Sarah Ellis, Nancy Vo: „So Glenn wie möglich“

Wunderkind und Superstar

Das Cover zeigt eine Tuschezeichnung einer Reihenhaussiedlung. Im einzigen erleuchteten Fenster sieht man einen Mann am Klavier sitzen. Darüber Buchtitel und die Namen der Autorin und Zeichnerin.
© Verlag Freies Geistesleben

Nancy Vo, Sarah Ellis

Übersetzt von Jean-Claude Lin

„So Glenn wie möglich. Das Leben des Pianisten Glenn Gould“Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2022

40 Seiten

18,00 Euro

Von Sylvia Schwab · 20.09.2022
Glenn Gould (1932–1982) war schon mit 15 Berufsmusiker und mit 20 einer der weltweit berühmtesten Pianisten. Ein Bilderbuch für Kinder ab fünf Jahren fasst die Essenz seines Lebens in prägnanten Sätzen und zarten Bildern zusammen.
Ein Bilderbuch mit nur 40 Seiten über ein ganzes Pianistenleben? Wie geht das? Sarah Ellis und Nancy Vo haben sich ein großes Ziel gesteckt und es eigenwillig umgesetzt.
„Glenn ist ein Junge, der weiß, was er mag“ lautet der erste Satz dieses Bilderbuchs. Und auf jeder weiteren Doppelseite erfahren wir, was Glenn noch mag – Boote, Tiere, Spaß, die Natur, Lesen und Lernen – und was er nicht mag – Fische, Kälte, Mobbing, Partys, die Schule und Regeln.

Eins werden mit der Musik

Dass er die Musik über alles liebt, den Klang, das Singen, das Dirigieren, das Komponieren und Klavierspielen, das wird fast wie nebenbei klar, zwischen den Zeilen und in feinfühligen Bildern.
Beim Klavierspielen ist Glenn „so Glenn wie möglich“, eins mit der Musik und ganz er selbst. Das spüren auch wir Leser und Betrachter, denn Musik drückt sich in Sarah Ellis‘ schwingend-konzentrierten Sätzen und im Rhythmus ihrer Sprache ebenso aus wie in Nancy Vos zarten Breitwandformaten.
Sie illustrieren, was Ellis erzählt, konkrete, verbürgte Eigenschaften oder Ereignisse aus Glenn Goulds Leben: seinen Hang zum Einsiedlertum, seine seltsamen Phantasien und Ideen, seine immer größere Abneigung gegen das öffentliche Konzertieren und seine unglaublich peniblen Studioproduktionen.  

Wie erzählt man ein Leben auf 40 Seiten?

Die Fragen, ob und wie man ein ganzes Leben auf so wenig Raum erzählen kann, wie sich überhaupt von Musik erzählen lässt und wie man Kindern eine so einmalige Persönlichkeit nahebringen kann – sie beantworten sich in diesem Bilderbuch von selbst.
Denn mit „Das Leben des Pianisten Glenn Gould“ ist nicht die akribische Chronologie von 50 Lebensjahren gemeint, sondern die Substanz dieser Zeitspanne: weniger die – rein äußerliche – Entwicklung eines schlaksigen Wunderkinds zum Superstar als das innere Reifen eines Jungen zu einer selbstbewussten und einzigartigen Musikerpersönlichkeit.
Und das ist einfach, verständlich, sensibel und überzeugend inszeniert.

Bilder mit Luft und Raum

Dazu trägt nicht nur der feinfühlige, konzentrierte Text bei, sondern vor allem die Bilder, die sich fast alle über eine Doppelseite erstrecken und dem Geschehen – ob in Wohnzimmer, Konzertsaal, Strand oder Schule – ganz viel Raum und Luft bieten.
Die studierte Architektin Nancy Vo taucht ihre Szenen in warm kolorierte Aquarelle und Tuschebilder. Blau und Grau getönte Nebelschwaden, Landschaften oder Wasserflächen bestimmen die Atmosphäre der Jugendjahre, gedämpft leuchtendes, herbstliches Gelb bietet immer wieder einen stimmungsvollen Akzent.
Später kommt mehr Schwarz hinzu durch Klavier, Kleidung und Konzertsaal, die Bilder bekommen dadurch einen ernsteren Ausdruck und spiegeln Glenn Goulds Entwicklung zum hochsensiblen und leicht panischen Außenseiter.
In manchen Bildern unterlegt Nancy Vo die flächig-zarten Hintergründe sparsam mit verschwimmendem Abdrucken von Zeitungsausschnitten. Sie schaffen feine grafische Strukturen oder Schraffuren und fügen sich unaufdringlich in die Szenen ein. Ein leiser Effekt, so leise, eindringlich und wirkungsvoll wie das ganze schöne Bilderbuch.
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