Scharnier zwischen Bismarck und Hitler
Siegreicher Feldherr in Lüttich und Tannenberg, Galionsfigur des Antirepublikanismus und Apostel einer völkisch-antisemitischen Ideologie: Erich Ludendorff war eine höchst einflussreiche Figur der deutschen Geschichte. Eine neue Biografie betrachtet vor allem seine militärische Karriere.
Der heute leider ein wenig vergessene deutsch-jüdische Schriftsteller Arnold Zweig hat einen Romanzyklus über den Ersten Weltkrieg verfasst. Darin tritt ein hoher Befehlshaber namens Schieffenzahn auf. Allein das doppelte F in der Schreibweise lässt erkennen, welche reale Figur hier Modell stand: Erich Ludendorff. Es blieb nicht sein einziger Auftritt in der schönen Literatur, auch bei Alfred Döblin und Alexander Solschenizyn darf er vorkommen.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er eine höchst einflussreiche Person der deutschen Geschichte, und es kann keine Rede davon sein, dass ihn die Historiografie etwa übersehen hätte. Ein rundes Halbdutzend Monografien über ihn existieren, auch solche ausländischer Autoren. Das Buch von Manfred Nebelin, hervorgegangen aus einer Habilitationsschrift, stützt sich darauf und ergänzt es durch neue Einzelheiten.
"Wer sich […] an die historisch-kritische Auseinandersetzung mit Ludendorff wagt, hat mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen […] Methodisch folgt die Untersuchung dem, was der 1989 verstorbene Kölner Historiker Andreas Hillgruber Ende der 70er-Jahre als 'politische Geschichte in moderner Sicht' zugrunde gelegt hat.'"
Worum also geht es? Erich Ludendorff, 1865 in der damals preußischen Provinz Posen geboren, war das Kind eines bürgerlichen Rittergutbesitzers. Frühzeitig zum Militärberuf bestimmt, durchlief er die für angehende Offiziere im deutschen Kaiserreich übliche Karriere: Kadettenkorps, Militärakademie, Führungspositionen in unterschiedlichen Armeeeinheiten. 1914 gehörte er zur Obersten Heeresleitung.
Er war intelligent, rhetorisch begabt und hatte den unbedingten Aufstiegswillen des Bürgerlichen, der sich in einem adelsbestimmten Milieu durchsetzen wollte. Seinen ersten militärischen Erfolg erfuhr er, als er zu Kriegsbeginn im Handstreich die belgische Festung Lüttich eroberte. Dies trug ihm eine zentrale Aufgabe an der Ostfront ein, wo er, gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Paul von Hindenburg, das Kommando in der siegreichen Schlacht bei Tannenberg führte und in der Folge große Teile russisch beherrschten Territoriums besetzte. Spätestens jetzt galt er dem kaiserlichen Deutschland als militärisches Genie und unbesiegbarer Held.
Später trug er, immer noch gemeinsam mit Hindenburg, die Gesamtverantwortung für das Geschehen an den übrigen Fronten, wobei ihm der 18 Jahre ältere Hindenburg die Vorarbeiten und Entscheidungen bereitwillig überließ. Mittels Drohung, Intrige und Erpressung sicherte er sich Vollmachten, die auf eine förmliche Diktatur hinausliefen. Als 1918 die Frühjahrsoffensive an der Westfront, die er konzipiert, vorbereitet und auf die er alles gesetzt hatte, ins Stocken geriet, dann zusammenbrach und der Krieg für das kaiserliche Deutschland verloren ging, wurde er entmachtet und am Ende entlassen.
Das Bündnis mit Hindenburg zerbrach. Um sich juristischen Konsequenzen zu entziehen, floh er nach Schweden. Später wurde er zu einer Galionsfigur des deutschen Antirepublikanismus, 1920 beteiligt am Kappputsch, 1923 an dem Marsch auf die Feldherrnhalle in München. Mit Adolf Hitler kooperierte er, zerstritt er sich und kooperierte erneut. Unter dem Einfluss seiner zweiten Frau Mathilde wurde er zum Apostel einer völkisch-antisemitischen Ideologie mit wahnhaft-religiösen Zügen und blieb dies bis zu seinem Tode 1937. Nebelin merkt an, man habe ihn deswegen als partiell unzurechnungsfähig oder gar paranoid angesehen:
"In letzter Konsequenz könnte […] die Beschäftigung mit seiner in der Tat mancherlei 'Rätsel' aufgebenden Persönlichkeit im wesentlichen der Psychologie vorbehalten bleiben.
Nebelin ist kein Psychologe. Dies betreffend versagt er sich jede Deutung. Dafür wendet er sich den geschichtlichen Folgen zu: Ludendorff lieferte das Modell für zahlreiche Maßnahmen Hitlers. Dazu gehören die Zwangsrekrutierung von Fremdarbeitern für die Rüstungsindustrie, die Technik des Vernichtungskriegs, der massive Einsatz von Propaganda für Kriegszwecke, auch der später von Joseph Goebbels verwendete Begriff des totalen Krieges ist eine Ludendorff-Erfindung. Die militärischen Erfolge in Belgien und an der Ostfront waren das Resultat von Kalkül, Schwäche des Gegners und Fortüne, was Ludendorff selber wusste und so sagte. Den Krieg verlor er, da er den U-Bootkrieg gegen zivile Schiffe durchsetzte und damit den Kriegseintritt der USA provozierte; die strategische Bedeutung der neuen Panzerwaffen erkannte er nicht.
Den Mythos der Unbesiegbarkeit, den ihm Deutschland verlieh, hat er vermutlich selber geglaubt. Jedenfalls hat er ihn benutzt. Bis zum Ende wollte er, was er den "Siegfrieden" nannte. Die Chance zu einem rechtzeitigen Ausgleich mit den Gegnern schlug er aus, die bedingungslose Kapitulation von 1918 war die Folge. Ob er wirklich ein militärisches Genie war, lässt sich durchaus anzweifeln.
Nebelins Buch schildert Ludendorffs Biografie bis zum Jahre 1919. Es ist gut geschrieben, und manches, so die Auseinandersetzung um den Reichskanzler Bethmann Hollweg, liest sich ausgesprochen spannend. Der Nachteil des Buches ist eben seine zeitliche Begrenzung. Der Militär Ludendorff wird ausführlich betrachtet, der Nachkriegsideologe und Parafaschist kommt kaum in Andeutungen vor. Dabei würde im Rückblick vieles an dem Manne erklärlicher. Über Ludendorffs Privatleben erfahren wir gerade das Allernötigste. Dass der Träger des beinahe gemütlich klingenden Titels Generalquartiermeister auf seine Umgebung eine starke Faszination ausübte, belegt Nebelin durch die Huldigungen so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Walther Rathenau, Thomas Mann und Max Weber.
"Hitlers 'Revolution' führte Deutschland bekanntlich in den Zweiten Weltkrieg und in verheerende Verbrechen. Im Zusammenhang mit der immer stärker in das allgemeine historische Bewusstsein eingehende These von 'Zeitalter der Weltkriege' ist Ludendorffs historischer Ort in der preußisch-deutschen Geschichte von Bedeutung, denn er und nicht Wilhelm II. – wie die Epochenbezeichnung Wilhelminismus suggeriert – stellt gleichsam das Scharnier zwischen Bismarck und Hitler dar, das heißt, zwischen der auf die Bewahrung der deutschen Großmachtposition in Europa ausgerichteten Politik des Reichsgründers und der auf die rassische und ideologische Beherrschung der Welt abzielenden Politik des Zerstörers von Reich und Altem Europas."
So Nebelin. Seinem abschließenden Urteil ist schwer zu widersprechen, außer, dass es ein wenig nach einer Exkulpation Wilhelm II. klingt, die nicht korrekt wäre: Der Kaiser und Ludendorff mochten einander nicht sonderlich, in ihrem Denken, ihrer Überzeugung, ihren Zielen und ihrer Hybris stimmten sie völlig überein.
Manfred Nebelin: Ludendorff – Diktator im 1. Weltkrieg, Siedler Verlag
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er eine höchst einflussreiche Person der deutschen Geschichte, und es kann keine Rede davon sein, dass ihn die Historiografie etwa übersehen hätte. Ein rundes Halbdutzend Monografien über ihn existieren, auch solche ausländischer Autoren. Das Buch von Manfred Nebelin, hervorgegangen aus einer Habilitationsschrift, stützt sich darauf und ergänzt es durch neue Einzelheiten.
"Wer sich […] an die historisch-kritische Auseinandersetzung mit Ludendorff wagt, hat mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen […] Methodisch folgt die Untersuchung dem, was der 1989 verstorbene Kölner Historiker Andreas Hillgruber Ende der 70er-Jahre als 'politische Geschichte in moderner Sicht' zugrunde gelegt hat.'"
Worum also geht es? Erich Ludendorff, 1865 in der damals preußischen Provinz Posen geboren, war das Kind eines bürgerlichen Rittergutbesitzers. Frühzeitig zum Militärberuf bestimmt, durchlief er die für angehende Offiziere im deutschen Kaiserreich übliche Karriere: Kadettenkorps, Militärakademie, Führungspositionen in unterschiedlichen Armeeeinheiten. 1914 gehörte er zur Obersten Heeresleitung.
Er war intelligent, rhetorisch begabt und hatte den unbedingten Aufstiegswillen des Bürgerlichen, der sich in einem adelsbestimmten Milieu durchsetzen wollte. Seinen ersten militärischen Erfolg erfuhr er, als er zu Kriegsbeginn im Handstreich die belgische Festung Lüttich eroberte. Dies trug ihm eine zentrale Aufgabe an der Ostfront ein, wo er, gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Paul von Hindenburg, das Kommando in der siegreichen Schlacht bei Tannenberg führte und in der Folge große Teile russisch beherrschten Territoriums besetzte. Spätestens jetzt galt er dem kaiserlichen Deutschland als militärisches Genie und unbesiegbarer Held.
Später trug er, immer noch gemeinsam mit Hindenburg, die Gesamtverantwortung für das Geschehen an den übrigen Fronten, wobei ihm der 18 Jahre ältere Hindenburg die Vorarbeiten und Entscheidungen bereitwillig überließ. Mittels Drohung, Intrige und Erpressung sicherte er sich Vollmachten, die auf eine förmliche Diktatur hinausliefen. Als 1918 die Frühjahrsoffensive an der Westfront, die er konzipiert, vorbereitet und auf die er alles gesetzt hatte, ins Stocken geriet, dann zusammenbrach und der Krieg für das kaiserliche Deutschland verloren ging, wurde er entmachtet und am Ende entlassen.
Das Bündnis mit Hindenburg zerbrach. Um sich juristischen Konsequenzen zu entziehen, floh er nach Schweden. Später wurde er zu einer Galionsfigur des deutschen Antirepublikanismus, 1920 beteiligt am Kappputsch, 1923 an dem Marsch auf die Feldherrnhalle in München. Mit Adolf Hitler kooperierte er, zerstritt er sich und kooperierte erneut. Unter dem Einfluss seiner zweiten Frau Mathilde wurde er zum Apostel einer völkisch-antisemitischen Ideologie mit wahnhaft-religiösen Zügen und blieb dies bis zu seinem Tode 1937. Nebelin merkt an, man habe ihn deswegen als partiell unzurechnungsfähig oder gar paranoid angesehen:
"In letzter Konsequenz könnte […] die Beschäftigung mit seiner in der Tat mancherlei 'Rätsel' aufgebenden Persönlichkeit im wesentlichen der Psychologie vorbehalten bleiben.
Nebelin ist kein Psychologe. Dies betreffend versagt er sich jede Deutung. Dafür wendet er sich den geschichtlichen Folgen zu: Ludendorff lieferte das Modell für zahlreiche Maßnahmen Hitlers. Dazu gehören die Zwangsrekrutierung von Fremdarbeitern für die Rüstungsindustrie, die Technik des Vernichtungskriegs, der massive Einsatz von Propaganda für Kriegszwecke, auch der später von Joseph Goebbels verwendete Begriff des totalen Krieges ist eine Ludendorff-Erfindung. Die militärischen Erfolge in Belgien und an der Ostfront waren das Resultat von Kalkül, Schwäche des Gegners und Fortüne, was Ludendorff selber wusste und so sagte. Den Krieg verlor er, da er den U-Bootkrieg gegen zivile Schiffe durchsetzte und damit den Kriegseintritt der USA provozierte; die strategische Bedeutung der neuen Panzerwaffen erkannte er nicht.
Den Mythos der Unbesiegbarkeit, den ihm Deutschland verlieh, hat er vermutlich selber geglaubt. Jedenfalls hat er ihn benutzt. Bis zum Ende wollte er, was er den "Siegfrieden" nannte. Die Chance zu einem rechtzeitigen Ausgleich mit den Gegnern schlug er aus, die bedingungslose Kapitulation von 1918 war die Folge. Ob er wirklich ein militärisches Genie war, lässt sich durchaus anzweifeln.
Nebelins Buch schildert Ludendorffs Biografie bis zum Jahre 1919. Es ist gut geschrieben, und manches, so die Auseinandersetzung um den Reichskanzler Bethmann Hollweg, liest sich ausgesprochen spannend. Der Nachteil des Buches ist eben seine zeitliche Begrenzung. Der Militär Ludendorff wird ausführlich betrachtet, der Nachkriegsideologe und Parafaschist kommt kaum in Andeutungen vor. Dabei würde im Rückblick vieles an dem Manne erklärlicher. Über Ludendorffs Privatleben erfahren wir gerade das Allernötigste. Dass der Träger des beinahe gemütlich klingenden Titels Generalquartiermeister auf seine Umgebung eine starke Faszination ausübte, belegt Nebelin durch die Huldigungen so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Walther Rathenau, Thomas Mann und Max Weber.
"Hitlers 'Revolution' führte Deutschland bekanntlich in den Zweiten Weltkrieg und in verheerende Verbrechen. Im Zusammenhang mit der immer stärker in das allgemeine historische Bewusstsein eingehende These von 'Zeitalter der Weltkriege' ist Ludendorffs historischer Ort in der preußisch-deutschen Geschichte von Bedeutung, denn er und nicht Wilhelm II. – wie die Epochenbezeichnung Wilhelminismus suggeriert – stellt gleichsam das Scharnier zwischen Bismarck und Hitler dar, das heißt, zwischen der auf die Bewahrung der deutschen Großmachtposition in Europa ausgerichteten Politik des Reichsgründers und der auf die rassische und ideologische Beherrschung der Welt abzielenden Politik des Zerstörers von Reich und Altem Europas."
So Nebelin. Seinem abschließenden Urteil ist schwer zu widersprechen, außer, dass es ein wenig nach einer Exkulpation Wilhelm II. klingt, die nicht korrekt wäre: Der Kaiser und Ludendorff mochten einander nicht sonderlich, in ihrem Denken, ihrer Überzeugung, ihren Zielen und ihrer Hybris stimmten sie völlig überein.
Manfred Nebelin: Ludendorff – Diktator im 1. Weltkrieg, Siedler Verlag