"Schaffig" und "wunderfitzig"
Die gebürtige Sächsin Barbara Bollwahn ist in Berlin zu Hause. Während ihres Stipendiums im Schwarzwald arbeitet sie an einem neuen Buch für junge Leser, das teilweise auch in dieser Gegend spielen wird. Außer neuen Vokabeln hat sie auch schon gelernt, wie man Waldhonig macht.
Dieter Kassel: Die vorübergehende Heimatgemeinde von Barbara Bollwahn ist derzeit in Eisenbach im Schwarzwald. Wobei, wenn man ganz genau sein will, ist sie nicht im Hauptort in Eisenbach, sondern im zu der Gemeinde gehörenden Örtchen Schollach. Und da begrüße ich sie jetzt am Telefon. Guten Tag, Frau Bollwahn!
Barbara Bollwahn: Guten Tag!
Kassel: Wie habe ich mir denn das Zimmer, in dem Sie jetzt sitzen, vorzustellen? Haben Sie wenigstens ne Kuckucksuhr?
Bollwahn: Nein, ne Kuckucksuhr fehlt leider, die vermisse ich auch schmerzlich, aber ansonsten ist das eine eher niedrige Stube. Ich bin 1,74 Meter groß, kann gerade noch stehen, aber es gibt in jedem Raum ein paar Balken, da muss man verdammt aufpassen, sich nicht zu stoßen. Aber ansonsten ist alles sehr rustikal, mit viel Holz, und am allerschönsten ist der Blick nach draußen. Ich hab hier in der Stube, wo ich sitze, vier Fenster, die gehen alle nach draußen, und da sehe ich ausschließlich saftige Wiesen, die Tannen von dem Wald und jede Menge Kühe.
Kassel: Bei dem Herrn, den wir gerade gehört haben, hatte ich – ich hab ihn verstanden, aber ich musste mich doch konzentrieren, er wiederum hat sich Mühe gegeben. Wie läuft das denn mit Ihnen als geborene Sächsin, die an Berlin gewöhnt ist, mit der Sprache jetzt im Hochschwarzwald?
Bollwahn: Da habe ich natürlich … selbst nach vier, fünf Besuchen mittlerweile im Bierhäusle habe ich natürlich immer noch meine Probleme, speziell den Wirt, den "Guscht" zu verstehen. Zum einen ist das eben ein Herr, der ist schon 74 Jahre alt, ist gebürtig von hier und hat wirklich dann so einen starken Dialekt, dass ich manchmal also nicht nur besonders deutlich zuhören muss, sondern mehrmals auch fragen muss: Wie bitte? Und dann versucht er das in einem halbwegs verständlichen Deutsch zu sagen, das ist manchmal sehr unterhaltsam. Aber zum anderen versuche ich auch insofern davon zu profitieren, dass ich das ein oder andere typische Wort von hier auch gerne lernen will. Ich werd also einen Teufel tun, zu versuchen so zu reden wie die Leute hier, das würde gar nicht gehen, aber ich versuche, immer wieder mal einzelne Wörter aufzuschnappen, die dann auch unmittelbar in mein neues Buch einfließen sollen.
Kassel: Zum Beispiel? Sie haben also sicherlich in den letzten fünf Wochen schon geschnappt?
Bollwahn: Ja, es sind zum Beispiel so Begriffe – also der Leser soll sie ja dann halbwegs verstehen, und da gibt es einige, die kann man dann auch verstehen. Also was ich hier zum Beispiel mache, wirklich 24 Stunden am Tag, ich bin – mal gucken, ob Sie’s verstehen – ich bin wunderfitzig.
Kassel: Ähm, heißt das soviel wie überrascht oder so was ähnliches?
Bollwahn: Neugierig!
Kassel: Neugierig, aha!
Bollwahn: Die Leute wiederum hier sind, die meisten sind ja Bauern und haben viele Kühe, und die sind alle zum einen ausgesprochen konservativ, ausgesprochen fromm und gläubig und aber auch sehr schaffig.
Kassel: Also schaffig, also fleißig?
Bollwahn: Genau, sehr fleißig, ja. Und wenn jemand sagt, es geht abi, dann heißt das nicht, dass der jetzt kurz vorm Abitur steht, sondern es geht runter. Abi ist runter.
Kassel: Da haben Sie aber mit dem Schwierigsten angefangen, und jetzt kommen wir langsam zu dem Bereich, wo ich’s schaffen würde. Frau Bollwahn, wir haben das vorhin ja gehört, das war ein Mann aus der Wirtsstube, den wir gehört haben, Sie erwähnen jetzt solche Leute. Ich habe mir das mal angeguckt, offiziell, der Verein, der das anbietet, diese drei Monate, die Sie jetzt auch haben als Dorfschreiberin in Eisenbach, offiziell sollen Sie ja Kontakte zu der kreativen Szene des Ortes, zu den Intellektuellen haben. Ich hab jetzt persönlich den Eindruck, Sie haben eher Kontakt zu den anderen?
Bollwahn: Genau, eigentlich ist das Anliegen von diesem Verein "Kreatives Eisenbach", dass die Gastautoren das kreative Potenzial, was es hier gibt, was eventuell daniederliegt, dass man das quasi zum Leben erwecken soll. Das ist so die hehre Absicht von dem Verein. Das ist allerdings etwas, was ziemlich schwer zu bewerkstelligen ist. Das heißt, man kann hier zwar – das habe ich ja auch gemacht – eine Schreibwerkstatt anbieten für interessierte Erwachsene, die gerne schreiben möchten, dann unter Anleitung eben von einem Autor, aber das heißt nicht, dass die jetzt wirklich in Scharen kommen. Was ich jetzt also nach über einem Monat gemerkt hab: Es liegen zum Teil schon Welten zwischen den Leuten von dem Verein, weil das sind alles zugezogene Leute und alles studierte Leute, die also einen gewissen kulturellen Anspruch haben. Und auf der anderen Seite hat man die alteingesessenen Leute, also die Schollacher, und das sind fast alles Bauern, die haben schon mal einen ganz anderen Tagesablauf. Also die sind wirklich hauptsächlich aufm Acker und im Stall und haben dann mit Literatur oder Kunst gar nicht so viel am Hut. Und da man eben das andere auch gar nicht erzwingen kann, mach ich das eben so, dass ich einen unglaublichen Reiz daran finde, viel von den Leuten zu lernen. Das heißt, ich weiß jetzt, wie man Waldhonig macht, das ist ein Honig ohne Bienen. Da geht man also hier in den Wald, zehn Minuten von meiner Stube entfernt, sammelt sogenannte Schössle, das sind die ganz jungen Tannenspitzen, die werden dann mit Zucker aufgekocht und dann hat man Honig. Oder ich lass mir zeigen, wo die besten Pfifferlinge wachsen oder besuche die freiwillige Feuerwehr zum Sommerfest, zu einem Oldtimertreffen, geh zur Frauensportgruppe, besichtige den ersten Skilift der Welt, der wenige Kilometer von hier entfernt steht, der vor über 100 Jahren errichtet wurde, da sind die Leute sehr stolz darauf. Aber das andere mit der Kultur, das ist wirklich nicht so leicht zu bewerkstelligen. Einfacher geht es bei Kindern – Sie haben das vorhin erwähnt: Ich mach hier in Eisenbach an der Schule eine Schreibwerkstatt für Zweitklässler und Drittklässler. Das funktioniert wunderbar, weil die Kinder einfach geradezu sprühen vor Fantasie und da unglaublich viel Freude daran haben, mit ner Schriftstellerin aus Berlin zusammen Geschichten zu schreiben.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur in unserer Sommerreihe über Stadt- und eben auch Dorfschreiber mit Barbara Bollwahn, die sich zurzeit insgesamt drei Monate lang in Eisenbach im Hochschwarzwald aufhält. Das, was ich ganz am Anfang zur Begrüßung nach den Nachrichten gesagt habe, Frau Bollwahn, dass Sie gesagt haben, ich war nie Mitglied der Partei, nicht bei der Stasi, und der Schwarzwald soll auch nicht rot werden, das haben Sie schon gesagt, bevor Sie gekommen sind. Das steht auch auf der Homepage des Vereins "Kreatives Eisenbach", weil Sie offenbar befürchtet haben, wenn da jemand aus Berlin kommt, der gebürtig aber auch noch aus der Nähe von Leipzig ist, dann wird er mit Vorurteilen empfangen. Ist das am Ende so gewesen?
Bollwahn: Ja, also es gab zumindest eine gewisse Skepsis, als meine Bewerbung eingetrudelt ist, weil da war ja allein der Biografie schon zu entnehmen: 1964 in Sachsen geboren und dann mit dem Mauerfall dann nach Westberlin gegangen. Also war klar, wir haben es hier mit jemandem aus dem Osten zu tun. Und da gab es zumindest nicht unbedingt Vorbehalte, aber es gab zumindest Skepsis, also dass es da so ein vorsichtiges Rantasten gab. Sie wollen ja vorher eigentlich schon ganz gern wissen, mit wem haben wir es zu tun. Und da mögen dann Vorbehalte in der Art eine Rolle gespielt haben, dass möglicherweise alle im Osten in der Partei waren und möglicherweise alle für die Staatssicherheit gearbeitet haben. Und als ich diese Ängste oder Vorbehalte mitbekommen habe, da hat mich dieser Aufenthalt hier noch mehr interessiert, als er mich vorher schon interessiert hat.
Kassel: Wie ist es denn nun mit den Leuten vor Ort? Sie haben ja schon beschrieben, Kinder und eher so einfachen, normalen Menschen, die nicht direkt Kreativen, mit denen haben Sie am meisten Kontakt. Trauen Sie sich denn auch, dann direkt mal was zu fragen: Frau Bollwahn, war denn wirklich in der DDR immer alles so, wie wir uns das vorstellen?
Bollwahn: Also bei den Jugendlichen ist es so, dass die eigentlich zu dem Thema kaum was fragen, was daran liegt, dass die wirklich überhaupt keine Ahnung haben. Und dann ist es natürlich schwierig, dann was zu fragen. Also das fängt schon an, wenn ich dann aus meinem Buch "Der Klassenfeind und ich" lese, da steht also der Titel vorne drauf. Dann halte ich das Cover hoch und frage die Jugendlichen, womit sie denn das Wort Klassenfeind assoziieren. Da gehen dann sofort fünf Hände hoch, und alle erzählen irgendwas, was unmittelbar mit dem Thema Schulklasse zu tun hat oder mit Mobbing. Und die beste Erklärung und die lustigste, die ich gehört hab, war ein Schüler, der sagte: Der Klassenfeind, das ist doch unser Klassenlehrer. Und da merkt man, dass da also null Wissen bei vielen da ist. Das ist aber nicht nur bei den Jugendlichen so. Also es gibt auch Erwachsene, wenn die früher überhaupt keine Berührungspunkte hatten, das heißt, die hatten keine Verwandten im Osten, die hatten keine Freunde da, die hatten keinen Grund, da hinzufahren, dann war das also früher ein unbeschriebenes Blatt und ist dann auch nach '89 nach wie vor genauso ein unbeschriebenes Blatt. Das heißt, dann merke ich das daran, dass die Bäuerin hier auf dem Hof, die ist auch mein Jahrgang, die ist Mitte 40, die war bei meiner Antrittsvorlesung und hat dann danach gesagt: Ach, jetzt verstehe ich, warum auf dem Buchcover die Bananen drauf sind. Das heißt, wo man merkt, da ist auch so ein Wissen nicht da, dass es bestimmte Sachen – und in dem Fall die symbolischen Bananen –, dass es so was kaum gegeben hat im Osten.
Kassel: Für Sie persönlich ist ja auch ein nicht unwesentlicher Zweck Ihres Aufenthaltes da die Recherche für Ihren nächsten Jugendroman. Läuft das Ding gut, haben Sie schon – Sie müssen nicht, Sie sind vermutlich genauso abergläubisch wie jede Schriftstellerin, nichts verraten über die Handlung –, aber haben Sie schon den Plot für den jungen Mann aus Sachsen oder Berlin im Schwarzwald jetzt im Kopf?
Bollwahn: Also ich kann ein bisschen was natürlich sagen. Es wird wieder ein Jugendroman sein, und da geht es um ein 16-jähriges Mädchen, die in Berlin aufwächst und sich auf die Suche macht nach ihrer leiblichen Mutter. Das heißt, sie wurde gleich nach der Geburt von ihrer Mutter zur Adoption weggegeben, dann erfährt sie mit 14, dass die Eltern, bei denen sie aufgewachsen ist, dass das nicht ihre wahren Eltern sind, und macht sich dann mit 16 auf die sogenannte Wurzelsuche – das kann man ab dem Alter von 16 Jahren machen. Und ihre Suche nach der Mutter führt sie dann in den tiefen, tiefen Schwarzwald. Das heißt, da kann ich eine ganze Reihe von Eindrücken und Beobachtungen und Erlebnissen, die ich hier mache, kann ich so ziemlich eins zu eins für die Protagonistin verwenden, weil die Protagonistin am Anfang genauso wenig über den Schwarzwald weiß wie ich. Und deswegen ist das natürlich für mich geradezu luxuriös, weil ich könnte mir den Schwarzwald mit allem, was dazugehört, niemals von Berlin aus, vom Schreibtisch aus denken, das würde nicht gehen.
Kassel: Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei den übrigen – Kopfrechnen – ungefähr sieben Wochen Aufenthalt, die Sie noch haben!
Bollwahn: Vielen Dank!
Kassel: Danke Ihnen! Barbara Bollwahn war das. Sie ist zurzeit im Schwarzwald in Eisenbach Dorfautorin, und solange sie den neuen Roman noch nicht geschrieben hat, empfehle ich noch mal den alten. Der heißt "Der Klassenfeind und ich" und ist selbstverständlich erhältlich.
Barbara Bollwahn: Guten Tag!
Kassel: Wie habe ich mir denn das Zimmer, in dem Sie jetzt sitzen, vorzustellen? Haben Sie wenigstens ne Kuckucksuhr?
Bollwahn: Nein, ne Kuckucksuhr fehlt leider, die vermisse ich auch schmerzlich, aber ansonsten ist das eine eher niedrige Stube. Ich bin 1,74 Meter groß, kann gerade noch stehen, aber es gibt in jedem Raum ein paar Balken, da muss man verdammt aufpassen, sich nicht zu stoßen. Aber ansonsten ist alles sehr rustikal, mit viel Holz, und am allerschönsten ist der Blick nach draußen. Ich hab hier in der Stube, wo ich sitze, vier Fenster, die gehen alle nach draußen, und da sehe ich ausschließlich saftige Wiesen, die Tannen von dem Wald und jede Menge Kühe.
Kassel: Bei dem Herrn, den wir gerade gehört haben, hatte ich – ich hab ihn verstanden, aber ich musste mich doch konzentrieren, er wiederum hat sich Mühe gegeben. Wie läuft das denn mit Ihnen als geborene Sächsin, die an Berlin gewöhnt ist, mit der Sprache jetzt im Hochschwarzwald?
Bollwahn: Da habe ich natürlich … selbst nach vier, fünf Besuchen mittlerweile im Bierhäusle habe ich natürlich immer noch meine Probleme, speziell den Wirt, den "Guscht" zu verstehen. Zum einen ist das eben ein Herr, der ist schon 74 Jahre alt, ist gebürtig von hier und hat wirklich dann so einen starken Dialekt, dass ich manchmal also nicht nur besonders deutlich zuhören muss, sondern mehrmals auch fragen muss: Wie bitte? Und dann versucht er das in einem halbwegs verständlichen Deutsch zu sagen, das ist manchmal sehr unterhaltsam. Aber zum anderen versuche ich auch insofern davon zu profitieren, dass ich das ein oder andere typische Wort von hier auch gerne lernen will. Ich werd also einen Teufel tun, zu versuchen so zu reden wie die Leute hier, das würde gar nicht gehen, aber ich versuche, immer wieder mal einzelne Wörter aufzuschnappen, die dann auch unmittelbar in mein neues Buch einfließen sollen.
Kassel: Zum Beispiel? Sie haben also sicherlich in den letzten fünf Wochen schon geschnappt?
Bollwahn: Ja, es sind zum Beispiel so Begriffe – also der Leser soll sie ja dann halbwegs verstehen, und da gibt es einige, die kann man dann auch verstehen. Also was ich hier zum Beispiel mache, wirklich 24 Stunden am Tag, ich bin – mal gucken, ob Sie’s verstehen – ich bin wunderfitzig.
Kassel: Ähm, heißt das soviel wie überrascht oder so was ähnliches?
Bollwahn: Neugierig!
Kassel: Neugierig, aha!
Bollwahn: Die Leute wiederum hier sind, die meisten sind ja Bauern und haben viele Kühe, und die sind alle zum einen ausgesprochen konservativ, ausgesprochen fromm und gläubig und aber auch sehr schaffig.
Kassel: Also schaffig, also fleißig?
Bollwahn: Genau, sehr fleißig, ja. Und wenn jemand sagt, es geht abi, dann heißt das nicht, dass der jetzt kurz vorm Abitur steht, sondern es geht runter. Abi ist runter.
Kassel: Da haben Sie aber mit dem Schwierigsten angefangen, und jetzt kommen wir langsam zu dem Bereich, wo ich’s schaffen würde. Frau Bollwahn, wir haben das vorhin ja gehört, das war ein Mann aus der Wirtsstube, den wir gehört haben, Sie erwähnen jetzt solche Leute. Ich habe mir das mal angeguckt, offiziell, der Verein, der das anbietet, diese drei Monate, die Sie jetzt auch haben als Dorfschreiberin in Eisenbach, offiziell sollen Sie ja Kontakte zu der kreativen Szene des Ortes, zu den Intellektuellen haben. Ich hab jetzt persönlich den Eindruck, Sie haben eher Kontakt zu den anderen?
Bollwahn: Genau, eigentlich ist das Anliegen von diesem Verein "Kreatives Eisenbach", dass die Gastautoren das kreative Potenzial, was es hier gibt, was eventuell daniederliegt, dass man das quasi zum Leben erwecken soll. Das ist so die hehre Absicht von dem Verein. Das ist allerdings etwas, was ziemlich schwer zu bewerkstelligen ist. Das heißt, man kann hier zwar – das habe ich ja auch gemacht – eine Schreibwerkstatt anbieten für interessierte Erwachsene, die gerne schreiben möchten, dann unter Anleitung eben von einem Autor, aber das heißt nicht, dass die jetzt wirklich in Scharen kommen. Was ich jetzt also nach über einem Monat gemerkt hab: Es liegen zum Teil schon Welten zwischen den Leuten von dem Verein, weil das sind alles zugezogene Leute und alles studierte Leute, die also einen gewissen kulturellen Anspruch haben. Und auf der anderen Seite hat man die alteingesessenen Leute, also die Schollacher, und das sind fast alles Bauern, die haben schon mal einen ganz anderen Tagesablauf. Also die sind wirklich hauptsächlich aufm Acker und im Stall und haben dann mit Literatur oder Kunst gar nicht so viel am Hut. Und da man eben das andere auch gar nicht erzwingen kann, mach ich das eben so, dass ich einen unglaublichen Reiz daran finde, viel von den Leuten zu lernen. Das heißt, ich weiß jetzt, wie man Waldhonig macht, das ist ein Honig ohne Bienen. Da geht man also hier in den Wald, zehn Minuten von meiner Stube entfernt, sammelt sogenannte Schössle, das sind die ganz jungen Tannenspitzen, die werden dann mit Zucker aufgekocht und dann hat man Honig. Oder ich lass mir zeigen, wo die besten Pfifferlinge wachsen oder besuche die freiwillige Feuerwehr zum Sommerfest, zu einem Oldtimertreffen, geh zur Frauensportgruppe, besichtige den ersten Skilift der Welt, der wenige Kilometer von hier entfernt steht, der vor über 100 Jahren errichtet wurde, da sind die Leute sehr stolz darauf. Aber das andere mit der Kultur, das ist wirklich nicht so leicht zu bewerkstelligen. Einfacher geht es bei Kindern – Sie haben das vorhin erwähnt: Ich mach hier in Eisenbach an der Schule eine Schreibwerkstatt für Zweitklässler und Drittklässler. Das funktioniert wunderbar, weil die Kinder einfach geradezu sprühen vor Fantasie und da unglaublich viel Freude daran haben, mit ner Schriftstellerin aus Berlin zusammen Geschichten zu schreiben.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur in unserer Sommerreihe über Stadt- und eben auch Dorfschreiber mit Barbara Bollwahn, die sich zurzeit insgesamt drei Monate lang in Eisenbach im Hochschwarzwald aufhält. Das, was ich ganz am Anfang zur Begrüßung nach den Nachrichten gesagt habe, Frau Bollwahn, dass Sie gesagt haben, ich war nie Mitglied der Partei, nicht bei der Stasi, und der Schwarzwald soll auch nicht rot werden, das haben Sie schon gesagt, bevor Sie gekommen sind. Das steht auch auf der Homepage des Vereins "Kreatives Eisenbach", weil Sie offenbar befürchtet haben, wenn da jemand aus Berlin kommt, der gebürtig aber auch noch aus der Nähe von Leipzig ist, dann wird er mit Vorurteilen empfangen. Ist das am Ende so gewesen?
Bollwahn: Ja, also es gab zumindest eine gewisse Skepsis, als meine Bewerbung eingetrudelt ist, weil da war ja allein der Biografie schon zu entnehmen: 1964 in Sachsen geboren und dann mit dem Mauerfall dann nach Westberlin gegangen. Also war klar, wir haben es hier mit jemandem aus dem Osten zu tun. Und da gab es zumindest nicht unbedingt Vorbehalte, aber es gab zumindest Skepsis, also dass es da so ein vorsichtiges Rantasten gab. Sie wollen ja vorher eigentlich schon ganz gern wissen, mit wem haben wir es zu tun. Und da mögen dann Vorbehalte in der Art eine Rolle gespielt haben, dass möglicherweise alle im Osten in der Partei waren und möglicherweise alle für die Staatssicherheit gearbeitet haben. Und als ich diese Ängste oder Vorbehalte mitbekommen habe, da hat mich dieser Aufenthalt hier noch mehr interessiert, als er mich vorher schon interessiert hat.
Kassel: Wie ist es denn nun mit den Leuten vor Ort? Sie haben ja schon beschrieben, Kinder und eher so einfachen, normalen Menschen, die nicht direkt Kreativen, mit denen haben Sie am meisten Kontakt. Trauen Sie sich denn auch, dann direkt mal was zu fragen: Frau Bollwahn, war denn wirklich in der DDR immer alles so, wie wir uns das vorstellen?
Bollwahn: Also bei den Jugendlichen ist es so, dass die eigentlich zu dem Thema kaum was fragen, was daran liegt, dass die wirklich überhaupt keine Ahnung haben. Und dann ist es natürlich schwierig, dann was zu fragen. Also das fängt schon an, wenn ich dann aus meinem Buch "Der Klassenfeind und ich" lese, da steht also der Titel vorne drauf. Dann halte ich das Cover hoch und frage die Jugendlichen, womit sie denn das Wort Klassenfeind assoziieren. Da gehen dann sofort fünf Hände hoch, und alle erzählen irgendwas, was unmittelbar mit dem Thema Schulklasse zu tun hat oder mit Mobbing. Und die beste Erklärung und die lustigste, die ich gehört hab, war ein Schüler, der sagte: Der Klassenfeind, das ist doch unser Klassenlehrer. Und da merkt man, dass da also null Wissen bei vielen da ist. Das ist aber nicht nur bei den Jugendlichen so. Also es gibt auch Erwachsene, wenn die früher überhaupt keine Berührungspunkte hatten, das heißt, die hatten keine Verwandten im Osten, die hatten keine Freunde da, die hatten keinen Grund, da hinzufahren, dann war das also früher ein unbeschriebenes Blatt und ist dann auch nach '89 nach wie vor genauso ein unbeschriebenes Blatt. Das heißt, dann merke ich das daran, dass die Bäuerin hier auf dem Hof, die ist auch mein Jahrgang, die ist Mitte 40, die war bei meiner Antrittsvorlesung und hat dann danach gesagt: Ach, jetzt verstehe ich, warum auf dem Buchcover die Bananen drauf sind. Das heißt, wo man merkt, da ist auch so ein Wissen nicht da, dass es bestimmte Sachen – und in dem Fall die symbolischen Bananen –, dass es so was kaum gegeben hat im Osten.
Kassel: Für Sie persönlich ist ja auch ein nicht unwesentlicher Zweck Ihres Aufenthaltes da die Recherche für Ihren nächsten Jugendroman. Läuft das Ding gut, haben Sie schon – Sie müssen nicht, Sie sind vermutlich genauso abergläubisch wie jede Schriftstellerin, nichts verraten über die Handlung –, aber haben Sie schon den Plot für den jungen Mann aus Sachsen oder Berlin im Schwarzwald jetzt im Kopf?
Bollwahn: Also ich kann ein bisschen was natürlich sagen. Es wird wieder ein Jugendroman sein, und da geht es um ein 16-jähriges Mädchen, die in Berlin aufwächst und sich auf die Suche macht nach ihrer leiblichen Mutter. Das heißt, sie wurde gleich nach der Geburt von ihrer Mutter zur Adoption weggegeben, dann erfährt sie mit 14, dass die Eltern, bei denen sie aufgewachsen ist, dass das nicht ihre wahren Eltern sind, und macht sich dann mit 16 auf die sogenannte Wurzelsuche – das kann man ab dem Alter von 16 Jahren machen. Und ihre Suche nach der Mutter führt sie dann in den tiefen, tiefen Schwarzwald. Das heißt, da kann ich eine ganze Reihe von Eindrücken und Beobachtungen und Erlebnissen, die ich hier mache, kann ich so ziemlich eins zu eins für die Protagonistin verwenden, weil die Protagonistin am Anfang genauso wenig über den Schwarzwald weiß wie ich. Und deswegen ist das natürlich für mich geradezu luxuriös, weil ich könnte mir den Schwarzwald mit allem, was dazugehört, niemals von Berlin aus, vom Schreibtisch aus denken, das würde nicht gehen.
Kassel: Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei den übrigen – Kopfrechnen – ungefähr sieben Wochen Aufenthalt, die Sie noch haben!
Bollwahn: Vielen Dank!
Kassel: Danke Ihnen! Barbara Bollwahn war das. Sie ist zurzeit im Schwarzwald in Eisenbach Dorfautorin, und solange sie den neuen Roman noch nicht geschrieben hat, empfehle ich noch mal den alten. Der heißt "Der Klassenfeind und ich" und ist selbstverständlich erhältlich.