Schalten, bis der Strom stimmt

Von Volker Finthammer |
Mit der Liberalisierung des Strommarktes wurden die Netzbetreiber von den Stromproduzenten abgekoppelt. Sie müssen rund um die Uhr dafür sorgen, dass das Netz im Gleichgewicht bleibt. Durch die erneuerbaren Energien wird das immer schwieriger.
"Wir befinden und hier in einem Hochsicherheitstrakt. Piep, Piep. Na, er will mich nicht, piep, piep, Klein Moment, nochmal, piep, piep, Ach das gibt’s doch nicht. Piiiieeep, Jetzt. Es ist manchmal schwierig. Nur denn er mich erkannt hat, lässt er mich rein."

Gunter Scheibner schüttelt den Kopf über den Vorführeffekt. Aber die Schaltzentrale des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz gehört zur europäischen kritischen Infrastruktur und ist deshalb besonders gesichert. Im sogenannten Transmission Control Center am Rande Berlins wird das gesamte Hochspannungsnetz in Ostdeutschland verwaltet.

Bis über Hamburg hinaus reichen die Leitungen die von hier aus kontrolliert werden. Mit der Liberalisierung des Strommarktes wurden die Netzbetreiber von den Stromproduzenten abgekoppelt. 50 Hertz deren Eigentümer der belgische Netzbetreiber Elia und eine australische Finanzholding sind, ist einer der vier großen Netzbetreiber in Deutschland. Nach der Sicherheitsschleuse steht der Besucher vor einer großen Digitalanzeige. 49,983 steht darauf.

"Das ist die aktuelle Netzfrequenz, die in ganz Europa gemessen wird. Sie ist sehr nahe bei der 50 Hertz, der Normfrequenz. Das ist ein erstes Signal, wenn die Bilanz der Energiereich und des Verbrauchs nicht übereinstimmen."

Für den Laien mag das komisch klingen. Aber die Netzbetreiber müssen zu jeder Sekunde das Tages dafür sorgen, dass das Stromnetz im Gleichgewicht bleibt, also immer soviel Strom im Netz ist, wie gerade verbraucht wird. 50 Hertz lautet die europäische Norm dafür. Steigt die Zahl, dann ist mehr Strom vorhanden als gebraucht wird. Sinkt sie, dann ist zu wenig Strom verfügbar. Die Netzbetreiber müssen nach den Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes für das Gleichgewicht sorgen. Genau das passiert in der Leitzentrale.

"Eins-Null-Fünf-Drei-Eh-We-Vau-Fünf-Fünf-Drei-Drei-Acht-Null-Kah-Vau Leitung Lubmin-Südenbrünzow Fünfhundertneun im freigeschalteten Zustand erteilt.......Jo, bitte Tchüss."

Vier Mitarbeiter sitzen in der Leitstelle vor einer riesigen Monitorwand, und geben auf den ersten Blick unverständliche Auskünfte ins Telefon. Jeder der vier von ihnen hat noch einmal sechs weitere Bildschirme auf dem Tisch vor sich. Ruhig und Gelassen geht es zu. Der Besucher hätte mehr erwartet:

"Wir sehen unsere Situation hier als Feuerwehr. Und 'ne Feuerwehr, wenn's nicht brennt, sind alle zufrieden. Und so ist es hier auch. Nur bei uns ist es nicht das Feuer, sondern die Energieversorgung. Und wenn hier, sozusagen, Aufregung und Hektik wäre. Das wäre ja ein Zeichen dafür, dass wir irgend ein großes Problem haben und dass die Verbindung zwischen Kraftwerk und Kunden gestört ist."

Sagt Klaus Dieter Deuck. Über 20 Jahren ist er in der Leitstelle tätig. Doch in den letzten zehn haben sich die Anforderungen erheblich geändert. Ging es früher darum, durch das gezielte hoch- oder herunterfahren einer überschaubaren Zahl von Kraftwerken das Netz im Gleichgewicht zu halten, so hat sich heute mit der Zunahme der Windkraft- und Solaranlagen die Situation verändert. Man hat es mit schwierigen Vorhersagen zu tun. Deshalb hat die Wetterkarte ihren eigen Platz auf den Terminals. Denn ob der Wind bläst oder sie Sonne scheint, sind hier extrem wichtige Auskünfte.

"Das Netz ist ja gebaut worden für eine zentrale Kraftwerkseinspeisung. Und jetzt ist ja im Prinzip alles dezentral und da wird das Netz unterschiedlich belastet. Das bereitet uns an gewissen Stellen richtige Probleme."

Im Internet kann jeder Interessierte die aktuelle Auslastung des Stromnetzes abrufen. Knapp drei Milliarden Kilowattstunden musste das Unternehmen allein im vergangenen Jahr vom Netz nehmen, damit das die Leitungen nicht überlastet sind. 2013 sieht es nicht besser aus. In Ostdeutschland ist allein die installierte Kapazität aus Windkraftanlagen mittlerweile deutlich höher als der gesamte durchschnittliche Stromverbrauch. Da wird das Netz zum Engpass:

"Der Flaschenhals ist ja immer die Leitung. Und wenn der voll ist, passt nichts mehr durch. Und das ist halt das Problem, das wir haben: Dass wir zu wenige Netzelemente haben, die es ermöglichen, den notwendigen Stromtransport durchzuführen,"

sagt Gunter Scheibner.

Der Elektroingenieur kann sich für die Zukunft viele intelligente Lösungen vorstellen. Doch an einem Ausbau der Stromnetze führt aktuell kein Weg vorbei.

"Wenn der Netzausbau nicht in dem gewünschten Maße kommt, wird der Aufwand zur Beherrschung der Erzeugungssituation bei ungebremst weiteren Installationen erneuerbarer Energieanlagen deutlich ansteigen."
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