf potenzielle Gefahren für die Einzelnen oder für die Gesellschaft als Ganzes".
Thiel und seine Stiftung treten etwa für die Besiedlung des Mars und das Streben nach ewigem Leben ein. Thiel stehe damit paradigmatisch für das Kippen der Idee der Weltverbesserung: "Bei ihm kippt das in so eine Art Nihilismus", sagt Daum.
Die CIA sei einer seiner wichtigsten Kunden – "ein Paradebeispiel für den Überwachungskapitalismus". Auch habe Thiel kein Problem mit Donald Trump gehabt, und die Klimakrise genieße bei ihm wegen der kommenden Besiedlung anderer Planeten nur eine geringe Bedeutung.
Schirrmacher, der für einen modernen Konservatismus gestanden habe, wäre laut Daum deshalb "nicht begeistert" gewesen über den Preisträger, "der auch ganz bestimmt kein Intellektueller ist", sagt Daum. Thiel glänze nicht durch besondere Analysen über den digitalen Kapitalismus.

FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube verteidigt die Preisvergabe an Peter Thiel mit großer Überzeugung (AUDIO): Zwar passe Thiel nicht in die Reihe der bisherigen Preisträger, aber er passe zum Schirrmacher-Preis, betont er. Denn Frank Schirrmacher habe eine große Faszination für die digitale Welt gehabt, und Thiel sei dort Pionier gewesen. Oft hätten Preisverleihungen nichts Überraschendes. Hier sei es anders. Das sei dem Stiftungsrat auch bewusst. Schirrmacher selbst wäre Kaube zufolge mit der Preisvergabe an Thiel einverstanden gewesen: "Ich bin ziemlich sicher, dass er das außerordentlich amüsant findet, auf seiner Wolke, auf der er jetzt sitzt."

Der "FAZ"-Journalist Jürgen Kaube
© dpa / picture alliance / Arno Burgi
Auch von Thiels Laudator wäre Schirrmacher nicht begeistert gewesen, meint Daum. Das ist Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz – ein "postmoderner Politiker", der kein Problem damit habe, "mal mit Rechtsradikalen, mal mit den Grünen zu regieren".

Alternative Preisträgerinnen

Der Preis wird in diesem Jahr zum sechsten Mal vergeben. Stets handle es sich bei den Preisträgern um "ältere weiße Männer, die eine gewisse Feuilleton-kompatible Düsternis eint", sagt Daum.
Als Gegenvorschlag könnte er sich im Kontext digitale Gesellschaft zum Beispiel Lina Khan vorstellen, Chefin der amerikanischen Federal Trade Commission. Die junge Anwältin kämpfe "fast im Alleingang gegen Facebook und Amazon".
Dazu würde Daum noch Katharina Pistor vorschlagen, die in ihrem Buch "Der Code des Kapitals" gezeigt habe, "wie das digitale Kapital dafür sorgt, dass Regeln und Gesetze immer wieder neu kodiert werden und so der digitale Kapitalismus seine Profite sichert", sagt Daum. "Frank Schirrmacher wäre, glaube ich, mit dieser Wahl auch zufrieden."
(sed)
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