Sara Paretsky: "Schiebung"

Die Kraft der poetischen Gerechtigkeit

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Das Buchcover von Sara Paretskys Krimi, "Schiebung". Es zeigt eine in rötlicher Farben getauchte Straßenschlucht, am Horizont ein Himmelskörper, der für diese Farbe sorgt. Das Bild ist auf der Krimibestenliste von Deutschlandfunk Kultur.
© Argument

Sara Paretsky

Übersetzt von Else Laudan

SchiebungAriadne im Argument-Verlag, Hamburg 2022

509 Seiten

25,00 Euro

Von Thomas Wörtche · 16.12.2022
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Im Kampf gegen Kredithaie und korrupte Regierungsbehörden: Sara Paretsky schreibt auch in ihrem neuen V.-I.-Warshawski-Krimi weiter an ihrer Chronique scandaleuse der amerikanischen Gesellschaft.
“Schiebung” ist der neunzehnte von bisher zwanzig Romanen von Sara Paretsky mit der Chicagoer Privatdetektivin V. I. Warshawski. Seit dem ersten Auftreten der Figur, 1982, stehen die Warshawski-Romane für die feministische Umbesetzung der tradierten männlichen Privatdetektivfigur, wie man sie seit den 1940er-Jahren kennt: Warshawski kümmert sich um das, was man politisch, wirtschaftlich oder ideologisch induzierte Kriminalität nennen könnte.

Warshawski-Romane sind auch Familienromane

So auch in „Schiebung“ – da geht es um das Wüten der ICE, einer Abteilung der Homeland Security, die sich um die Abschiebung angeblich illegaler Einwanderer kümmert, in der Hochzeit der Trump-Jahre, also 2018, eine recht abstoßende Behörde. Und es geht um die finsteren Machenschaften einer Kredit-Hai-Firma namens „Rundum sorglos“, die gerade nicht sehr finanzkräftige Menschen besonders hinterhältig und niederträchtig ausplündert. 
Außerdem geht es, wie fast immer, um Warshawskis Familie, eine ihrer Nichten und ein Neffe von Warshawskis wahlverwandter Freundin Lotty Herschel geraten gleichzeitig in Not. Warshawski-Romane sind immer auch Familienromane, wobei mit „Familie“ eben nicht nur die „biologische“ Familie gemeint ist.
Zum Universum der Privatdetektivin gehören neben Lotty und deren Ehemann Max auch Mr. Contreras, ihr Nachbar, ein Veteran des 2. Weltkriegs, der immer noch schlagkräftig agiert, etliche Hunde und andere wiederkehrende Figuren.

Paretsky setzt auf die Solidarität der Underdogs

Auch in „Schiebung“ attackiert Paretsky mit ihren Figuren und der Handlungsführung die aktuellen politischen und sozialen Zustände: Die Reichen, geschützt von ihrer Macht und korrupten Behörden, die sich über dem Gesetz wähnen, die Armen, die bis aufs Blut ausgebeutet werden, geflüchtete Menschen, ob aus Syrien oder anderen afrikanischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Ländern, die von der Homeland Security mit paranoidem Eifer verfolgt und schikaniert werden.
Dagegen setzt Paretsky die Solidarität der Underdogs, auf die Fähigkeiten der Unsichtbaren – in diesem Fall sind das Putzkolonnen, die in die Tempel der Macht hineinkommen – und auf die Hilfe der Native Americans. „Schiebung“ ist prall voller Action, weiblicher Power und männlicher Hybris und Gewalt. Und Paretsky setzt auf die Kraft der poetischen Gerechtigkeit.

Wohlfühl-Oase in einer bösartigen Welt

Entlang dieser Linien bilden die Warshawski-Romane ein Kontinuum der nicht nur feministischen Kritik an der US-amerikanischen Gesellschaft, die sich zwar immer an einzelnen skandalösen Umständen entzündet, aber zusammengenommen eine genaue Chronik der letzten 40 Jahre ergibt. Ein Effekt, der zwar die einzelnen Teile im Rückblick manchmal etwas verschwimmen lässt, aber durch die kontinuierlich durchgehaltene, unveränderte Erzähltechnik seit dem ersten Buch seine Wirkmacht entfaltet.
Warshawski-Romane sind orientierungsgebende Wohlfühl-Oasen inmitten einer zunehmend bösartiger werdenden Welt, die auf die Humanität als utopisches Moment setzen und insofern tröstend und beglückend auf ihre Leserschaft einwirken.
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