Schießtraining bei der bayerischen Polizei

Kein wildes Rumballern!

Zwei Polizistinnen aus Mettmann trainieren unter der Aufsicht eines Ausbilders das Schießen
Zwei Polizistinnen trainieren unter der Aufsicht eines Ausbilders das Schießen. © imago stock&people / Jochen Tack
Von Tobias Krone · 30.08.2017
Bei Tempo 150 über rote Ampeln brettern, wilde Schießereien – ganz so aufregend sieht der Polizistenalltag nicht aus. Bevor das erste Mal geschossen wird, müssen sie erst einmal büffeln. Denn eine falsche Entscheidung kann später den Tod bedeuten.
Im Schießkeller der Polizeischule in Sulzbach-Rosenberg ist es klimatisiert kühl, es riecht leicht nach Schießpulver. Die Polizeischülerin Franziska Altenöder hat ihre blonden Haare zu einem strengen Zopf zusammengebunden. Ihr Ausbilder, Harald Gessner, sagt ihr, was zu tun ist.
"Frau Altenöder, dann holen Sie sich einfach zwei Magazine und die MP."
"Voll?"
"Volle Magazine und die zwei Sechser, die wir haben. Und dann machen Sie halt die Trockenübung quasi, also hier rechts vorbei an der Deckung. Raus und wieder Deckung einnehmen."

Jede Patrone wird gezählt

Franziska Altenröder verlässt die Schusszone, um sich im Vorraum ihre Maschinenpistole und die Munition für ihre Übung zu holen. Jede Patrone, die hier im Ausbildungs-Schießkeller der bayerischen Bereitschaftspolizei verschossen wird, vermerken die Ausbilder in einer Liste, um zu verhindern, dass unbemerkt etwas von der 9-Millimeter-Munition nach draußen verschwindet. Routiniert greift sich Franziska Altenöder die Maschinenpistole MP5, eine Mitschülerin hilft ihr beim Umlegen des Trageriemens. Zurück in der Schusszone gibt ihr der Ausbilder letzte Anweisungen.
"Dann gehen Sie vor, ein Stück wieder nach vorne, bis zur nächsten Möglichkeit, wo Sie in Deckung gehen können. Dann wieder sich nach vorne arbeiten, bis zur nächsten Möglichkeit, wo Sie in Deckung gehen können. Und wenn Sie einen Magazinwechsel machen müssen, machen Sie den Magazinwechsel hinter der Deckung."
"Alles klar."

Zielsicher trifft die Polizeischülerin fast immer die Mitte der Zielscheibe, die auf eine Leinwand projiziert ist. Schon pirscht sie sich eine Deckungswand weiter nach vorne. Und schießt wieder. An den Umgang mit der Maschinenpistole musste sie sich anfangs erst gewöhnen, wie sie nach der Übung erklärt.
Polizistin Franziska Altenröder beim Schießtraining
Polizistin Franziska Altenöder beim Schießtraining.© Tobias Krone
"Das war schon was Besonderes, weil ich vorher auch noch nie so eine echte Schusswaffe in der Hand hatte. Da geht man natürlich dann schon mit gespannter Erwartung ran, aber auch mit großem Respekt. Weil man weiß, so eine Schusswaffe ist gefährlich, also mit der kann man Menschen töten und deshalb geht man schon sehr respektvoll damit um."

Vor dem Schuss

Ausbilder Harald Gessner, ein hagerer Mann mit gutmütigem Lächeln, bringt angehenden Polizisten das Schießen bei. Am Anfang steht dabei die Sicherheit.
"Es geht mal um Sicherheit, das ist mal das Allerwichtigste, dass man keinen Schuss abgibt, ohne dass man das auch tatsächlich möchte. Also, das ist mal das Wesentliche. Und dann versuchen wir natürlich erstmal die Technik zu vermitteln. Wie funktioniert eine Waffe, wie lade ich die, wie schieße ich? Erstmal trocken natürlich, die ganze Geschichte."
Trocken, also ohne scharfe Munition. Bevor sie da ran dürfen, müssen die Polizeischüler durch die theoretische Prüfung – und durch das Polizeirecht. 25 Unterrichtseinheiten widmet die bayerische Polizeiausbildung allein dem Schusswaffengebrauch. Denn der rechtliche Rahmen ist stark begrenzt. Der Seminarleiter Josef Fleischmann.
"Die Zielrichtung kann sein: Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben. Oder die Verhinderung einer schweren Straftat, eines Verbrechens oder eines Vergehens mit der Mitführung von Schusswaffen oder Explosivmitteln oder die Verhinderung der Flucht von Personen."

"Es geht nicht darum, jemanden zu töten"

Neben diesen Grund-Voraussetzungen müssen die Polizisten später auch andere Faktoren oft in Sekundenschnelle miteinbeziehen, erklärt Fleischmann.
"Sind Unbeteiligte gefährdet? Das ist ein ganz wichtiger Themenbereich, denn wenn das dabei ist, scheidet der Schusswaffengebrauch in den meisten Fällen aus. Oder: Kein Schusswaffengebrauch auf Kinder. Die Zielrichtung jedes Schusswaffengebrauchs muss auch immer sein, Flucht- oder Angriffsunfähigkeit herzustellen. Es geht nicht darum, jemanden zu töten, sondern dass der Angriff abgewehrt wird oder dass er nicht mehr flüchten kann. Und das Ganze dann – wenn ich mich entschließe zu schießen: Ist das Ganze verhältnismäßig?"
Für Franziska Altenöder ist das Schießen aus der Deckung inzwischen eine einfache Übung. Nach zweieinhalb Jahren trainiert sie hier sonst kompliziertere Gefechte mit dem Team aus ihrem Ausbildungsjahrgang. Derzeit steht die Terrorbekämpfung auf dem Ausbildungsplan, erklärt Ausbilder Harald Gessner.
"Wenn Sie jetzt denken, die Anschläge, die in Paris waren, in Frankreich waren, die auch in Deutschland waren. Da muss man natürlich immer wieder nachsteuern und nachziehen, trainieren wir jetzt auch sehr umfangreich, um da einfach auf dem neuesten Stand zu sein. Weil unser Gegenüber ja auch immer mehr und immer kritischere Situationen uns gegenüber darstellt. Und darauf muss man einfach reagieren können."
Aus taktischen Gründen darf der Journalist nur das einfache Training mitverfolgen. Schließlich soll das Wissen über die Terrorbekämpfung möglichst nicht nach außen dringen.

Hoffen, dass man nie auf einen Menschen schießen muss

Am Ende der Ausbildung müssen die Nachwuchspolizisten eine Schießprüfung bestehen. Zudem muss jeder Polizist regelmäßig an Einsatzübungen teilnehmen, damit er das Schießen nicht verlernt. Und damit er in Konfliktsituationen am Tatort auch seine Kollegen einschätzen kann.
"Ich muss ja auch wissen, wie mein Kollege sich voraussichtlich verhalten wird. Was auch dann in der Fortbildung wichtig wird. Das ist ja durchaus hilfreich, wenn ich weiß, was macht mein Kollege voraussichtlich?"
An der Waffe fühlt sie sich sicher, sagt die Polizeischülerin Franziska Altenöder. An den Gedanken, später einmal die Dienstwaffe zu zücken, kann sie sich aber noch nicht richtig gewöhnen.
"Die Hoffnung ist da, dass es nicht passiert. Und wenn es doch passiert, dann sind wir für den Fall vorbereitet. Und dann haben wir unser Schema, nachdem wir vorgehen. Und das hilft einem schon unwahrscheinlich. Wenn man was hat, woran man sich festhalten kann."

Training am Fahrsimulator

Gut festhalten muss man sich auch im Fahrsicherheits-Simulator. Polizeischüler Maximilian Brems fährt den BMW mit Blaulicht und Martinshorn über die Autobahn – das Auto steht in einer Halle, vor einer Leinwand. Die Landschaft, die Autobahn, der Verkehr werden von einem Computer simuliert, die Geschwindigkeit im Sitz ist durch Stöße trotzdem spürbar. Fahrtrainer Stefan Kunisch überwacht die Fahrt am Computer und gibt über Funk Hinweise.
"Jetzt haben wir eine Stausituation. Da wäre das Schlagwort natürlich Rettungsgasse, ne?"
"Ja."
"Wenn die anderen Teilnehmer keine Gasse machen, dann müssen wir natürlich eine fordern. Das heißt, mal mittig an das Stauende ranfahren, mittig positionieren und viel mit der Lichthupe arbeiten. Genau, jetzt sollte… jetzt geht die Gasse auf. Weiter mit der Lichthupe arbeiten und vorsichtig durch die Gasse durchfahren. Weiter energisch mit der Lichthupe arbeiten – genau – und Obacht geben."

Auch Polizisten dürfen nicht zu schnell fahren

Der Wagen saust durch die Rettungsgasse – teilweise mit Tempo 110. Nach der Fahrt am Simulator analysiert Stefan Kunisch das Training mit den Polizeischülern und endet mit einer Ermahnung: Laut Straßenverkehrsordnung dürfen Polizisten mit Blaulicht zwar 20 bis 30 Prozent schneller fahren als andere Autos – aber:
"Also auf was ich raus will: Die 114, die Sie hier gefahren sind, sind definitiv zu schnell. Es geht im Bereich der Einsatzfahrt immer darum, eine Gefahrensituation zu erkennen. Das heißt, ich muss ja sehen, Stau auf der rechten Seite: Es kann ein Fahrzeug rausziehen, es kann eine Tür aufgehen, es können Personen auf der Fahrbahn sein. Und wenn ich so eine Situation erkannt habe, muss ich sofort vom Gas runter, muss ich sofort bremsen. Und in diesem Bereich wären 50 Km/h das Höchste der Gefühle gewesen."

Schmaler Grat zwischen Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher

Wenn es Hart auf Hart kommt, dann muss die Polizei schnell handeln. Schnell fahren, schnell schießen. Doch der Rahmen ist auch für die Staatshüter eng begrenzt. Um für den schmalen Grat zwischen Einsatzpflicht und Gesetzesverstoß gerüstet zu sein, trainieren die bayerischen Polizeischüler im Schießkeller. Oder im Fahrsimulator, der in einer Halle steht. Um sich im Verborgenen für den Terror zu rüsten. Und um bei der ersten realen Blaulichtfahrt Blechschäden zu vermeiden.
(mw)

Hören Sie hier einen Beitrag von Hilde Weeg: "Wahlkampfthema Sicherheit - wie sieht das bei der Polizeiausbildung in Niedersachsen aus?"
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