Salzburger Festspiele

Spiegelbilder von Kasimir und Karoline

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Bei der Salzburger Aufführung von Kasimir und Karoline wird der Text als episches Theater erzählt © imago/Manfred Siebinger
Von Bernhard Doppler  · 11.08.2017
Ein großer Festspielabend ist "Kasimir und Karoline" bei den Salzburger Festspielen sicherlich nicht, sagt unser Kritiker Bernhard Doppler. Aber das abstrahierende Verfahren komme der Poesie und Musikalität von Ödön von Horvaths Musik überraschend nahe.
Sind Kasimir und Karoline ein altes vertrautes Ehepaar, das sich dennoch über die Jahrzehnt fremd geblieben ist? Oder sind sie Teenager, die sie sich erst kürzlich kennengelernt und gleich beschlossen haben, ein Paar zu sein. Es fürchtet nämlich plötzlich vielleicht "zu schwer für einander" zu sein und Existenzkrisen nicht miteinaner gewachsen zu sein. Oder ist Kasimir ein Asylant und Karoline seine deutsche Freundin? Beim Münchner Oktoberfest sucht Karoline ihr eigenes Glück, ohne sich vom nörgelnden Kasimir, der gerade seinen Job verloren hat, Vorwürfe machen zu lassen.

Ein aktuelles Fotoalbum zum Oktoberfest

Keine Angst! Das New Yorker Theaterunternehmen "600 Highwayman" (Abigail Browde und Michael Sivlerstone) setzt diesmal nicht wie sonst auf Mitmach-Theater und Mitspiel des Publikums. Auch ist ihre Produktion nicht, wie angekündigt, eine explizite Übertragung der Krisenzeit der frühen 30er-Jahre (Horvath schrieb das Volksstück 1932) auf die "Trump"-Zeit. Die zum Programm erhobene ungefilterte Einfühlung mit den Figuren auf der Bühne wurde durch ein aufwändiges Casting hergestellt: 23 Darsteller, Profis, Halbprofis und Laien wurden aus mehreren 100 ausgewählt, die alltägliche Figuren zeigen, in der Tat interessante Personen, denen man gerne zusieht.
Kinderdarsteller sind ebenso darunter wie Rentner, alle mit unterschiedlichsten Akzenten. Die 23 teilen sich die Texte der Rollen auf. Allein acht Kasimir und acht Karolines gibt es. Aber auch die anderen Figuren wie der "Merkel Franz und seine Erna", aber auch der Streber Schürzinger wirken auf diese Weise wie Spiegelbilder oder Weiterführungen des Liebespaars. Ein aktuelles Fotoalbum zum Oktoberfest, auf dem "Kasimir und Karoline" ja spielt.

Episches Theater

Horvaths Volksstück ist sehr nahe dem Musiktheater, nicht nur die Hintergrundmusik und die Geräusche, die vielsagende "Stille" zwischen den Personen hat Horvath genau notiert. Die Salzburger Aufführung nimmt den Text gewissermaßen als Partitur, die sie auf durch Alter und Dialekt unterschiedliche Stimmen aufteilt. Der Text wird als episches Theater erzählt, meist mit starrem, verträumten Blick zum Publikum; die Akteure sprechen "von" Kasimir, der auf den Boden spuckt, ("sagt Kasimir und spuckt auf den Boden") spucken aber selbst nicht. Sie sprechen auch von dem, was sich die Figuren voneinander denken, aber im Stück nicht aussprechen wollen. Allerdings unterstreichen sie mit verdeutlichenden, manchmal wirbelnden Armbewegungen ihre Aussagen, wie in einem traditionellen Ballett, bisweilen auch an die Eurythmie Rudolf Steiners erinnernd.

Leerer Bretterboden

Die Bühne, ein Bretterboden, ist vollkommen leer - und bleibt Tanzfläche - etwa für den kreisenden der schwindelnden "Achterbahn", den alle vollziehen. Als Requisiten lediglich nur zwei Mal Dosenbier, das ausgerechnet die ganz jungen Darsteller trinken. Effektvoll im Hintergrund das Sounddesign von Brandon Wolcott. Mit dem Ensemble ist das alles äußerst präzise einstudiert, vor allem auch die Übergänge und Spiegelungen von einem Kasimir zum anderen, denn alle Darsteller beobachten sich immer wieder gegenseitig.

Vergleichbar mit den "Bürgerbühnen"

Eine großer Festspielabend ist "Kasimir und Karoline" sicherlich nicht und politischer Aktionismus wohl kaum. Eher ist die Aufführung vergleichbar mit den "Bürgerbühnen" in Düsseldorf oder Dresden, in denen Amateure eine eigenstänige Ästhetik zu entwickeln versuchen. Allerdings: Der Poesie und Musikalität von Ödön von Horvaths Musik, seinen Variationen über die Unnmöglichkeit und dennoch nie verstummende Sehnsucht nach Glück - nahe einem Parkplatz beim Münchner Oktoberfest - kommt das abstrahierende musikalische Verfahren von 600 Highwaymen überraschend nahe.
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