Michael Angele über Frank Schirrmacher

Ein brillanter Kritiker, ein unsympathischer Machtmensch

Frank Schirrmacher in einer Aufnahme von der Seite. Im Vordergrund sind bunte, unscharfe Flächen zu sehen.
Seine Texte seien intellektuell brillant, seine Sachbücher hingegen "trivial und blöd", sagt Michael Angele über die Arbeiten von Frank Schirrmacher. © Fredrik von Erichsen/dpa
Michael Angele im Gespräch mit Andrea Gerk · 24.05.2018
Ein großartiger Literaturkritiker, aber auch ein rachsüchtiger Intrigant: In seiner Biografie über Frank Schirrmacher skizziert Michael Angele den verstorbenen FAZ-Herausgeber als schillernde Persönlichkeit mit widersprüchlichen Seiten.
Andrea Gerk: Gerade mal 29 Jahre alt war Frank Schirrmacher, als er die Nachfolge von Marcel Reich-Ranicki im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" antrat, und nur fünf Jahre später wurde er der jüngste Herausgeber des Blatts. Schirrmacher schrieb Bestseller wie "Das Methusalem-Komplott", mit denen er immer wieder wichtige gesellschaftliche Debatten initiierte. 2014 starb er mit nur 54 Jahren, und nun ist die erste Biografie über ihn erschienen. Geschrieben hat sie Michael Angele, er ist stellvertretender Chefredakteur beim "Freitag" und hat vor zwei Jahren das Buch "Der letzte Zeitungsleser" veröffentlicht. Jetzt ist er hier bei mir im Studio.
Herr Angele, Sie sind Herrn Schirrmacher ja persönlich nur zweimal irgendwo über den Weg gelaufen, das heißt, obwohl Sie für die Berliner Seiten der "FAZ" geschrieben haben. Also das Persönliche war nicht so das Motiv für dieses Buch, nehme ich an. Was hat Sie denn daran gereizt, sich so in ein fremdes Leben zu vertiefen?
Angele: Herr Soboczynski beschreibt das eigentlich ganz gut in der Kritik der "Zeit", dass Schirrmacher es offenbar geschafft hat, Leute, wie soll ich sagen, in seinen Bann zu bringen, die mit ihm auch gar nicht viel zu tun hatten. Der Mann hat mich unheimlich beschäftigt, vielleicht gerade, weil ich ihn überhaupt nicht kannte, weil er natürlich auch so rumspukte. Diese Berliner Seiten, von denen Sie eben gesprochen haben, die hat er ja mitgegründet und war dann natürlich schon präsent in den Gesprächen, aber auch als eine nicht so greifbare Autorität, und natürlich habe ich dann auch mitbekommen, dass die anderen auch so viel über den sprechen, und das hat sich dann bei mir noch ein bisschen vertieft, und über die Jahre hinweg ist es eine richtige Obsession geworden.

Frank Schirrmacher und Egon Krenz - eine ungewöhnliche Begegnung

Gerk: Wie haben Sie sich denn dieser Obsession genähert, also wie haben Sie recherchiert?
Angele: Erst mal habe ich natürlich, als er noch lebte, alles gelesen. Da habe ich festgestellt, dass ich da bei Weitem nicht der einzige bin. Ich glaube, es gibt in Deutschland etliche Personen, die haben so eine Art kleines Archiv mit Schirrmacher-Artikeln. Einiges davon wurde mir auch zur Verfügung gestellt von diesen Leuten, und dann natürlich, als ich das Buch angefangen habe, erst mal zu recherchieren, habe ich natürlich mit sehr viel Leuten gesprochen.
Gerk: Und Sie haben ja auch Weggefährten getroffen, auf die man jetzt nicht unbedingt erst mal kommen würde: Egon Krenz zum Beispiel, oder Sie haben die Mutter von Frank Schirrmacher getroffen. Wie ist das entstanden?
Angele: Mir war völlig klar, ich kann nicht eine Biografie schreiben, wie man das jetzt über einen Menschen schreiben würde, der meinetwegen 200 Jahre tot ist, und über den es sehr viel auch schon Material gibt, auch keine Menschen, die man verletzen kann, wenn man jetzt irgendetwas schreibt, was vielleicht etwas verfänglicher ist. Also das kann ich alles nicht machen. Ich muss versuchen, das für mich Faszinierende und Interessante hervorzuheben, und da war nun die Sache mit Egon Krenz eine kleine Entdeckung. Ich hatte das natürlich schon … also er hatte über ihn geschrieben. Das hatte ich schon gelesen und habe dann Kontakt zu Krenz aufgenommen, weil ich eine Nachfrage hatte, und daraus ist dann ein Treffen entstanden.
Egon Krenz hat wahnsinnig gut von ihm gesprochen: als der einzige Journalist aus dem Westen, der nicht überheblich gewesen sei und ihm mit echtem Interesse gegenübergetreten sei. Die haben sich dann auch öfter getroffen, und es stand wohl eine Buchidee im Raum. Gut, die Details will ich nicht ausführen. Also es war für mich eine Entdeckung, und die wollte ich natürlich im Buch haben.

Schwächen und verpasste Chancen in der Kindheit

Gerk: Und die Mutter? Hatte die gleich Lust, mit Ihnen zu sprechen?
Angele: Ja. Die Mutter habe ich im Telefonbuch gefunden. Ich muss dazu auch sagen, ich bin nicht der erste Journalist, der zur Mutter gereist ist. Georg Diez hat das für den "Spiegel" auch getan. Ganz offen gestanden: Da habe ich es eigentlich her. Ich dachte, ich will das unbedingt tun, und habe dann einfach im Telefonbuch geguckt und die Frau Schirrmacher in Wiesbaden gefunden, angerufen und gesagt, ich komme vorbei.
Gerk: Und da hat sich ja doch auch noch mal eine andere Seite an dieser schillernden Persönlichkeit offenbart, nicht?
Angele: Ich fand das sehr anrührend, muss ich sagen. Privates wollte ich eigentlich nicht beschreiben. Schon deswegen kann es keine Biografie in dem Sinne sein. Es ist eine Faszinationsgeschichte, wenn man so will. Mir schien es aber wichtig, doch wenigstens diesen Blick der Mutter zu haben, weil der im Grunde genommen auch aus Schwächen, verpasste Chancen und Ehemaliges Stärke macht. Nur ein kurzes Beispiel: Es wurde Schirrmacher ja sozusagen vorgeworfen, er sei ein Schauspieler, und alles sei so Spiel, und er sei nie sich selbst, was er im Übrigen auch selbst erkannt hat. Da war es für mich dann schon interessant zu erfahren, dass er das auch in der Kindheit mit einer großen Lust und einer großen Begabung gemacht hat. Er hat auch Theater gespielt, und es hätte aus ihm auch ein Schauspieler zum Beispiel werden können. Also ich fand das interessant, sozusagen vor dem Hintergrund dessen, was ich alles weiß, das im Grunde genommen in seine Unschuld zurückzuversetzen.
Gerk: Sie vergleichen ihn auch ja gleich am Anfang schon mit einer Figur aus der Literatur, mit Astrid Lindgrens Karlsson vom Dach. Es gibt auch noch andere Spitznamen, die er hatte: Caligula, Kindkaiser, und Sie erzählen auch, dass er selbst auch sein Leben als einen Bildungsroman verstanden hat. Hat sich das für Sie auch durch die Recherche bestätigt, dass er eigentlich so eine Art lebende literarische Figur war?
Angele: Ja, absolut. Was wir schon am Anfang gesagt haben, dass sehr viel über ihn gesprochen wurde in einer Weise, wie man über so eine Art Original, schon so halb Literatur, und dann natürlich aber auch, weil er tatsächlich sehr früh in die Literatur eingegangen ist, aber natürlich eben auch durch seine Selbstdeutung. Er ist ein Journalist, und als Journalist oder Publizist, da spricht man jetzt nicht ständig von sich selbst, jedenfalls nicht in einer biografischen Weise, aber es gibt so ein paar Äußerungen von ihm, die eben genau dieses Bildungsromanhafte betonen, und es deckt sich natürlich eins zu eins mit dem, wie sein Leben dann, jedenfalls in Arbeitszusammenhängen, sich abgespielt hat.

Seine Sachbücher sind "trivial, blöd, unter seinem Niveau"

Gerk: Und Sie sind ja auch sehr angetan, schreiben Sie, von seiner literarischen Intelligenz.
Angele: Ja, absolut.
Gerk: Was meinen Sie denn damit genau? Wo zeigt die sich?
Angele: Er hat ja am Anfang vor allem Literaturkritiken geschrieben, die ich großartig finde in der Schärfe des Urteils, aber auch in der Sensibilität für etwa Außenseiter. Er hat also auch den Kanon sehr erweitert. Sein Vorgänger Reich-Ranicki hatte ja, wie wir wissen, einen etwas eingeschränkten Blick auf Literatur. Das hat er geöffnet.
Gerk: Das zeigen Sie auch sehr schön, wie er das so aufgemischt hat.
Angele: Genau.
Gerk: Wie er auch wirklich was Neues machen wollte.
Angele: Er hat das richtig aufgemischt, und das fand ich alles total sympathisch, und das hat mich eben auch in seiner intellektuellen Brillanz überzeugt. Dazu muss ich sagen, ich mag seine Bücher nicht, seine Sachbücher. Ich finde die trivial, blöd, unter seinem Niveau. Das sage ich ganz offen. Ich teile diese Ansicht mit sehr vielen, die aber meistens nur flüsterpropagandaartig kursiert, wenn man die Bücher überhaupt gelesen hat. Ich würde sogar die These vertreten, die Schirrmacher-Bücher sind weitgehend ungelesen, aber nicht der Kritiker Schirrmacher. Deswegen fand ich es auch sehr gut, dass, jetzt nur nebenbei, mein Kollege beim "Freitag", Jakob Augstein, eine Sammlung dieser Texte gemacht hat, und da kann man das auch wirklich erkennen, wie intellektuell brillant die auch sind.

Faszinierend, aber unsympathisch

Gerk: Das war ja auch wirklich so eine Hochzeit des literarischen Feuilletons.
Angele: Ja, absolut.
Gerk: Und Schirrmacher selbst war ja überzeugt, dass die auch irgendwie sich dem Ende zuneigt. Und wir sehen ja auch heute, dass so Booktuber oder Blogger inzwischen eigentlich einflussreicher sind als wir jetzt im Feuilleton. Hat er da recht gehabt mit diesem Abgesang?
Angele: Ja und nein. Also er hat recht gehabt, er hat ihn ja selbst mitbetrieben. Also seine Bücher sind Teil dieses Niedergangs, wenn ich das mal so bösartig, um jetzt mal die "SZ" in ihrer Kritik an einem Punkt zu bestärken, die mir da so einen bösartigen Zugang unterstellt hat. Ich würde sagen, er hat es mitbetrieben, aber er hat auch immer wieder Akzente dagegengesetzt. Es gibt bis zum Schluss also literarisch wunderbare Dinge. Nur ein Beispiel unter vielen: Er hat mit Otfried Preußler ein wunderbares Gespräch geführt, das dann ganz quer stand zu seinen Diagnosen über das Internet, das da einfach so weiterexistiert. Das fand ich überhaupt das Faszinierendste bei ihm, dass so ältere Motive und Geschichten immer weiterleben. Ich versuche das auch an diesem Stefan-George-Motiv durchzudeklinieren, wie das bis zum Schluss im Grunde genommen in ihm so weitergearbeitet und gewirkt hat.
Gerk: Man muss ja auch mal dazusagen, um Ihr Buch gut zu transportieren, dass diese Faszination, von der Sie gesprochen haben, die ist ja nicht nur positiv. Also Sie zeigen ihn ja schon auch als ein ziemliches Ekelpaket und einen Unsympathen. Trotzdem merkt man immer den Kern der Faszination.
Angele: Ja, das gehört zur Komplexität gewisser Charaktere dazu. Es ist offensichtlich, dass er auf Menschen erst mal nicht sympathisch gewirkt hat. Also alle Eindrücke, die mir so kolportiert worden, gehen in die Richtung: faszinierend, ja, und auch mit Respekt, aber nicht sympathisch.

Machtmensch und ein Intrigant

Gerk: Und auch nicht immer nett mit ihnen umgegangen.
Angele: Nein, überhaupt nicht.
Gerk: Das zeigen Sie auch.
Angele: Er war auch ein Machtmensch, ein Intrigant, wenn man so will, aber das hat mich eben auch wieder fasziniert, weil es ist ja fast schon eine Balzac’sche Figur, die so alles zu Spielmaterial verwandelt, aber natürlich – und da gehe ich dann nicht mehr mit –, er verlässt dann das Spiel, und wenn andere nicht mitspielen, kann er zum Beispiel unglaublich rachsüchtig werden.
Gerk: Er hat ja auch in einigen Romanen eine Rolle gespielt, zuletzt in dem Buch von Angelika Klüssendorf, seiner Ex-Frau, Jahre später. Da erkennt man ihn deutlich, Züge zumindest von ihm. Wenn man jetzt Ihrer These folgt, dass er eine ins Leben gefallene Romanfigur ist, kann man dann auch Ihre Biografie eigentlich als Roman lesen?
Angele: Das würde ich gerne in der Kritik lesen. Das wäre sonst ein Eigenlob. Ich will mal so sagen: Es würde mich freuen, wenn man es auch als Literatur lesen würde. Das ist natürlich der Anspruch, klar.
Gerk: Michael Angele, vielen Dank für dieses Gespräch!
Angele: Bitte!
Gerk: Die Biografie Frank Schirrmachers, über die wir sprachen, ist beim Aufbau-Verlag erschienen, sie hat 222 Seiten und kostet 20 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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