Sarah Jäger: "Schnabeltier Deluxe"

Sommer mit Lichtschutzfaktor 20

05:59 Minuten
Das Buchcover von Sarah Jägers "Schnabeltier Deluxe".
© Rowohlt

Sarah Jäger

Schnabeltier DeluxeRowohlt, Hamburg 2022

203 Seiten

20,00 Euro

Von Sylvia Schwab · 07.11.2022
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Zwei ebenso realistische wie bewegende Jugendbücher hat die Essener Buchhändlerin Sarah Jäger bisher veröffentlicht. Auch ihr neuer Jugendroman überzeugt mit skurrilem Witz, komplexen Figuren und einer ungewöhnlichen Geschichte.
Los geht es mit einem explosionsartigen Knall: Eine Kaffeemaschine fliegt durchs Fenster des Schulsekretariats. Kim fliegt daraufhin von der Schule. Die 15-Jährige bekommt ihr Aggressionsproblem nicht in den Griff und ihre Mutter hat innerlich aufgegeben. Es gibt nur einen Ausweg: Kim muss zum Ex-Freund der Mutter ziehen, weit weg, aufs Dorf. Dort gibt es noch eine Schule, die Kim den Abschluss ermöglichen würde.

Nähe zulassen als „Schnabeltier“

Aus dieser eher gängigen Ausgangssituation – Neustart des Protagonisten ganz allein in der Fremde – entwickelt Sarah Jäger mit feinem Gespür eine ungewöhnliche Geschichte. Denn Kim, die Ich-Erzählerin, ist sensibel und schlau genug, um im Dorf nicht vorschnell alles eng und muffig zu finden. Sie gibt sich sichtlich Mühe, mit den Sonderlingen um sich herum klar zu kommen. Mit dem finsteren Busfahrer, dem weichen Ex-Freund der Mutter und dessen bösartig-bitterer Tante. Mit dem rothaarigen Friseurlehrling Janne, der ebenso ein Außenseiter ist wie Kim, oder mit dem schweigsamen Tankstellenchef, bei dem sie sich Geld verdient.
Mit der Zeit spürt Kim, die zu anderen Menschen – auch zu ihrer Mutter – immer nur eine „Fernbeziehung“ hatte, dass Janne ihr gut tut und ihr mit ihm „nichts passieren“ kann. Selbst als dann doch noch etwas Schlimmes passiert, hält Janne ihr die Treue.
Mit Kim machen wir die Erfahrung, dass es mehr Menschen gibt, denen man vertrauen kann, als wir denken. Und dass man auch als „Schnabeltier“ – ein Säugetier, das zugleich Eier legt –, dass man also auch als komplizierter Jugendlicher irgendwann Nähe zulassen kann. Zumindest an den Fingerspitzen.

Ein Faible für Außenseiter

„Schnabeltier Deluxe“ sei ihr stillstes Buch, meinte Sarah Jäger auf der Frankfurter Buchmesse. Fast wie ein Musikstück entwickeln sich Text und Ton vom verstörenden Paukenschlag über ein Crescendo zum Piano und Pianissimo.
Genau beobachtet und fein beschrieben sind Kims Berichte aus der Tankstelle oder Schule, knackig kurz sind die schlagfertigen Dialoge mit Janne. Kim hat ein Faible für Außenseiter, für Merkwürdiges, als Erzählerin zeichnet sie Menschen mit sehr speziellen Eigenarten zart, präzise und ganz leise.

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Gleichzeitig besitzt die eindringliche Geschichte einen skurrilen Witz. Kim hat Sprüche drauf, die Gefühle und Gedanken ironisch auf den Punkt bringen. Und ihre Metaphern halten komplexe Zusammenhänge in einleuchtenden Bildern fest. Gut, dass ihr „Sommer mit Lichtschutzfaktor 20“ dann doch alles andere als langweilig und regnerisch wird.

Gekonnte Andeutungen

Dazu besitzt der Roman eine starke innere Spannung. Sarah Jäger deutet vieles nur an, lässt bewusst offen, ob Kim es schaffen wird mit dem „Normalsein“, ob Janne vielleicht viel lieber ein Mädchen wäre oder woher überhaupt Kims Aggressionen kommen. Und vieles ist ganz anders, als man anfangs denkt, häufig erweist sich die Leser-Erwartung als voreilig. Nur eines ist von Anfang an klar: dass wir es wieder mit einem in vielerlei Hinsicht besonderen Roman und einer vielseitig begabten Autorin zu tun haben.
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