Sängerin Joni Mitchell wird 75

Ihr Einfluss auf den Pop reicht bis heute

Joni Mitchell in einer Schwarzaufnahme: Sie steht auf einer Bühne und hält einen Strauß Blumen in der Hand, während sie fröhlich ins Publikum lacht.
Die Sängerin Joni Mitchell 1969 in der Carnegie Hall © imago stock&people
Eva Garthe im Gespräch mit Vivian Perkovic · 07.11.2018
Ihre große Zeit hatte die Sängerin und Songwriterin Joni Mitchell in den 60er- bis 80er-Jahren. Doch ihr Geist schwingt bis heute bei der nachfolgenden Musiker-Generation mit. Eine Spurensuche zum 75. Geburtstag der großen Musikerin.
Am 7. November 2018 wird Joni Mitchell 75 Jahre alt. Die wegweisende Singer/Songwriterin hat vor allem in den späten 60er-, den 70er- und 80er-Jahren große Erfolge gefeiert. Sie hat viele ihrer Zeitgenossen beeinflusst, darunter so legendäre Künstler wie David Crosby. Und obwohl sie mittlerweile kaum noch neue Songs veröffentlicht, ist ihr Einfluss auf junge Musiker und Musikerinnen ungebrochen.
Warum das so ist, weiß Musikjournalistin Eva Garthe:
"Joni Mitchell war immer eine 'musician’s musician', also eine Musikerin, die gerade auch von anderen Musikern hochgeschätzt wird. Meist merkt man das daran, dass sich andere Singer/Songwriter stilistisch bei ihr bedienen, dass ihr musikalischer Geist quasi zwischen den Zeilen mitschwingt, dass sie mitunter auch in Anspielungen in Songtexten auftaucht.
Die Sängerin Joni Mitchell, aufgenommen 2011
Sängerin Joni Mitchell - eine Musikerin, die von anderen Musikern hochgeschätzt wird.© imago/ZUMA Press

Sie war stets ihre eigene Produzentin

Man hört auch sehr oft in Interviews mit Musikern, dass sie Joni Mitchell direkt als Vorbild nennen. In den letzten Jahren waren das beispielsweise Joanna Newsom, Rufus Wainwright und Taylor Swift. Und auch sehr vielsagend: Ihre Songs werden weiterhin - auch von ganz jungen Musikern – aufgenommen und gecovert."

In seinem Radio-Feature "From Pink to Blue" spürt Jan Decker dem Faszinosum von Joni Mitchells Stimme nach. Hier können Sie das Feature in voller Länge hören. Unser Gespräch mit dem Autor hören Sie hier: Audio Player

So zum Beispiel von dem ehemaligen "Dubstep-Wunderkind" James Blake oder auch von der Sängerin Cat Power. Joni Mitchell sei vor allem für viele MusikerInnen und SongwriterInnen ein Vorbild, sagt Eva Garthe:
"Zu der Zeit als Joni Mitchell angefangen hat, Songs zu schreiben, hatte man als Frau im Musikbusiness nicht viel zu lachen. Es galten ganz klare Erwartungen, wie man als Musikerin zu sein hatte und wie nicht. Frauen sollten singen und gut aussehen, aber nicht unbedingt eigene Songs schreiben. Männer galten gemeinhin als die besseren Songwriter. Joni Mitchell hat von Anfang an darauf gepfiffen und ihre eigenen Songs geschrieben. Aber nicht nur das: Sie ist auch auf allen ihren Platten als Produzentin, oft als alleinige Produzentin vermerkt – ein absolutes Novum! Und sie hält die Rechte an allen ihren Songs."

Eine außerordentlich selbstbestimmte Musikerin

Damit war Joni Mitchell eine Vorreiterin und außerordentlich selbstbestimmt für eine Frau ihrer Generation. Diese Selbstbestimmung, glaubt Eva Garthe, sei ein Schlüsselbegriff, um Mitchells Musikerkarriere und ihren fortdauernden Einfluss zu verstehen:
"Selbstbestimmt beinhaltet auch, dass Joni Mitchell sich in keine Schublade hat stecken lassen. Den Vermarktungsstrategen der Musikindustrie war immer wichtig, dass man einem Künstler, einer Platte ein bestimmtes Label anheften kann. Joni Mitchell hat sich dem immer widersetzt: Sie ist von Folk über Pop zu Jazz und wieder zurück gegangen, hat auch schon früh mit Elektronik experimentiert. Sie hat sich nur der Musik verpflichtet gefühlt, ist immer ihren eigenen Weg gegangen, und hat einfach gemacht, was sie wollte.
"Vor allem das scheint auch heute noch viele Künstler anzusprechen – egal ob Mann oder Frau. Künstler die auf der Suche nach Inspiration sind, die vielleicht festgefahren sind und Angst haben sich zu wiederholen. Die schauen auf Joni Mitchells Oeuvre und sehen, dass man sich wandeln, sich immer wieder neu erfinden kann. Dass man sich nicht festlegen muss auf einen Sound, einen Stil – und dass man keine Angst haben muss, seine Fans zu verprellen. Joni Mitchell war da nämlich absolut furchtlos. Ihr ging es nicht darum, ihre frühen Erfolge zu wiederholen oder gar zu toppen. Die Plattenverkäufe schienen ihr über weite Strecken herzlich egal zu sein. Ihr ging es in erster Linie um künstlerische Freiheit und Integrität."

Sie hat das Songwriting verfeinert

Abgesehen von ihrer Person und ihren Entscheidungen, ihre Karriere im Musikbusiness zu gestalten, gibt es aber natürlich auch etwas in Joni Mitchells Songs selbst, das junge Kollegen fasziniert und das auch die Hörer heute immer noch anspricht. Eva Garthe sieht dies vor allem in ihrem Können als Songwriterin begründet:
"Da geht es darum, wie sie an Melodien und Akkorden gefeilt hat. Dazu ihre genialen Arrangements und die sehr poetischen Texte. Eigentlich alles an Joni Mitchells Songs hat Raffinesse und Eleganz. Sie hat die Verfeinerung des Songwriting auf die Spitze getrieben, und ihr herausragendes Handwerk dann natürlich gepaart mit diesem kreativen Funken und mit ihrem absoluten Mut zur Originalität."
"Außerdem sind ja auch die Themen, über die sie singt, immer noch relevant – manche mehr denn je… Einer ihrer bekanntesten Songs, 'Big Yellow Taxi', ist mittlerweile ein Klassiker des musikalischen Umweltaktivismus, zitiert nicht nur von Janet Jackson in 'Got til it's gone', sondern auch von Ex-Destinys Child-Sängerin Kelly Rowland im Duett mit dem Rapper Wiz Khalifa."

Auch persönliche Erfahrung fließen in ihre Stücke ein

Joni Mitchell hat allerdings nicht nur über gesellschaftspolitische Themen gesungen, sondern auch über sehr persönliche, schmerzvolle Erfahrungen, stellt Eva Garthe fest.
"Diese persönlichen Erfahrungen sind allerdings solche, die sich mit ein bisschen Abstraktionsvermögen auf die allermeisten von uns übertragen lassen, die also etwas Universelles beschreiben. Trotzdem wurden Mitchells Songs oft als 'confessional' bezeichnet. Ein Begriff, der einen recht negativen Touch hat – so als wären ihre Songs auf unangenehme Art entblößend. Joni Mitchell selbst hat sich gegen diesen Begriff immer verwehrt, vor allem weil er nur auf Frauen angewendet wird und nicht auf Männer. Sie selbst hat in Interviews immer für sich in Anspruch genommen, dass sie in ihren Songs selbstverständlich mehr macht, als nur ihre Tagebücher vorzusingen."

Als Feministin versteht sich Mitchell nicht

Obwohl das so klingt, als sei Joni Mitchell eine feministische Künstlerin, mochte sich Mitchell selbst nie als "Feministin" bezeichnen. Laut Eva Garthe schmälere dies jedoch nicht ihren Einfluss auf die Geschlechterbeziehungen in der Popmusik:
"Joni Mitchell hat schon sehr früh eine gängige Praxis bzw. Zuschreibung des kreativen Schaffens verändert und sogar umgedreht: das Bild des männlichen Künstlers, der die Frau als Muse benutzt. Sie hat als Songwriterin die Männer in ihrem Leben als Musen benutzt."
"Und obwohl 50 Jahre seit dem Beginn ihrer Karriere vergangen sind, wird diese Vorbildfunktion heute immer noch gebraucht. Denn das Musikbusiness ist immer noch eine Männerdomäne, in der Frauen und Männer ungleich behandelt werden, wo keine echte Chancengleichheit herrscht. Selbst eine renommierte Weltklasse-Künstlerin wie Björk musste sich vor ein paar Jahren noch darüber beschweren, dass sie unrechtmäßigerweise nicht als Produzentin ihrer eigenen Musik genannt wurde."
An diesem Fall von Björk sehe man laut Eva Garthe, dass das Thema "Sexismus in der Musikwelt" immer noch nicht gegessen ist:
"Man kann zwar feststellen, dass sich seit Joni Mitchells Anfängen bereits einiges zum Positiven verändert hat. Doch dass das so ist, das verdanken wir Vorreiterinnen wie Joni Mitchell."
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