Sarah Kuttner: "Kurt"
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2019
240 Seiten, 20 Euro
"Die Welt geht weiter, ob wir wollen oder nicht"
13:48 Minuten
In Sarah Kuttners Roman "Kurt" spielt das Thema Trauer eine große Rolle. Die Autorin hat beobachtet, dass Trauernde im wahren Leben oft isoliert werden - weil alle denken, dass man besonders auf sie aufpassen muss. Kuttners Antwort darauf: Es ist wichtig, dass es weitergeht.
Eine Frau zieht mit ihrem Lebenspartner und dessen Sohn in den Berliner Speckgürtel, scheint dort das Glück der Patchwork-Familie zu finden. Doch plötzlich stirbt der Junge, der Vater erstickt fast an der Trauer, und sie als Quasi-Stiefmutter weiß nicht, wieviel Trauer ihr zusteht. Darf sie überhaupt so viel trauern?
"Sie vergisst, ihre eigene Trauer ausleben zu dürfen", sagt Sarah Kuttner über ihre Hauptfigur in dem Roman "Kurt". Trauer ist das zentrale Thema in "Kurt". Kuttner findet, es sei wichtig, Trauer in den Alltag zu integrieren: "Dann sitzt da jemand mal in seinem Zimmer und weint 'ne Stunde. Und danach müssen Sachen erledigt werden."
Trauernde werden isoliert
Sie habe nicht den Eindruck, dass es zu wenig Raum zum Trauern in unserer Gesellschaft gebe, sagte sie im Deutschlandfunk Kultur: Eher sei das Gegenteil der Fall:
"Wenn jemand etwas Furchtbares zugestoßen ist, dann wird der isoliert, weil man denkt, du kannst ja unmöglich jetzt Wurst und Klopapier kaufen. Dann kriegen die so ein Extra-Prinzessinnen-Ding, jemand, auf den man ganz besonders aufpassen muss. Und das ist, glaub ich, der Fehler.
Die Welt geht weiter, ob wir wollen oder nicht. Ich finde es auch wahnsinnig wichtig, dass es weitergeht. Wenn die Welt einfach stehen bleiben würde, wenn einem etwas Furchtbares passiert ist, das wäre ja unerträglich.
Dann muss man dieses Spiel einfach mitmachen: weiterleben, und sich Zeit nehmen für Trauer, aber eben sich auch trauen zu lachen. Viele Trauernde trauen sich auch nicht, Witze zu machen oder zu lachen, weil sie denken, das geht doch nicht, ich hab doch jemanden verloren, ich darf nicht lustig sein."
Sie selbst mache sehr wohl mit Trauernden Witze, sagt Kuttner:
"Ich hab einfach gemerkt, dass das die Leute erleichtert, dass sie dann kurz mal normal sein können, denn eigentlich wollen die auch mal Teil von dieser Welt sein können, in der nicht getrauert wird."
Das Interview im Wortlaut:
Andrea Gerk: Als Moderatorin bei Viva und MTV wurde Sarah Kuttner bekannt. Es folgten erfolgreiche Formate wie "Kuttner plus Zwei", und 2009 dann, also genau vor zehn Jahren, veröffentlichte sie ihren Debütroman "Mängelexemplar", der wochenlang auf der Bestsellerliste stand. Jetzt ist der neue Roman von Sarah Kuttner erschienen, "Kurt" ist der Titel, und jetzt ist Sarah Kuttner bei mir hier im Studio. Hallo, schön, dass Sie da sind!
Sarah Kuttner: Hallo, danke schön!
Gerk: In diesem Buch geht’s ja um ein Paar, das aufs Land gezogen ist, und zwar deshalb, weil der Mann, Kurt, der hat einen Sohn, der mit seiner Mutter da schon wohnt, und die wollen sich irgendwie diese Betreuungszeit besser aufteilen. Das ist also so eine Patchwork-Familie, die wir da erleben.
Das Paar, was im Mittelpunkt steht, hat gerade ein Haus gekauft und renoviert das, der Garten wird bepflanzt, es ist eigentlich ziemlich idyllisch, und dann passiert eigentlich das Schlimmste, was sich Eltern vorstellen können: Der Junge stirbt durch einen Spielunfall, kann man wohl sagen, und dieses Unfassbare, die Trauer und wie die Menschen damit umgehen oder auch eben nicht damit umgehen können, das ist eigentlich das, wovon Ihr Buch erzählt.
Kuttner: Das ist eine tolle Zusammenfassung. Ich liebe das. Mich stresst das total, wenn Leute sagen: So, sagen Sie mal, worum es in Ihrem Buch geht.
Gerk: Das muss ich ja machen.
Kuttner: Ja, finde ich auch, und Sie haben es fantastisch gemacht, in kurzer Zeit sehr auf den Punkt gebracht, das merk ich mir mal.
"Ich finde, es muss immer ein bisschen wehtun"
Gerk: Schön, das freut mich, sehr gut. Wieso haben Sie sich von so einem schwierigen Thema, wo man sich ja auch doch sehr schwer reinversetzen kann, wie sich so Trauer eigentlich anfühlt, was hat Sie da reingezogen?
Kuttner: Ich find’s gar nicht so schwer. Also erstens mag ich ja schwierige Themen sowieso. Ich finde, es muss immer ein bisschen wehtun und es muss immer aus dem Alltag sein und wehtun, deswegen ja auch schon Bücher über Depressionen und suizidale Eltern und schwere Eltern-Kind-Beziehungen und so.
Also das ist mir eh wichtig, und ich find’s nicht so schwer, mich da reinzuversetzen. Ich hab ja in meinem Leben auch schon getrauert, nicht um ein eigenes Kind natürlich, aber die Protagonistin hat in dem Sinne ja auch kein eigenes Kind. Und dann sind einfach in den letzten vier Jahren so ein paar Menschen gestorben auf einmal in meinem nahen Umfeld, sodass ich wohl oder übel so ein bisschen lernen musste, mich damit auseinanderzusetzen – also sowohl mit schlimmen Krankheiten, mit Bestattungen, mit dem Tod an sich, mit meiner eigenen Trauer, mit der Trauer von Menschen, die noch näher dran sind.
Ich neige immer dazu, dann ein Buch zu schreiben, wenn ich gerade viel erlebt habe, um genug darüber schreiben zu können.
"Sie vergisst, ihre eigene Trauer auszuleben"
Gerk: Und das Thema ist ja auch weniger die Trauer des Vaters, der unmittelbar betroffen ist, sondern es ist ja ein ganz interessanter Perspektivwechsel, weil es geht eigentlich um die Frau, also seine Frau, die plötzlich nicht nur dieses Kind, was er mitgebracht hat, ja auch verloren hat auf eine Weise, sondern auch der Mann entgleitet ihr ja völlig, weil der driftet ja komplett ab in dieser Trauer. Es ist eigentlich eher das Thema, wie gehe ich um mit so einem Trauernden, oder?
Kuttner: Ja, und auch mit einem Trauernden, mit dem nicht umgegangen werden will quasi. Die Problematik ist ja auch, dass Lena, die Protagonistin, schon als der kleine Kurt noch lebte, gar nicht richtig weiß, wie viel will ich, wie viel darf ich, wie viel sollte ich. Und bevor sie das überhaupt geklärt kriegt, ist das Kind dann weg. Also selbst da ist sie noch nicht mal richtig angekommen und vergisst dann so ein bisschen, ihre eigene Trauer ausleben zu dürfen.
Gerk: Da haben Sie ja, finde ich, ganz schöne Bilder gefunden: Die findet da einmal so eine Zeichnung von dem kleinen Kurt, die sie ganz unheimlich berührt auch, und die versteckt sie dann hinter der Waschmaschine im Gästeklo, also sie findet auch selber gar keinen Ausdruck eigentlich oder hat auch das Gefühl, sie hat gar keinen Platz für ihre Trauer.
Kuttner: Na, weil ihr die so irre groß erscheint natürlich. Die denkt – und das denke ich in Naturie auch – erst mal, na ja, das ist der echte Vater von dem Kind, die haben eine viel engere Beziehung, dessen Trauer ist wertvoller als meine, dessen Trauer ist wichtiger, und dann stellt sie ihr eigenes Licht total unterm Scheffel.
Ungünstigerweise, dieser Mann, der eigentlich ein toller Typ ist, finde ich, macht das auch nicht gut. Er lässt das zu, dass sie sich total versteckt und dass es gar nicht um sie geht … Da handeln beide falsch – was ich gerne mag, wenn Hauptfiguren falsch handeln, damit nicht alles so perfekt ist, denn wir handeln ja auch alle Nase lang falsch und machen Sachen nicht so, wie sie sein sollten. Genau, darum geht’s im Grunde, wie die dann wieder, ob die zueinander finden und wie so eine Zeit auszuhalten ist.
Gerk: Aber Sie mögen Ihre Figuren schon gerne, oder?
"Iich liebe das, wenn Sachen nicht funktionieren"
Kuttner: Ich hab die irre lieb, na klar. Ich hab den kleinen Kurt geliebt, das hatte ich so nicht vor, ehrlich gesagt. Ich wollte natürlich einen zauberhaften kleinen Sechsjährigen darstellen, und ich finde selber, was selten so ist, dass mir das ganz gut gelungen ist.
Und dann war ich wirklich überfordert davon, dass der dann sterben musste. Ich weiß, dass ich das bestimmt zehn Seiten hinausgezögert habe, dass ich mit meinem Lektor telefoniert habe und gesagt habe, ich glaube, der ist jetzt mal dran, aber ich traue mich nicht.
Und ich mag den großen Kurt und ich mag Lena, aber die haben natürlich alle Fehler so wie Sie und ich auch, und das finde ich ja immer toll, wenn Menschen Fehler haben, aber die selber irgendwann bemerken oder damit lernen umzugehen oder auch nicht … Ich finde ja auch Scheitern in Büchern toll, ich liebe das, wenn Sachen nicht funktionieren.
Gerk: Es ist ja auch ein Roman wiederum übers Nichtscheitern, weil diese Patchwork-Familie, die funktioniert eigentlich erstaunlich gut. Die Frau ist ja jetzt auch nicht gerade die böse Stiefvater oder die kabbeln sich gar nicht so viel, wie man das sonst so kennt. War da die Grundidee, überhaupt einen Roman über eine Patchwork-Familie zu schreiben?
Kuttner: Das war tatsächlich die anfängliche Idee. Ich hab "Kurt" geschrieben von letztem März bis August etwa, das geht immer schnell bei mir, und die ersten zwei Seiten, wo es nur so um die Patchwork-Familie geht und die vorgestellt wird, waren schon ein Jahr vorher fertig, weil ich das als Grundidee erst mal gut fand.
Und dann merkte ich, ah, aber da kenn ich mich dann nicht genug aus, und um ehrlich zu sein, ist mir der Konflikt auch nicht groß genug, ich will, dass da mehr gescheitert wird und dass schlimmere Sachen passieren, an denen man einfach lernen kann, ein anderer, besserer Mensch zu sein oder so. Es war tatsächlich nicht genug Konflikt.
Gerk: Was interessiert denn so am Scheitern? Sie sind ja selber eigentlich eine sehr erfolgreiche Person.
"Ich bin einfach genauso wenig perfekt wie alle anderen"
Kuttner: Ja, aber das ist ja auch immer so die Außenwirkung. Ich hab ganz früh in meinem Leben angefangen, mich selber relativ gewalttätig davon abzuhalten, so zu tun als wenn, weil ich gemerkt habe, mich stresst das. Und man neigt natürlich eh als Mensch dazu, so ein bisschen eine Maske aufzuhaben, in der Öffentlichkeit erst recht. Ich hab gemerkt, dass mich das stresst, dass jederzeit die ja runtergerissen werden könnte, und ich möchte nicht, dass jemand anders die runterreißt, also nehme ich sie selber ab – soweit es geht.
Das ist etwas, was mich fasziniert, weil viele Leute sich das nicht trauen. Viele Leute haben eine Maske auf, ich sehe da oft dahinter, und dann will ich da immer dran rumfriemeln, was mir gar nicht zusteht, das weiß ich schon auch. Man scheitert ja dauernd, jeder von uns ja permanent, selbst die ganz Erfolgreichen kriegen ja dauernd kleine Sachen nicht hin.
Ich finde es schön, den Leuten zu sagen: So ist das. Ja, vielleicht bin ich Sarah Kuttner, aber ich hab, seit ich 16 bin, Cellulitis, und ich kann bestimmte Sachen nicht gut und ich bin sehr ungeduldig und dauernd verletze ich mich. Ich bin einfach genauso wenig perfekt wie alle anderen. Mich befriedigt das für mich selber, und andere Menschen mögen das, glaube ich, auch, weil die dann so ein bisschen beruhigter sind und denken, ah, wenn die auch nicht so schlau ist, wie immer alle denken, dann ist es ja vollkommen in Ordnung, wenn ich das auch nicht bin.
Gerk: Aber Sie erzählen ja nicht direkt jetzt autobiografisch von irgendwelchen Krisen. Erleben Sie das oft, dieses Missverständnis, dass die Leute dann, gerade weil Sie ja auch prominent sind aus dem Fernsehen, dann denken, wenn jetzt Sarah Kuttner über den Tod eines Kindes schreibt oder über Depressionen, dann hat die auch Depressionen und so?
Kuttner: Ja, natürlich, das ist schon immer so gewesen. Das war natürlich bei "Mängelexemplar", bei dem Buch über Depressionen, am meisten, und ich hab’s gehasst. Also vielleicht hab ich’s mir auch nur eingebildet, aber ich hab’s gehasst, wenn Journalisten diese Frage stellen und ich die verneine und man sieht in deren Augen so die Enttäuschung: Ist doch nur ausgedacht.
Und dann dachte ich immer, ihr seid alle so furchtbar, wie könnt ihr daraus eine Befriedigung ziehen, euch zu wünschen, dass mir das passiert wäre. Und davon abgesehen weiß ja auch niemand, ob’s mir passiert wäre. Ich weiß natürlich auch, zumindest in der Theorie, im richtigen Moment notfalls einfach zu lügen, aber die Bücher sind schon … Da ist sehr viel von mir drin, aber das ist eher so das Füllmaterial.
Die Geschichten, also vor allem diese – mein Freund hat kein Kind, ich kenne niemanden, wobei, ich kenne jemanden, dem ein Kind gestorben ist, und der hat auch über dieses Buch rübergeguckt, was ein ganz guter Abgleich war. Man muss ja auch nicht, Steven King hat ja auch keine Monster kennengelernt oder so. Man kann sich schon auch in Sachen reinversetzen.
Gerk: Das ist ja das Wesen von Literatur eigentlich, dass man sich was ausdenkt.
Die Hauptfiguren sollen "wenigstens ein bisschen doof" sein
Kuttner: Das stimmt. Wobei, also wie gesagt, das ist dann auch sehr viel von mir drin, nur nicht die Sachen, die mir so intim sind, dass ich sie teilen möchte, aber genug Lebenserfahrung tatsächlich auch und so Interesse an Psychologie, als dass ich schon sehr wohl verschiedene Rollen belegen kann und gucken kann, uh, wenn ich der wäre, wie würde ich da reagieren, wie würde ich reagieren, wenn ich überfordert und unfair wäre.
Das ist mir immer wichtig, das zuzulassen, dass auch die Hauptfiguren überfordert und unfair sind, weil ich hab das Gefühl, dass es oft so ist, dass der Protagonist eines Buches oder eines Films grundsätzlich schon mal ziemlich super ist und Sachen grundsätzlich schon ziemlich richtig macht, und ich will, dass die wenigstens ein bisschen doof sind.
Oft kommen Männerjournalisten, also männliche Journalisten, und sagen, also Ihre Hauptfigur, die ist schon sehr, sehr anstrengend. Und dann denke ich, ja, ich war dabei, sorry, dass sie dich nervt, aber das ist ja nichts, was mir passiert, sondern das mach ich ja mit Absicht. Da haben manche Leute auch kein Verständnis für, denen ist das dann zu viel, zu nervig.
Gerk: Aber dass das nervig ist, das könnte ja auch an dem Ton liegen, in dem Sie erzählen. Wie finden Sie denn den? Das ist ja in dem Fall finde ich, schon speziell, denn man kann ja mit so einem schweren Thema wie Trauer, das kann ja entweder viel zu schwer werden oder zu leicht, zu plapperig, aber irgendwie gelingt Ihnen das da mit einer gewissen Leichtigkeit, das anzupacken und die auch oft sogar noch humorvoll ist in diesem ganzen Elend.
Trauer in den Alltag integrieren
Kuttner: Ich finde, das gehört auch dazu. Also wer trauert, klar fühlt der sich ausgeschlossen, aber der ist nicht ausgeschlossen, der muss trotzdem Wurst kaufen und Toilettenpapier und aufs Klo gehen und so. Ich finde, dass es schon wichtig ist, Trauer in den Alltag zu integrieren und nicht andersrum. Nicht sagen, okay, du sitzt jetzt in deinem traurigen Zimmer, sondern Leute dürfen bei mir, wenn die traurig sind, alles. Die dürfen weinen, und dann wird aber auch nicht gesagt, ach Mäuschen, sondern dann ist das auch Teil dieses Trauerprozesses.
Dann sitzt dann eben da jemand in seinem Zimmerchen und weint ’ne Stunde, und das ist vollkommen fein. Und danach müssen aber eben auch Sachen erledigt werden, und man muss auch Witze machen, einfach, damit man nicht verrückt wird.
Gerk: Ist das mit der Trauer auch was, was zu sehr so aus unserem – ja, wir leben ja in so einer sehr effizienzorientierten Zeit, alles muss immer super funktionieren, alle sollen gut gelaunt und positiv sein. Ist da zu wenig Raum auch für die Trauer, nehmen wir uns dafür zu wenig Zeit?
Trauern, aber auch lachen
Kuttner: Nee, das finde ich nicht. Ich finde, dass Trauer manchmal so ’ne falsche Thronposition, also fast das Gegenteil eigentlich zugesprochen wird. Wenn jemand wirklich etwas Furchtbares passiert ist, dann wird der isoliert, einfach weil man denkt, du kannst dir unmöglich Wurst und Klopapier kaufen, nur um jetzt bei dem Beispiel zu bleiben. Und dann kriegen diese Leute noch so ein extra Prinzessinnending, jemand, wovor man besondere Achtung hat, wo man ganz besonders aufpassen muss, und das ist, glaube ich, der Fehler.
Die Welt geht weiter, ob wir wollen oder nicht, und ich finde es auch wahnsinnig wichtig, dass es weitergeht. Man muss sich mal vorstellen, wenn die Welt wirklich stehen bleiben würde, wenn einem was Furchtbares passiert wäre, das wäre unerträglich. Und dann muss man dieses Spiel einfach mitmachen, weiterleben und sich Zeit nehmen für Trauer, aber eben auch sich trauen zu lachen.
Viele Trauernde trauen sich auch nicht, Witze zu machen oder zu lachen, weil sie denken, das geht doch nicht, ich hab doch jemanden verloren, ich darf nicht lustig sein.
Gerk: Außer bei Beerdigungen, da gehört das ja unbedingt dazu, dass man hinterher dann zum Leichenschmaus geht und lacht und trinkt, also solche Rituale gibt es schon.
Witze helfen den Trauernden
Kuttner: Beerdigungsreden werden dann auch extra witzig gemacht. Aber ich hab schon die Erfahrung gemacht, ich war ja auf Beerdigungen und ich weiß, dass dann im großen Stil man lacht, aber an denjenigen, der am meisten verloren hat, zum Beispiel Partner oder so, da trauen sich die Leute nicht ran mit Witzen.
Das mache ich schon, nicht dauernd, aber ich hab einfach gemerkt, dass es die Leute erleichtert und dass sie dann kurz mal normal sein können, weil eigentlich möchten die auch gern Teil von dieser Welt sein, in der nicht getrauert wird.
Gerk: Und in Ihrem Roman geht’s ja dann auch weiter, da kommt dann doch auch wieder der Wechsel der Jahreszeiten, das schöne Brandenburg fängt an zu blühen. Das fand ich übrigens auch erstaunlich, dass Sie so ganz anders als … Sonst wird ja über Brandenburg viel geschimpft, aber Ihnen gefällt das offenbar.
Kuttner: Brandenburg lieben die Leute ja auch, aber dann geht’s halt um den Spreewald und um Wellness und die Uckermark und so. Es traut sich natürlich keiner, den unattraktiven Speckgürtel gut zu finden, aber ich mag das, weil es mir auch egal ist. Also auch das ist dieses Ding mit der Maske, glaube ich. Ich kann sehen, warum das Oberhavelland schön ist, das muss sich nicht so fancy verkleiden als Uckermark, sondern mich berührt das. Mich berührt das auch nicht ironisch und mich berührt’s auch nicht, um die Ehre von Brandenburg zu retten, sondern ich komm da raus und ich seh ein Feld und einen Storch und denke, oh, ist das toll!
Gerk: Das vermittelt der Roman auch.
Kuttner: Schön!
Gerk: Man möchte gleich einen Ausflug nach Brandenburg machen.
Kuttner: Wirklich? Eine Oranienburgerin hat mir auf der ersten Lesung auch gesagt, also Sie haben es geschafft, dass ich meine eigene hässliche Heimat auf einmal schön finde. Und dann denke ich so, schade, dass Sie das nicht von alleine so sehen können.
Gerk: Wie sind Sie denn eigentlich auf die Idee gekommen, dass diese beiden Männer – der kleine und der große Mann – den gleichen Namen haben?
Kuttner: So richtig weiß ich’s nicht mehr. Ich weiß, dass ich angefangen hab mit dem großen Kurt, da brauchte ich einen Namen und fand den schön. Ich finde, das ist ein toller altmodischer Name, der sehr gut auf einen jungen sexy Mann passt. Und dann dachte ich, ach, aber auf so ein Kind würde der auch gut passen, und dann dachte ich, na ja, da muss ich mich jetzt schon entscheiden. Und dann dachte ich, nee, muss ich nicht.
Und irgendwie im Nachhinein, das war eigentlich nur so ein Spaß, dass ich dachte, das ist ja was, was Leute immer vermeiden, gleiche Namen in Songs oder Serien oder Filmen. Und dann dachte ich, dann mach ich das einfach, mal gucken, wie weit man kommt. Und so hart es klingt, der kleine Kurt ist ja auch nicht die ganze Zeit dabei, irgendwann ist klar, von welchem Kurt die Rede ist, man kann gut mit dem großen und kleinen. Es ist ja auch was sehr Amerikanisches, sein Kind nach sich zu nennen, was die Deutschen nicht machen.
Gerk: Aus Bayern kenne ich das auch. Das war früher so üblich, dass alle Männer oder eigentlich die Erstgeborenen immer so hießen wie Mutter und Vater. Aber das ist da eigentlich auch nicht mehr üblich.
Kuttner: Ja, als gebürtige Berlinerin, so was kennen wir nicht. Und dann war es irgendwie gut, und dann macht es auf einmal totalen Sinn auch, dass das Buch so heißt, denn es geht ja um die beiden. Die beiden bedingen einander, das ist der ganze Konflikt, diese zwei Kurts – und alle Kapitel heißen ja auch so, alle drei Kapitel. Ich fand’s irgendwie lustig, und es stört auch gar nicht. Oder stört’s ein bisschen? Nee, ne? Mit dem großen und dem kleinen kommt man ja soweit …
Gerk: Man kommt damit sehr gut zurecht.
Kuttner: Okay, gut.
Gerk: Sarah Kuttner, vielen Dank, dass Sie da waren!
Kuttner: Ja, danke schön!
Gerk: Und "Kurt", der neue Roman von Sarah Kuttner, ist beim Fischer-Verlag erschienen, hat 240 Seiten und kostet 20 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.