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Plädoyer für radikale Vielfalt
Nach Identität zu fragen ist wichtig, aber eine Antwort oft problematisch: "'Wir' funktioniert immer als Frage", betont die Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann. Und statt für Integration plädiert sie für radikale Diversität.
Einwanderungsland sucht Identität: So ließen sich viele Debatten des Jahres 2017 überschreiben - von der Diskussion darüber, wie "Integration" gelingen kann, bis zum Streit um "deutsche Leitkultur".
Von beidem hält die Schriftstellerin und Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann nicht viel: Die Leitkulturdebatte habe ihr Angst gemacht, sagte sie im Deutschlandfunk Kultur. Denn Leiten bedeute Führen. "Ich will nicht geführt werden", so die Hausautorin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. "Auch in meinen jüdischen Ohren klingt das ganz falsch."
Das bedeutet nicht, dass sie Fragen nach Identität ablehnt, wie Salzmann betont. Identitätsfragen gehörten im Gegenteil auf die Tagesordnung. "So anstrengend das ist. Nichts steht fest." Aber das "Wir" funktioniere immer als Frage: "Weil, wenn man sagt: Wir wissen doch, dann gibt es sofort eine Gegenfrage: Wen meinst du mit wir?", so die 1985 in Wolgograd geborene Salzmann. "Meinen wir alle, die deutsche Pässe haben? Meinen wir alle, die hier geboren sind? Meinen wir alle, die Deutsch sprechen? Die hier zusammen leben?"
Nebeneinander, ohne sich zu behindern
Auch Integration empfindet Salzmann als problematischen Begriff. Denn das Konzept bedeute oft: "Eine Mehrheit definiert, was normal ist und ihr könnt da rein und euch adaptieren, und sonst seid ihr nicht willkommen." Statt für Integration plädiert sie insofern für radikale Diversität: "Ich glaube, wir können uns nach Vorstellungen, wie wir leben wollen, nebeneinander postieren und uns nicht behindern in der Emanzipation."
In diesem Sinne ist auch der von ihr mitkonzipierte "Herbstsalon" des Jahres 2017 im Maxim-Gorki-Theater zu verstehen, der unter dem Motto "Desintegriert euch!" stand.
"Es ging aus von radikalen jüdischen Positionen, die gesagt haben: Wir brauchen einen Raum, in dem wir unsere Themen selber verhandeln können, ohne sofort abgestempelt zu werden", sagt Salzmann.
Zum Beispiel sei es wahnsinnig schwer, eine eigene zeitgenössische Position als in Deutschland lebende Jüdin zu finden, "ohne sofort gefragt zu werden: Was ist dir passiert? Das tut mir leid etc. Man ist in einem permanenten Reaktionsverfahren, man kann gar nicht selber agieren und sich befragen, was ist meine jüdische Identität, wenn ich zum Beispiel Atheistin bin? Oder nichts mit Israel zu tun habe? Oder in den USA? Weil, wir kommen ja von überall her."
(uko)