Sara Mesa: "Eine Liebe"

Das Dorf und der Liebhaber

06:56 Minuten
Cover von Sara Mesas "Eine Liebe". Auf dem Buchdeckel sind naturalistisch gezeichnete Insekten zu sehen.
© Wagenbach

Sara Mesa

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Eine LiebeWagenbach, Berlin 2022

192 Seiten

23,00 Euro

Von Manuela Reichart · 03.09.2022
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Im neuen Roman der spanischen Schriftstellerin Sara Mesa zieht eine Frau aufs Land und ist bald überfordert von Einsamkeit und Dorfleben. Ein gewaltiger Roman über erotische Obsessionen, weibliches Außenseitertum - und einen Hund.
Ein kleines Dorf im spanischen Nirgendwo: Hierher hat sich eine nicht mehr ganz junge Frau geflüchtet. Ihren Job in der Stadt hat sie gekündigt, sie will ein neues Leben beginnen. Das Haus, das sie gemietet hat, ist in einem desaströsen Zustand, der Vermieter ein grober Typ, der ihr Angst macht. Und der ersehnte Hund, den er ihr bringt, ist ein scheues hässliches Tier. Am Ende des Romans wird er eine entscheidende Rolle spielen.

Ausgegrenzte Zugezogene

Das neue Leben beginnt mühsam, die Frau wird beäugt und ausgefragt: von dem unzufriedenen Mädchen, das im Laden der Eltern hilft und sich danach sehnt, den öden Ort zu verlassen; von einem Althippie, der sich als hilfreicher, ein wenig aufdringlicher Freund erweist; von den aufgeräumten Nachbarn, die ab und zu aus der Stadt mit den Kindern kommen; von dem alten Mann, der seine demente Frau pflegt. Freundlich kommt ihr nur ein Roma-Paar entgegen: ausgegrenzte Zugezogene wie sie.
Die spanische Autorin Sara Mesa entwickelt ihre Geschichte langsam: Da ist die Protagonistin, der unsere mitfühlende Sympathie gilt, weil sie sich nur mühsam zurechtfindet. Sie hat sich übernommen – mit der Einsamkeit, dem Ungeziefer, dem tropfenden Dach. Sie wollte einen Garten anlegen, zum ersten Mal eine literarische Übersetzung anfertigen, mit einem netten Hund in Ruhe leben. Aber sie schafft es nicht einmal, dem Tier Vertrauen einzuflößen und dem unverschämten Vermieter entschieden gegenüberzutreten. Sie denkt zu viel über sich nach, über ihre Ängste, ihre Umgebung.

Handwerksdienste gegen Sex

Und dann ändert ein ungewöhnliches Angebot ihr Leben. Ein älterer Mann bietet ihr seine Handwerkerdienste gegen Sex an. Er scheint ein unbeholfener, freundlicher Mensch zu sein, dem sie sich überlegen fühlt.
Die Erzähl-Perspektive verändert sich: aus der unsicheren Frau wird eine fordernde Geliebte, aus dem einfachen Mann ein begabter Liebhaber. Eine große Obsession entwickelt sich, die von Mesa eindrucksvoll beschrieben wird.

Sie hat sich nicht für Andreas entschieden, hat nicht nach ihm gesucht – er hat sich ihr aufgezwungen. Sie müsste sich dagegen auflehnen, aber das ist unmöglich, sie ist gefangen. So sieht sie es jetzt. So erklärt sie es sich, auf kindliche, magische Weise. Dass diese Erklärung unhaltbar ist, weiß sie genau. Um sich nicht widersetzen zu müssen, gibt es jedoch nichts Besseres.

Aus "Eine Liebe" von Sara Mesa

Der glückliche erotische Zauber des Anfangs hält jedoch nicht an, die Frau verändert sich, der Mann ist ein anderer, als er scheint. Es geht um Eifersucht und Misstrauen, um Angst und Hass, um den gemeinsamen Alltag, um abnehmende Lust.

Ein gewaltiger Roman

Mesa verändert gekonnt Perspektive und Tempo der Geschichte. Man liest ebenso atemlos wie ratlos. Das Ende ist großartig und unerwartet und öffnet eine ganz neue Perspektive – auf die Frau, das Dorf, auf den Liebhaber. Und auf den armen Hund, der das wird, was man ein Bauernopfer nennt.
Ein großer, in Spanien hoch ausgezeichneter Roman über das Geheimnis einer Liebe, die eigentlich keine ist und doch zu einer wird. Über gewaltige Gefühlsveränderungen, mit großartig gezeichneten und ambivalenten literarischen Figuren. Nur das Titelbild ist für diesen gewaltigen Roman allzu niedlich geraten.
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