Salton Sea in Kalifornien

Toter Fisch statt Beach Boys

14:06 Minuten
Kalifornien, Salton Sea, fotografiert am 31.10.2011
Früher ein Wunder der Wüste, heute eine Gefahr für die Umwelt: ein abgestorbener Eichenbaum in der Salton Sea. © picture alliance / dpa / Jim Lo Scalzo
Von Nicole Markwald · 25.03.2019
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250 Kilometer von Los Angeles entfernt liegt das "Wunder in der Wüste": die malerische Salton Sea, an der sich Frank Sinatra, die Beach Boys und Marilyn Monroe vergnügten. Doch heute gilt sie als eine der größten Umweltsünden in ganz Kalifornien.
Auf dem Weg zum Kanu knirscht es ordentlich unter den Füßen. Der Strand an der Salton Sea ist nicht mit feinem goldenen Sand gesegnet - wer hier ans Ufer geht, läuft praktisch über einen Fischfriedhof. Schritt für Schritt setzen die Füße auf kieselsteingroßen Überresten von Abertausenden Fischen auf, es sind weiß-grau schimmernde Lagen von Knochen und Knorpeln.
Statt Sandstrand - Ablagerungen von Fischknochen und -knorpeln.
Statt Sandstrand - Ablagerungen von Fischknochen und -knorpeln.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Der See schrumpft und stellt zur Schau, was sonst von trüb-braunem Wasser bedeckt wird.
"Are you ready?"
Chris Taylor drückt das Kanu mit einem Paddel vom Ufer weg und paddelt gut 40 Meter um auf dem See an einer Plattform anzulegen. Die Wasseroberfläche ist ruhig, der Himmel hier im Südosten Kaliforniens strahlend blau - ein warmer Frühlingstag in der Wüste.
"Steve Badgett, Chris Taylor: Terminal Lake Exploration Platform" steht auf einem Schild am Strand von Salton Sea
Sieht aus wie ein Floß - die Terminal Lake Exploration Plattform von Steve Badgett und Chris Taylor.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Gemeinsam mit seinem Kollegen Steve Badgett macht Taylor das Kanu fest an der "Terminal Lake Exploration Platform". Sie sieht aus wie ein blaues Floß mit Gerüst obendrauf. Es ist ein solarbetriebenes Gefährt, mit dem Architekt Taylor und Künstler Badgett schon auf dem Großen Salzsee im US-Bundesstaat Utah unterwegs waren, der wie die Salton Sea einen extra hohen Salzgehalt hat. Doch das Wasser hier beanspruche das Equipment noch stärker, erzählt Steve Badgett:
"Es scheint zersetzender zu sein. Und hier ist sehr viel mehr Zeug im Wasser. Auf mich wirkt es wie eine Art Brühe, an einem Tag erinnerte es mich sogar an Motoröl oder Espresso. Es ist fast wie ein eigenständiger Körper, der sich ständig wandelt."
Chris Taylor (li) und Steve Badgett - beide mit Sonnenhüten - auf ihrer solarbetriebenen Plattform
"Das Wasser erinnert an Motoröl" - Chris Taylor (li) und Steve Badgett auf ihrer solarbetriebenen Plattform.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Ihr Projekt ist Teil der Kunstausstellung Desert X, Desert Exhibition of Art. 19 ortsbezogene Installationen sind eine Zeit lang verstreut im Coachella Valley nahe Palm Springs zu erleben. Mit der Plattform erkunden sie unwirtliche und oftmals schwer zugängliche Gewässer. Chris Taylor:
"Ich sehe das hier als rehydrierte Wüste. Es war mal Teil eines Ozeans und als Folge verschiedener geologischer Vorgänge wurde die Gegend vom Meer abgeschnitten und begann auszutrocknen. Und dann kam erneut das Wasser."

Der See entstand nach einem Deichbruch

1905 bricht nach hohen Regenfällen und einsetzender Schneeschmelze ein Deich im Colorado River. 16 Monate lang ergießt sich Wasser ins so genannte Salton Basin und überschwemmt ganze Gemeinden, ist in dem Video im Besucherzentrum des Sees zu erfahren:
"But huge rainfalls and snowmelt in the mountains overwhelmed the man-made canal. Water flowed continuously for 16 months into the Salton Basin, inundating entire communities."
Doch es ist nicht nur die Kuriosität der Entstehungsgeschichte, die die Künstler hergezogen hat. Salton Sea ist eine der größten Umweltsünden in ganz Kalifornien. Was an diesem Tag nicht sofort ersichtlich ist. Der See inmitten der Wüste ist 60 Kilometer lang und 20 Kilometer breit.
Künstler und Architekt  - Steve Badgett (li) und Chris Taylor.
Künstler und Architekt - Steve Badgett (li) und Chris Taylor.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Am Horizont leuchten die Spitzen der Chocolate Mountains. Das Gebirge ist die natürliche Trennung der Salton-Senke im Westen und dem Tal des Colorado Rivers im Osten. Nach dem regenreichen Winter blüht es in der sonst kargen Umgebung. Im Sommer erreichen hier die Temperaturen schon mal 38 Grad Celsius und mehr. Die Salton Sea ist eine "gestresste Landschaft", sagt Chris Taylor:
"Sie ist gestresst, weil der See austrocknet. Es wird immer weniger Wasser zugeführt. Und nicht vergessen: es gibt keinen Abfluss."

Einst eine riesige Touristenattraktion

Kein Abfluss: Das bedeutet, Wasser, das erstmal in die Salton Sea gelangt - auf welchem Weg auch immer - fließt nicht ab. Wie eine volle Badewanne, in der nie der Stöpsel gezogen wird. Lange Jahre war das kein Problem. Im Gegenteil: Diese Oase wird zu einer riesigen Touristenattraktion. In diesem Ausschnitt eines Fernsehbeitrags ist die Rede vom "Wunder in der Wüste":
"Here is truly a miracle in the desert. A whole new outlet for the millions in big cities. A Palm Springs with Water. Here is where you can find the good life in the sun. Today the Salton Rivera".
Die US-amerikanische Schauspielerin Marilyn Monroe lachend am Strand in einer undatierten Szene des Films "Manche mögen's heiß".
War auch am Salton Sea: die US-amerikanische Schauspielerin Marilyn Monroe, hier in einer undatierten Szene des Films "Manche mögen's heiß".© dpa / Bert Reisfeld
Motorbootrennen ziehen Tausende Besucher an. Der hohe Salzgehalt des Wassers und die Lage des Sees rund 70 Meter unter dem Meeresspiegel machen die Boote schneller. Bei einer Regatta 1951 werden 21 Weltrekorde aufgestellt, schreibt die "San Diego Union-Tribune". Die kalifornischen Behörden erkennen ein weiteres Potenzial: sie setzen u.a. Adlerfische, Seebrassen und Meerforellen aus um Angler anzulocken. Mit Erfolg. Jet-Skis erobern zudem das Wasser. Am nördlichen Ufer eröffnet ein Yachtclub - für die Reichen und Schönen aus Los Angeles. Prominente wie Frank Sinatra, Bing Crosby, die Beach Boys kommen, selbst Marilyn Monroe.

Pläne für Luxushotel, Flughafen, Shoppingmall

Eine Zeit lang zieht der See mehr Menschen an als der gigantische Yosemite Nationalpark. In den 50er-Jahren entsteht die Idee, an der Westküste des Sees ein Urlaubsstädtchen zu bauen, "Salton City". Der Immobilienhändler M. Penn Phillips entwickelt Pläne für ein Luxushotel, Flughafen, Shoppingmall, Golfplätze - doch in Gänze werden die Pläne nie umgesetzt.
"Man hat den Aufschwung versprochen. Viele Leute bauten in den 60ern Wochenendhäuser, ich kenne alte Fotos mit unzähligen Booten und Anglern. Aber das ist längst vorbei."
Ein Plakat am Rande einer Straße in trister Landschaft zeigt Jetskiing bei Bombay Beach.
Das war einmal - Jetskiing bei Bombay Beach.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Ray Lennox ist Park Ranger im Salton Sea State Park. Ein Job, von dem er sagt, er werde mit Regenbögen und Sonnenuntergängen bezahlt.
"Ich kann mich daran als Kind erinnern, dass meine Eltern zum Zelten an die Salton Sea gefahren sind. Und wir Kinder durften nicht mit. Aber das ist alles, woran ich mich erinnere."
Vor einigen Jahrzehnten kann sich der See kaum retten vor Besuchern. Eine halbe Million Menschen zieht es zu Hochzeiten her.
"Salten Sea State Recreation Area" steht auf dem Schild am Eingang zu Salton Sea.
Erinnerung an bessere Zeiten - der Eingang zu Salton Sea.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Und: Das Gewässer wird zum unverzichtbaren Stopp für über 400 Vogelarten auf der so genannten pazifischen Zugstraße. Hunderttausende Pelikane, Enten und Gänse überwintern hier. Vogelbeobachter erfreuen sich an Eisvögeln, Fischreihern, Fischadlern und Wanderfalken. Bereits 1930 wird am südlichen Ende der Salton Sea ein Schutzgebiet für Vögel und Wildtiere eingerichtet.
Der "Rock  Hill  Trail" steht auf einem Block auf dem Wanderweg im Sonny Bono Wildlife Refuge.
Für Vogelbeobachter - der Rock Hill Trail im Sonny Bono Wildlife Refuge.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
1989 erfolgt die Umbenennung in Sonny Bono Wildlife Refuge. Der ehemalige Gesangspartner von Cher und spätere Kongressabgeordnete Sonny Bono machte sich für den Erhalt der Salton Sea stark.

Die Salton Sea hat heute ein übles Image

Heute zieht es nur noch rund 30.000 Menschen pro Jahr hierher. Die Salton Sea hat ein übles Image, sagt Park Ranger Lennox:
"I guess it has this bad image about it."
Ausgetrockneter, rissiger Boden am Sonny Bono Wildlife Refuge.
Wo ist das Wasser? - Trockener Boden am Sonny Bono Wildlife Refuge.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Der Umschwung beginnt schon in den 70er-Jahren. Der See, das Wunder der Wüste, schrumpft. Wasser verdunstet, der Salzgehalt steigt weiter. Dazu leitet die Landwirtschaft Abwasser in den See, noch mehr Salz, aber auch Pestizide und Düngemittel landen im ohnehin schon brackigen Gewässer. Gestank macht sich breit und schon bald sind die Folgen auch nicht mehr zu übersehen. Regelmäßig bedecken im Frühjahr und frühen Sommer blühende Algen große Teile des Sees. Die Folge: noch weniger Sauerstoff für die Fische, Abertausende sterben. Ganze Teppiche von Fischkadavern schwappen ans Ufer.

Die Verwandlung in einen ökologischen Alptraum

Es riecht nach faulen Eiern, verfaulenden Pflanzen, toten Fischen. Die Salton Sea verwandelt sich in einen ökologischen Albtraum - und ist es bis heute. Seit Jahren beschäftigt sich der studierte Geograf Michael Cohen mit dem Gewässer. Er arbeitet am Pacific Institute, einer Forschungseinrichtung für verantwortungsvollen Umgang mit Trinkwasser:
"In dem Wasser landen so viele Düngemittel und es hat einen so hohen Salzgehalt, dass es für Fische immer schwieriger wird dort zu leben. Und damit gibt es für die Vögel immer weniger Nahrung, also bleiben sie weg."
Autos auf dem Parkplatz der Bar "Ski Inn"
Ski Inn - die Jetskis sind weg, die Bar geblieben.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Und auch die Menschen in umliegenden Gemeinden sind betroffen: Weil dieser riesige See schrumpft, wird Seebett freigelegt. Darin haben sich über die Jahrzehnte Schadstoffe abgelegt, die bei starken Winden als feine Staubpartikel aufsteigen, die Luft verschmutzen und gesundheitsgefährdend sein können. Michael Cohen sagt:
"Die Luftqualität im Coachella Valley im Norden und Imperial Valley im Süden ist ohnehin schlechter als es lokale und bundesweite Vorschriften vorschreiben. Je mehr die Salton Sea schrumpft und somit mehr Staub aus dem Seebett aufsteigt, desto schlechter wird die Luft."
Mit ganz konkreten Folgen: Fast nirgendwo sonst in Kalifornien leiden so viele Menschen unter Atemwegserkrankungen wie hier.

Es hängt an der Finanzierung

Das Wasserwirtschaftsamt hat im Örtchen North Shore einen Workshop angesetzt: Es geht, wieder einmal, um die Zukunft der Salton Sea. 2017 verabschiedet Kalifornien einen Restaurationsplan. Kosten: über 400 Millionen Dollar. Bislang sind lediglich 20 Prozent des Geldes bewilligt und Projekte hängen schon jetzt im Zeitplan hinterher. Der neue Gouverneur Gavin Newsom besucht die Salton Sea kurz vor seiner Wahl und verspricht, alles daranzusetzen, die Bedingungen im und um den See herum zu verbessern. Doch James Hanke, selbst Leiter des regionalen Bewässerungsverbandes, ist von den Politikern in Sacramento enttäuscht. Den Tränen nahe sagt er bei der Anhörung:
"I’ve lived around the Sea for 73 years, I got six grandkids, that live next to the Sea. Five of them have asthma. And so on behalf of them: damn those people, damn them."
Seit 75 Jahren lebt er am Salton Sea, wie auch seine sechs Enkel, so Hanke. Fünf seiner Enkel leiden an Asthma. Im Namen von ihnen verurteile er den schleppenden Prozess.

Gesundheitliche Schäden durch die schlechte Luft

Die Organisation Comite Civico Del Valle in der Kleinstadt Brawley kümmert sich um die, die von der schlechten Luft gesundheitliche Schäden davontragen. CCV sorgt u.a. dafür, dass örtliche Schulen Geräte haben, mit denen die Qualität der Luft gemessen werden kann. Luis Olmedo ist Geschäftsführer, er zählt auf, welche Ideen es gibt, die Salton Sea zu retten:
"Es gibt Vorschläge, den See mit Wasser aus dem Pazifik oder dem Golf von Mexiko aufzufüllen oder Uferbepflanzungen zur Staubbekämpfung. Aber wenn keine der erstmal einfachen Ideen angegangen wird, dann haben wir ein Problem."
Das Salton Sea Touristenzentrum vor Palmen und blauem Himmel
Information über Ruhm und Niedergang - Das Salton Sea Touristenzentrum.© Nicole Markwald, ARD Los Angeles
Und er spricht den wohl wichtigsten Punkt an, weshalb es über die Jahrzehnte keinen echten politischen Willen gegeben hat, die Salton Sea zu retten. In der Gegend leben hauptsächlich Farmarbeiter und ihre Familien, Menschen ohne starke Lobby:
"They do not take as much priority as more affluent, wealthier communities."

Die Salton Sea braucht dringend frisches Wasser

Um nicht weiter zu schrumpfen und sich zu erholen, braucht die Salton Sea frisches Wasser. Die wichtigste Quelle wäre der Colorado River, er beliefert sieben Bundesstaaten mit dem kostbaren Gut. Gerade erst wurde ein neuer Dürre-Notfallplan verabschiedet, der dem Kongress vorgelegt werden soll. Er sieht keinerlei Lieferungen für die Salton Sea vor. Anwohner fühlen sich ohnmächtig. Ihre Bedürfnisse stehen hinter denen von Gemeinden mit mehr Geld zurück, sagt Luis Olmedo. Aber er warnt:
"Die Salton Sea diskriminiert nicht. Schlechte Luft macht nicht einfach Halt vor Palm Springs. Und sie macht auch nicht Halt an der Grenze, 40 Kilometer südlich von uns. Das wird Konsequenzen für Mexiko haben. Und die USA schauen einfach zu."
Das Wunder der Wüste ist zu einer Gefahr in der Wüste verkommen.
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