Erinnerung an Militärputsch in Chile

Vor 50 Jahren starb Salvador Allende

Rote Blumen umrunden ein Foto des früheren Präsidenten von Chile, Salvador Allende.
Auch 50 Jahre nach seinem Tod spielt die Erinnerung an Salvador Allende in der chilenischen Gesellschaft eine große Rolle. © picture alliance / dpa / Mario Ruiz
09.09.2023
Der Tod des chilenischen Politikers Salvador Allende ist ein halbes Jahrhundert her, aber der legendäre frühere Präsident ist unvergessen. Sein Sturz und der Militärputsch von 1973 waren für Chile eine historische Zäsur und wirken bis heute nach.
Der 11. September 1973 ist ein denkwürdiges Datum: An diesem Tag wurde in Chile der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende gestürzt. Damals wurde die Demokratie in dem Land durch eine brutale Militärdiktatur ersetzt. Die US-Regierung wirkte an dem Umsturz mit, der weltweit für Aufsehen sorgte und bis heute unvergessen ist. Der Hoffnungsträger Allende nahm sich im Zuge des Putsches das Leben.

Wer war Salvador Allende?

Der Politiker Salvador Allende war ausgebildeter Arzt und von 1970 bis 1973 Präsident von Chile. Er wurde am 26. Juni 1908 in Valparaíso geboren. Seine Familie gehörte der oberen Mittelschicht an. Politisches Engagement gehörte ebenso wie der Arztberuf bereits zur Familientradition.
Allende habe sich bereits in der Medizin um Sozialpolitik gekümmert, sei dann Gesundheitspolitiker geworden und wurde zum Präsidentschaftskandidaten der sozialistischen Partei, sagt Lateinamerika-Experte Günther Wessel, der gerade die neue Biografie "Salvador Allende: Eine chilenische Geschichte" veröffentlicht hat. "Das hat sich relativ natürlich entwickelt." Erst im vierten Anlauf klappte es 1970 für Allende mit der Wahl zum Staatsoberhaupt.

Was machte die „Ära Allende“ aus?

„Allende war Minister, Abgeordneter und Senator gewesen. Er war ein großartiger Redner, charismatisch und volksnah, ein Hoffnungsträger der einfachen Leute. Und: Allende war ein überzeugter Demokrat“, sagt der Historiker Manuel Vicuña von der chilenischen Universidad Diego Portales.
Die drei Jahre von Allendes Präsidentschaft waren ein Versuch, auf demokratischem Wege eine sozialistische Gesellschaft in Chile zu etablieren. Der Politiker wurde von vielen geschätzt, selbst von politischen Gegnern. Er sei eine Persönlichkeit gewesen, die mit großer Beharrlichkeit ihren Zielen nachgegangen sei, sagt Wessel. Dabei habe Allende sich immer diskussionsfreudig gezeigt.
"Die Option, mit Gewalt die Macht zu übernehmen, bestand für ihn nicht", sagt Wessel über Allende. Das sei nach seinen Besuchen in Kuba deutlich geworden. Er sei immer darauf bedacht gewesen, die Demokratie zu wahren und möglichst viele Leute mitzunehmen.
Aber die Zeit in Chile war damals schwierig, mit großen, politischen Anfeindungen und wirtschaftlichen Problemen. Allende stieß auf viele Hindernisse. Die USA torpedierten seine Regierung, die Sowjetunion und Kuba sahen den „chilenischen Weg zum Sozialismus“ mit Skepsis. Außerdem gab es in Allendes Koalition, der "Unidad Popular", Konflikte zwischen gemäßigten und radikalen Kräften.

Die Konfrontation spitzt sich zu

Nach der zunächst positiven Wirtschaftsentwicklung begannen sich Ende 1971 die Staatsfinanzen drastisch zu verschlechtern. Die Inflation stieg in schwindelerregende Höhen und Lebensmittel wurden knapp.
Proteste gegen Allende, seine Reformen und die sich verschärfende Krise nahmen zu. Im Oktober 1972 legte ein fast einmonatiger Streik der Lastwagenfahrer Chile lahm, der vom US-Geheimdienst CIA finanziell unterstützt wurde und dem sich auch andere Berufsgruppen und die Opposition anschlossen. In den folgenden Monaten eskalierte die politische und soziale Konfrontation immer weiter, bis sich 1973 ein Teil des Militärs von Allende abwandte und putschte.
Wessel zitiert den Schriftsteller Antonio Skármeta, der später chilenischer Botschafter in Deutschland war, mit den Worten, Allende und seine Partei hätten damals zu viel Demokratie zugelassen und den Repressionsapparat des Staates zu wenig genutzt.

Welche Rolle spielten die USA beim Militärputsch in Chile?

Die US-Regierung habe eine "ziemlich üble" Rolle beim Militärputsch 1973 gespielt, sagt Wessel. Die USA hätten damals alles dafür getan, um das System zu destabilisieren, so Wessel. "Die wollten kein zweites Kuba, die wollten keinen zweiten sozialistischen Staat in Lateinamerika haben."
Die USA hätten sich unter anderem dafür eingesetzt, dass alle Kredite der Weltbank für Chile gestrichen wurden, um der Wirtschaft zu schaden. Erst nach dem Putsch seien die Kredite wieder freigegeben worden. Daher konnte das wichtigste Exportgut des Landes, Kupfer, nicht mehr ausgeführt werden. Der Streik der Lastwagenfahrer wurde von den USA finanziert. "Das ganze wirtschaftliche System ist zusammengebrochen."
Hinzu kam, dass die USA die Generäle ausbildeten, die dann den Militärputsch anführten. Auch deren Waffen kamen aus den USA.
Am 11. September 1973 bombardierte die Luftwaffe den Regierungspalast. In seiner letzten Rundfunkansprache sagte Allende: „Die Völker schreiben die Geschichte, und die Geschichte gehört uns. Soziale Entwicklungen sind nicht zu bremsen, weder durch Verbrechen, noch durch Gewalt. Zwar bahnt sich der Verrat gerade seinen Weg. Aber ich habe Vertrauen in Chile und sein Schicksal. Früher oder später werden sich dem neuen, freien Menschen große Alleen auftun.“ Noch am gleichen Tag nahm er sich im Präsidentenpalast selbst das Leben.

Welche Folgen hatte der Umsturz für das Land?

Schon am Abend des 11. Septembers 1973 verkündete General Augusto Pinochet, der den Militärputsch angeführt hatte: „Die Streitkräfte haben aus patriotischen Beweggründen eingegriffen, um das Land von dem extremen Chaos zu befreien, in das es von der Regierung des marxistischen Salvador Allende hineingezogen wurde.“
Das Archivbild vom 11.9.1973 zeigt Einheiten des chilenischen putschenden Militärs des damaligen Heeresgenerals, Augusto Pinochet, auf dem Dach eines gegenüberstehenden Gebäudes beim Beschuss des Präsidenten-Palast in Santiago de Chile.
Am 11. September 1973 erstürmte das Militär den Präsidentenpalast in der chilenischen Hauptstadt und stürzte gewaltsam die Regierung von Salvador Allende, der sich dann das Leben nahm. © picture-alliance / dpa


Die Gewerkschaften wurden verboten, die Pressefreiheit abgeschafft und der enteignete Grundbesitz zurückgegeben. Zehntausende wurden brutal gefoltert, 3000 ermordet. Anfangs hofften viele Politiker, dass die Generäle „nur“ mit den Sozialisten aufräumen und danach die Amtsgeschäfte an die traditionellen Parteien zurückgeben würden. Doch die Militärs fanden Gefallen an der Macht und hielten nach dem blutigen Putsch von Pinochet 17 Jahre lang daran fest.

Was bleibt von Allendes politischem Erbe?

Das Trauma des Umsturzes von 1973 sei überall im Land bis heute spürbar, sagt der Biograf Günther Wessel. Nach dem Militärputsch habe die Junta den chilenischen Sozialstaat zerschlagen. Außerdem wurde die gesamte soziale Fürsorge per Verfassung privatisiert, beispielsweise mit aktienfinanzierten Renten. Daran hätten auch nachfolgende Regierungen wenig geändert. Dadurch gebe es in Chile eine systemische Ungleichheit, die über die Jahrzehnte weiter gewachsen sei.
Bei Protesten in Chile ist bis heute immer wieder das Gesicht von Allende zu sehen. Sein Konterfei taucht auf Plakaten auf oder gedruckt auf T-Shirts. Auf den Abbildungen trägt er stets Anzug, Krawatte, seine Haare sind ordentlich nach hinten gekämmt, dazu Schnauzer und die unverkennbare schwarze Hornbrille. Viele Chilenen verehren ihn bis heute und sehen in ihm ein politisches Vorbild. Aber auch über das Land hinaus behält er eine Wirkungsmacht: Für die Linke und überzeugte Sozialisten ist er weltweit eine wichtige historische Identifikationsfigur.

Die Enkeltochter ist Verteidigungsministerin

Seit Anfang 2022 ist Allendes Enkeltochter, Maya Fernández Allende, chilenische Verteidigungsministerin. Sie stehe in der Traditionslinie der Familie, sagt Wessel. "Dieses Erbe kann man ja nicht ausschlagen." Ihre Mutter war eine der drei Töchter des Ex-Präsidenten, die während des Umsturzes aus dem Präsidentenpalast nach Kuba floh, ihren Vater nie wiedersah und sich im kubanischen Exil ebenfalls das Leben nahm. "Das ist eine Familiengeschichte, aus der kann man sich nicht verabschieden", so Wessel.
Die chilenische Verteidigungsministerin Maya Fernández Allende (links) steht neben dem Präsidenten Gabriel Boric, der mit dem Oberbefehlshaber General Javier Iturraga spricht.
Die chilenische Verteidigungsministerin Maya Fernández Allende ist die Enkeltochter des legendären frühereren Präsidenten Salvadore Allende. © picture alliance / AP / Esteban Felix
Allerdings stehe das familiäre Erbe im Wirken der Verteidigungsministerin nicht im Vordergrund. Dass die Enkeltochter des Präsidenten, gegen den das Militär einst putschte, heute der gleichen Armee als Ministerin vorstehe, spiegele die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte in Chile wider.
(gem)
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