Schau über Haushaltsdesign in Leipzig

"Die Küche ist wieder ein Statussymbol"

Kasserolle "Kobenstyle", Kopenhagen, 1955, Entwurf: Jens Quistgaard; Ausführung: Dansk Intrnational Designs
Kasserolle "Kobenstyle", Kopenhagen, 1955, Entwurf: Jens Quistgaard; Ausführung: Dansk Intrnational Designs © Foto: Esther Hoyer / Grassi Museum für angewandte Kunst Leipzig
Olaf Thormann im Gespräch mit Ute Welty · 05.11.2016
Es geht um Backen, Bügeln, Putzen, Kochen oder vielmehr die Gerätschaften, die dabei helfen. Das Leipziger Grassi Museum stellt in seiner neuen Ausstellung die Frage "War Haushalt jemals schön?" und kommt zu ganz erstaunlichen Einsichten.
Beim Anblick blanker Puddingformen aus Kupfer, eleganten Teigrollern aus Glas, Küchenmaschinen im Space-Age-Look könnte man fast vergessen, dass Haushalt schon immer harte Arbeit war und ist. Das Leipziger Grassi-Museum für Angewandt Kunst zeigt in seiner Ausstellung "Backen, Bügeln, Putzen, Kochen. Das bisschen Haushalt!" Gerätschaften und Haushaltshelfer aus rund fünf Jahrhunderten und geht dabei dem Design hinter den schnöden Gerätschaften auf die Spur.

Die Küche als Statussymbol

Es gebe durchaus Konstanten, wie Pfannen, Töpfe, Backformen, so Museumsdirektor Olaf Thormann im Deutschlandradio Kultur. "Gerade im 20. Jahrhundert hat sich aber nicht nur eine Evolution, sondern regelrecht eine Revolution im Bereich des Haushalts und der Küche vollzogen", so Thormann. Die Gründe dafür seien die sich rasant veränderden Lebensformen und die Entwicklung neuer Materialien. Hinzu komme ein rasanter gesellschaftlicher Wertewandel: "Die Küche ist heute oftmals wieder ein Statussymbol, Küchenmobiliar ist manchmal der neue Porsche."
Dabei sei auch das Aussehen wichtig: "Heute ist es so, das eine Küchenmaschine oftmals eine Skulptur ist, die eben auch außerhalb der Zeiten, wo sie sich in Benutzung befindet, einem Raum durchaus auch ein Gepräge verleihen kann." Das könne auch bei kleinen Küchenutensilien der Fall sein, wie der Zitronenpresse von Philippe Starck, die eher Skulptur als funktional nutzbares Gerät sei.

Geräte, die sich im kollektiven Gedächtnis festsetzen

Aber nur dann, wenn Funktionalität und Praktikabilität sich mit guter Gestaltung verbinde, habe ein Gerät die Chance sich im kollektiven Gedächtnis festzusetzten. "Das ist in unserer Ausstellung so ein Moment, dass viele Besucher Objekte entdecken werden, die sie im Haushalt ihrer Eltern oder vielleicht sogar im eigenen Haushalt wiederfinden und sagen: 'Ach, das ist auch Kunst, das ist Design?'"
Bügeleisen, VEB Elektrogerätewerk Suhl, um 1980, Metall, Plaste
Bügeleisen, VEB Elektrogerätewerk Suhl, um 1980, Metall, Plaste© Foto: Esther Hoyer / Grassi Museum für angewandte Kunst Leipzig
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Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Ich bin jetzt mal fies, und ich setze Ihnen für den Rest des Wochenendes einen Ohrwurm in den Gehörgang, der sich dann zwischen Trommelfell und Steigbügel festkrallt. Drei Worte dürften reichen, nämlich: Das bisschen Haushalt. Und – schwupps – ist er da, dieser Schlager von 1977, der fast 40 Jahre danach immer noch abrufbar ist. Der Direktor des Grassi Museums in Leipzig macht sich genau dieses Phänomen zunutze, indem er die jüngste Ausstellung in Leipzig mit diesem Titel bedenkt: "Das bisschen Haushalt". Guten Morgen, Olaf Thormann!
Olaf Thormann: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Mal gleich die Gretchenfrage zu Anfang: Wie viel Haushalt haben Sie denn heute früh schon erledigt?
Thormann: Oh, relativ wenig. Das ist ein bisschen vor meiner normalen Zeit, und insofern kommt der Haushalt erst später.
Welty: Es geht um Backen, Bügeln, Putzen, Kochen, und es geht vor allem um die Geräte, die beim Backen, Bügeln, Putzen und Kochen helfen und geholfen haben. Sie haben Dinge aus immerhin acht Jahrhunderten zusammengetragen. Was ließe sich denn heute wie damals benutzen?
Thormann: Es gibt ja viele Gerätschaften, die elementare Vorgänge im Haushalt betreffen, und die bleiben natürlich auch teilweise konstant. Also Pfannen, Töpfe, Backformen – da gibt es eine gestalterische Entwicklung, aber es gibt Konstanten. Dennoch, über die Jahrhunderte wandelt sich das, und gerade im 20. Jahrhundert hat sich nicht nur eine Evolution, sondern regelrecht eine Revolution im Bereich des Haushalts und der Küche vollzogen.
Welty: Warum ausgerechnet im 20. Jahrhundert?
Thormann: Einerseits, weil die Lebensformen sich viel rasanter verändert haben. Es kommen neue Materialien dazu, denken Sie an die ganzen Kunststoffe, die heute Küchengerätschaften, Haushaltsgerätschaften prägen.
Welty: Das Silikon.

Die Revolution in der Küche

Thormann: Das Silikon, natürlich. Es gibt industriell in der Herstellung ganz andere Möglichkeiten zur Flexibilität. Andererseits hat sich eben auch unser gesellschaftlicher Wertewandel rasant vollzogen. Die Küche, heute oftmals wieder ein Statussymbol, Küchenmobiliar, das ist manchmal der neue Porsche. Andererseits ist eben auch die Küche ein offener Bereich geworden. Es ist nicht mehr diese abgezirkelte, weggesperrte Kammer, wo die Hausfrau vielleicht stundenlang vor sich hin werkelte, sondern wir haben auch im Wohnungszuschnitt eine ganz andere Dimension erreicht.
Welty: Hat das wohl auch damit zu tun, dass Männer das Kochen für sich entdeckt haben?
Thormann: Ich denke, dass eine Geschlechter- – eine bessere Verteilung der Geschlechter im Haushalt eben auch den Blick verändert. Ob das absolut der wirkliche Grund ist, daran zweifle ich ein bisschen, denn wenn man in die Design-Geschichte schaut, dann sind Männer immer auch beteiligt gewesen. Denken Sie an Peter Behrens, der im frühen 20. Jahrhundert bereits die elektrischen Wasserkocher für die AEG entworfen hat. Wilhelm Wagenfeld, der die Jenenser Kochgeschirre aus feuerfestem Glas kreiert hat, die das Prinzip des Vom-Herd-auf-den-Tisch in sich trugen. Denken Sie an Löffelhardt oder heute an Jasper Morrison und Konstantin Grcic. Keiner ist sich eigentlich zu schade gewesen von den großen auch männlichen Designern.
Welty: Inzwischen gehören Hightech-Küchenmaschinen zu den Statussymbolen, die gern mal tausend Euro kosten und die ein halbes Jahr Lieferzeit haben. Inwieweit hat es früher schon solche Kultteile gegeben?

Die Zitronenpresse als Skulptur

Thormann: Es gab sehr aufwendige Küchengerätschaften sicherlich auch schon in früherer Zeit, aber die waren natürlich viel langlebiger angelegt. Die Küchengerätschaften in dem Sinne, wie Sie sie ansprechen, die beginnen eigentlich erst so im mittleren 20. Jahrhundert, werden dann manchmal auch bis ins Abstruse getrieben, also Küchengerätschaften, die aus 50, 60 Einzelteilen, Aufsätzen und sonst was, bestehen, die kaum mehr beherrschbar waren. Und heute ist es allerdings wirklich so, dass eine Küchenmaschine oftmals eine Skulptur ist, die eben auch außerhalb der Zeiten, wo sie sich in Benutzung befindet, einem Raum durchaus ein Gepräge verleihen kann. Das kann im Großen bei einer komplexen Küchenmaschine der Fall sein, wie auch im kleinen Gerät. Denken Sie immer noch an die Zitronenpresse von Philippe Starck, die also doch wirklich eher Skulptur als ein funktional nutzbares Gerät ist.
Welty: Wollte ich gerade sagen. Der Saft floss überall hin, nur nicht irgendwie, wo er hin sollte. Aber schön sah sie aus, das ist schon richtig. Wonach richtet sich, ob sich ein Küchengerät durchsetzt oder eben auch nicht? Ist es dann am Ende doch die Praktikabilität und nicht das Design?
Thormann: Ja. Also nur dann, wenn Funktionalität, Praktikabilität sich mit guter Gestaltung verbinden, kann etwas langlebig sein, kann etwas akzeptiert werden, und nur dann hat es auch die Chance, sich im kollektiven Gedächtnis festzusetzen. Das ist übrigens bei unserer Ausstellung, glaube ich, so ein Moment, dass viele Besucher Objekte entdecken werden, die sie im Haushalt ihrer Eltern oder vielleicht sogar im eigenen Haushalt wiederfinden und sagen, ach, das ist auch Kunst, das ist auch Design. Und wir zeigen diese Objekte ja in einem sehr schmucken Raum, in unserer Pfeilerhalle, einem grandiosen Art-Déco-Saal, wo normalerweise eben doch gestaltete Kostbarkeiten eher aus edlem Material gezeigt werden. Und ich finde es ganz verblüffend, wie eben diese Dinge des Alltäglichen sich in so einem Rahmen behaupten, wie auf einmal klar wird, dass sie gestalterische Kraft in sich tragen.
Welty: Sie haben es eben angesprochen, manche Menschen geben für die Küche mehr aus als für das Auto. Auf der anderen Seite werden Appartements gebaut, in denen es gar keine Küche mehr gibt. Was sagt das aus über das Verhältnis von Gesellschaft und Essen und von Gesellschaft und Häuslichkeit?

Neuer Trend: Wohnungen ohne Küche

Thormann: Ja, das ist so ein Trend, der gerade in Asien weit im Vormarsch ist und der auch hier beispielsweise in Leipzig durchaus schon sich niederschlägt. Es gibt inzwischen Wohnanlagen, wo es nur noch Gemeinschaftsküchen gibt, und es gibt natürlich genügend Möglichkeiten, sich über Lieferservice oder eben das nächste Bistro an der Ecke zu versorgen. Das ist, glaube ich, eine sehr individuelle Entscheidung, die man treffen muss. Und wir zeigen ein Spektrum auf, und ich glaube, dass die Breite der einzelnen individuellen Entscheidungen in der Gesellschaft das Wesentliche ist. Man kann so einen Trend verzeichnen, aber es wird nie einen Trend geben, der für die Gesamtheit aller Menschen Gültigkeit hat.
Welty: Ich auf jeden Fall werde meine Küche mit anderen Augen sehen, wenn ich heute Mittag nach Hause komme. Das mit der Skulptur, das nehme ich mit. Ein Haushaltsexperte der besonderen Art ist Olaf Thormann vom Grassi Museum in Leipzig. Und die Ausstellung "Das bisschen Haushalt", die geht heute los und läuft dann bis Anfang April nächsten Jahres. Herr Thormann, herzlichen Dank!
Thormann: Vielen Dank, Frau Welty! Einen schönen Tag für Sie!
Welty: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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