Schäden im Ahr-Hochwassergebiet

Auch für den Weinbau eine Katastrophe

09:45 Minuten
Ein Weinberg bei Rech an der vom Hochwasser zerstörten Bahnstrecke.
Dieser Weinberg bei Rech ist gerade so davongekommen. Viele Reben in den Tälern sind verloren gegangen. © imago-images / Future Image / Christoph Hardt
Von Anke Petermann · 26.07.2021
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In den überschwemmten Gebieten in und um Bad Neuenahr-Ahrweiler werden die Aufräumarbeiten noch lange dauern. Wie groß der Schaden ist, lässt sich noch nicht ermessen. Grund zur Hoffnung geben aber die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen.
Seit anderthalb Stunden ist Franca unterwegs, in grünen, verschlammten Gummistiefeln. "Ich war an meinem Arbeitsplatz im Ahrweiler Winzerverein", sagt die Mitarbeiterin der Winzergenossenschaft im Weindorf Walporzheim. Sie ist soeben von ihrem Arbeitsplatz einmal quer durch Bad Neuenahr-Ahrweiler über die einzige intakte Brücke gelaufen.
Wie alle, die zu Fuß durch die Stadt gehen, trägt sie eine Maske. Nicht wegen Corona, sondern weil der getrocknete Schlamm zu Staub geworden ist. Jeder Müllwagen, Bagger, Laster und THW-Transporter wirbelt ihn erneut auf. Die Fahrzeugkolonne reißt nicht ab, die Staubwolke bleibt.

Zerstörte Rebflächen und Keltern

Franca spricht laut, um mit ihrer Stimme gegen den tosenden Verkehr anzukommen: "Wir müssen die Weinflaschen sortieren, weil viele Stapel umgekippt sind. Die Flaschen, die gut sind, kommen in die Kisten." Versandfertige Weine aus aufgeweichten Kartons schälen, entschlammen, sichten, ob sie unbeschädigt geblieben sind, dann erst einmal in Gitterboxen packen. Das wird die ganze Woche über noch Francas Job in der Lagerhalle der Traditions-Genossenschaft von 1874 sein: Zu retten, was zu retten ist.
Franca sagt: "Tausende Flaschen sind kaputt. Das ist eine Katastrophe. Eine Katastrophe! Alles: die ganzen Unterlagen, das Büro. Das Wasser ist über den Schreibtisch gelaufen. Alles ist kaputt."
Ähnlich sieht es bei anderen Winzern aus: Auf rund 50 Millionen Euro schätzt der Weinanbauverband Ahr den Schaden allein beim gelagerten Wein in diesem kleinen Anbaugebiet. Ahrweiler nennt sich "Rotweinmetropole" – doch nun sind Keltern und Rebflächen in Tallagen zerstört, Weingüter und Onlineshops wegen der Schäden und der Aufräumarbeiten geschlossen.

Solidarität unter Winzern

150 Moselwinzer reisten am Wochenende an, um den Geschädigten Arbeit im Weinberg abzunehmen, erzählt Winzer Marc Adeneuer am Telefon. Auch für die Lese in acht Wochen hätten die Kollegen aus den anderen Anbaugebieten Hilfe zugesagt. Nur deshalb wird es Ahrwein des Flut-Jahrgangs 2021 geben. "Wir stecken den Kopf nicht in den Schlamm", ist Adeneuers Devise. Es müsse weitergehen.
Dafür, dass es trockenen Fußes weitergeht, selbst wenn es, wie vorhergesagt, wieder regnen sollte, sorgen die Kanalarbeiter. Einer steckt am Straßenrand gegenüber der komplett verwüsteten Förderschule Don Bosco gerade den Kopf in einen Schacht. Er schaut kritisch. "Hier ist viel Sand drin – der muss weg."
Der Mann von den Stadtwerken Frankfurt am Main deutet auf seinen Kollegen, der den Absaugwagen ein paar Meter weiter geparkt hat. Kanalarbeiter und Sperrmüll-Entsorger – sie haben in diesen Tagen nach der Extremflut die wichtigsten Jobs. Den Wasserabfluss zu sichern und einer Ratteninvasion in den schlammüberzogenen Abfallbergen zuvorzukommen, das ist jetzt existentiell für Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Handwerkliche Hilfe aus benachbarten Regionen

Ein Landwirt zieht mit seinem Traktor einen riesigen Hänger quer über die Straße. Bis ein Radlader die Trümmer von Lampen, Betten und Waschmaschinen geladen hat, müssen auch Fußgänger und Radler warten. Die St. Pius-Brücke über die Ahr ist beschädigt und nur einspurig befahrbar, die Polizei regelt den zähen Verkehr. Bis Anfang kommender Woche eine zusätzliche Behelfsbrücke steht, wollen alle über die einzige verbliebene befahrbare Brücke. Vor dem Hochwasser waren es achtzehn.
Es wirkt, als trete hier das deutsche Handwerk zur Leistungsschau in Zeitlupe an: ein Dachdecker aus Meckenheim, ein Bauunternehmer aus Siegburg, ein Landschaftspfleger aus Neuwied, ein Kanalbauer aus Reutlingen und auch Katastrophenschützer aus dem Erzgebirge. Sie alle helfen hier.
Anderthalb Wochen nach der Extremflut herrscht immer noch Ausnahmezustand. 25.000 von knapp 30.000 Einwohnern des Winzer- und Kurortes sind betroffen, viele werden monatelang nicht in ihren Häusern übernachten können. Ob die Gasversorgung bis zum Beginn der Heizperiode steht – fraglich. Die Hotels aus der Blütezeit der Bäder-Kultur ab Ende des 19. Jahrhunderts: überschwemmt, beschädigt oder zerstört.

Bangen um die Zukunft

Darunter der frisch renovierte Prachtbau des "Steigenberger" am Kurpark und das Dorint Parkhotel. Beide geschlossen. Wann wiedereröffnet werden kann: unklar. Die Schäden – kaum zu überschauen. Ebenso im Fahrradladen, dort hat es Edelmarken und teure Elektroräder getroffen.
"Die sind alle abgesoffen. Dementsprechend die ganze Elektronik: wahrscheinlich defekt. Aufgeräumt ist bestimmt schnell. Das Problem ist halt: wann geht's richtig weiter", fragt sich Junior-Mitarbeiter Johann. Neben Rädern sind auch Ersatzteile versunken, die in der Pandemie schwer genug zu beschaffen waren.
Dabei ist das coronabewährte Fahrrad auch in den Dauerstaus nach der Flutkatastrophe das schnellste Verkehrsmittel. Eine junge Frau radelt flott vorbei an Abschleppautos und Raupen im Schritttempo, zieht gegen den Staub ihr schwarzes Tuch höher über die Nase. An Kunden mangelt es dem Fahrradladen nicht.
"Wir haben täglich mehrere, wo wir die Reifen flicken oder neue Schläuche einsetzen", sagt Johann. Aber wann wieder Umsatz mit teuren Elektrorädern gemacht werden kann? Er zuckt die Schultern. "Müssen wir schauen. Die sind alle dreckig. Da müssen wir viel Arbeit reinstecken, alle auseinandernehmen." In dem heil gebliebenen Drittel der Werkstatt. Johann denkt aber schon weiter:
"Das Problem sind nicht die zwei, drei, vier Wochen. Sondern: Wie sieht's aus, wenn es wieder normal geht? Wo ist dann der Tourismus, wo sind die Luxemburger, die Belgier, die Holländer? Die fehlen dann halt, denn es gibt ja auch keine Fahrradwege mehr!"

Viele Unternehmen sind geschlossen

Er deutet hinunter zur Ahr, wo das Hochwasser die Promenade und den Radweg zerbröselt hat. Gegenüber dem Fahrradladen steht am Abend ein Kanalreinigungswagen auf dem geschlossenen Werksgelände des Stoßdämpferherstellers ZF Ahrweiler, Teil des Automobil Zulieferkonzerns ZF Friedrichshafen. 280 Mitarbeiter produzierten hier bis vor kurzem Ventile für elektronische Dämpfungssysteme. Ihr Arbeitsplatz ist verwüstet.
Wann sie außer Aufräumen wieder etwas tun können, ist ungewiss. "Vorübergehend geschlossen", melden im Internet viele Unternehmen der Kleinstadt. Die Spielhalle im Gewerbegebiet ist immerhin schon entrümpelt. Das war das Tagwerk von Freiwilligen wie Esther Wittner aus Heidelberg: "Wir haben hier geholfen, die Böden freizumachen, Teppiche abzumachen, Tapeten abzureißen, damit die Wände trocknen können über Nacht."
Seit Samstag ist Bad Neuenahr-Ahrweiler für den Individualverkehr Auswärtiger gesperrt. Die Heidelbergerin ist deshalb an einer Sammelstelle an der Autobahn 61 in das Shuttle eines Neuenahrer Unternehmers gestiegen. Das hat sie zum Einsatzort gebracht, gemeinsam mit ihrer Schwägerin Annika Wittner aus dem nahen Mendig.
"Ich habe selbst keine Familie oder Betroffene hier, aber irgendwie beschäftigt es einen die ganze Zeit. Also, man hat es immer im Hinterkopf. Da ist einfach so ein Bedürfnis zu helfen, so dass wir gesagt haben: Los gehts, wir müssen jetzt was anpacken."

Infektionsgefahr durch kontaminierten Schlamm

Was man im Flutgebiet anpackt, ist überzogen mit Öl und Chemie – mit kontaminiertem Schlamm. Das nehmen die Freiwilligen wissentlich in Kauf. Wittner sagt: "Das Gefühl auf der Haut ist schon ziemlich ekelhaft. Wir haben auch Masken getragen. Wir passen schon auf."
Ein weiterer Helfer, Oliver Seifert, bestätigt: "Ein Kollege von mir hat sich eine Wunde an der Hand eingefangen und eine Riesen-Entzündung bekommen danach. Also, man sollte schon echt gut aufpassen." Seine Armstulpen hat er nicht gegen Sonnenbrand, sondern zum Schutz gegen bakterienverseuchten Dreck übergestreift.
Die Einsatzleitung rät Helfern, nur mit Tetanus- und Hepatitis-Impfung anzureisen. Mancherorts hieß es, Freiwillige würden nicht mehr gebraucht. Auf Bad Neuenahr-Ahrweiler trifft das nicht zu – so haben es jedenfalls Esther Wittner und Oliver Seifert erlebt.

"Es geht voran"

Esther Wittner sagt:"Was ich heute gesehen habe, bedeutet: Kommen, helfen, anpacken. Es gibt noch so viel. Man kann sich das gar nicht vorstellen." Seifert fügt hinzu: "Das ist eine Mammutaufgabe, unfassbar." Mit wie viel Energie die Neuenahrer Unternehmer anpacken, imponiert Esther Wittner.
"Dass die unter den Unternehmern eine Whatsapp-Gruppe haben und dann immer da rein posten, wenn zum Beispiel gerade schweres Gerät frei wird, ob noch jemand das benötigt, dass das sofort weitervermittelt wird."
Annika Wittner und ihre Schwägerin steigen ins Shuttle, freuen sich auf die Dusche. Mit dem guten Gefühl: "Es geht voran."

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