Sachsen-Anhalt

Die überforderte Kommune

Eine Schaulustige verfolgt am Freitag (24.06.2011) das Geschehen des 15. Sachsen-Anhalt-Tages in Gardelegen (Altmarkkreis Salzwedel) neben einer Sachsen-Anhalt-Fahne.
Nicht viel los: In den Gemeinden Sachsen-Anhalts fehlen Bewerber für politische Ämter. © dpa / picture alliance / Jens Wolf
Von Christoph Richter · 15.05.2014
Viele Menschen in Sachsen-Anhalt, die nach der Wende in die Lokalpolitik gegangen sind, ziehen sich langsam aus Altersgründen zurück. Nachwuchs ist kaum in Sicht - außer am rechten Rand.
"Ja, schönen Guten Abend. Die Magdeburger Gartenpartei steht an erster Stelle für das grüne Magdeburg…"
So klang es kürzlich auf einem Magdeburger Wahlforum, auf dem sich die Vertreter der zwölf Parteien und Wählergruppen vorgestellten, die für den Stadtrat der Landeshauptstadt kandidieren. Darunter sind auch zwei Tierschutzparteien, denen das Wohl und Wehe von Hunden und Katzen besonders am Herzen liegt und eben die Gartenpartei, die für den Erhalt von Kleingartenparzellen kämpft.
"Wir sind ökologisch, sozial ökonomisch. Das heißt, man kann das eine nicht vom anderen trennen."
Die schier unglaubliche Zahl von 10.200 Mandaten – da unter anderem 800 Ortschaftsräte, 101 Stadträte gewählt werden - sind bei der diesjährigen Kommunalwahl am 25. Mai in Sachsen-Anhalt zu vergeben, der damit ein Super-Wahl-Sonntag ist. Gerade die kleinen Parteien und Wählergruppen wollen dabei punkten. Neben den etablierten Parteien sind es die Piraten, die KPD, die NPD, die Partei für Arbeit oder Bündnisse, die sich Elitenförderung, Rechtsstaat oder basisdemokratische Initiative nennen. Dazu kommen noch tausende Wählergemeinschaften und Einzelbewerber.
"Schwierig. Muss man deutlich sagen - schwierig."
... antwortet Jens Hünerbein auf die Frage, wie man junge Menschen dazu bewegen kann, sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik, in den Ortschaftsräten zu engagieren. Die meisten Kandidaten sind 50 und älter.
Hünerbein, ende 30, akkurat im grauen Zweireiher gekleidet, ist der parteilose Bürgermeister in Gommern, einer knapp 11.000 Einwohner großen Stadt im Jerichower Land, eine halbe Autostunde südöstlich von Magdeburg.
"Natürlich habe ich Sorgenfalten auf der Stirn. Wenn ich mir den Altersdurchschnitt der jetzigen Kandidaten anschaue und schaue, was an Jugendlichen nachkommt, dann macht mich das bedenklich."
Zu wenige Bewerber für den Stadtrat
Seit der Eingemeindung 2005 besteht Gommern aus zwölf Ortsteilen. Sie heißen Vehlitz, Wahlitz oder Prödel und liegen zwischen Wiesen und Feldern wie kleine Flecken verteilt auf einer Fläche von rund 160 Quadratkilometern. Das entspricht in etwa der Größe Lichtensteins oder der belgischen Hauptstadt Brüssel.
"Also wenn Sie mit dem Fahrrad von Menz im westlichsten Teil nach Lübz in den östlichsten Teil unserer Einheitsgemeinde fahren, sind Sie gut eineinhalb bis zwei Stunden unterwegs. Selbst mit dem Auto brauchen sie 20 Minuten, wenn man von Menz nach Lübz fahren will. Also es ist schon manchmal eine Hürde, wenn man seine eigenen Termine in den Ortschaften unter den Hut bekommen will, dass man dort genügend Zeit einplant. Man sollte immer genügend Zeit einplanen, um sich keinen Verkehrsverstößen auszusetzen."
Bürgermeister Hünerbein zeigt auf die vor ihm ausgebreitete Karte, fährt mit dem Finger noch einmal die weiten Grenzen seiner Stadt nach. Einer Stadt, mit der sich die Menschen seit der Gebietsreform kaum noch identifizieren.
Zwar habe man für die 28 Sitze im Stadtrat immerhin 56 Bewerber gefunden, aber völlig anders sehe die Lage in den rundumliegenden Ortschaften aus.
"Ich habe komplett das Extrem, dass ich in einer Ortschaft gerade so viele Bewerber gefunden haben, mit viel Agieren und Nachfragen und Überzeugungsarbeit, dass dort die fünf Sitze gerade besetzt werden können. Und ich habe die Ortschaft Lübz, wo sich zum Beispiel 20 Bewerber um sieben Sitze bemühen. Da muss ich noch mal genau schauen. Ja, sieben Sitze. Das finde ich schon enorm!"
Sei aber ein Ausreißer, ergänzt er schnell.
Die politisch Verantwortlichen, die sich in den Ortschaften in Wählergemeinschaften organisieren, kenne er jedoch kaum bis gar nicht, gesteht Ex-SPDler Hünerbein. So kandidiert beispielsweise im Gommerner Ortsteil Dannigkow - neben einem Dutzend Einzelbewerbern - die Freiwillige Feuerwehr für einen Sitz im Ortschaftsrat.
Der Bürgermeister der Stadt Gommern, Jens Hünerbein (parteilos)
Der Bürgermeister der Stadt Gommern, Jens Hünerbein (parteilos)© dpa / picture alliance / Jens Wolf
Im Landkreis Stendal buhlt dagegen eine Gemeinschaft von Landwirten um die Gunst der Wähler. In Haldensleben – das auf halber Strecke zwischen Magdeburg und Wolfsburg liegt – kandidieren gar Teile eines Chores für den Ortschaftsrat. Indem sie seit der letzten Legislaturperiode zwei Sitze innehaben. Ihr Ziel ist es, sich für den Erhalt des Dorfkulturlebens einzusetzen.
Parteienforscher Everhard Holtmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg kann dem nichts Schlechtes abgewinnen, in seinen Augen sind Wählergemeinschaften ein Ausdruck der sozialen Gemeinde, wie er es nennt:
"Also die Art und Weise, wie Menschen auf relativ kleinem Raum miteinander zusammenleben. Wie sie miteinander kommunizieren, dass das in einem hohen Maße durch persönliche Kontakte vermittelt wird. Dazu tritt die nicht falsche Einschätzung, dass es bei örtlichen Angelegenheiten in aller Regel, nicht um die große Politik, die programmatischen Richtungsentscheidungen geht, sondern dass im Rat der Stadt, der kommunalen Verwaltung, es um konkrete Einzelfallentscheidungen geht."
Weshalb Wählergemeinschaften für die kommunale Selbstverwaltung genau das richtige Instrument seien. Weshalb viele Menschen - beobachtet Politologe Holtmann - auf der Ebene der Kommunalpolitik in den Wählergemeinschaften eine Alternative sehen. Weil sie sich eben keinen parteipolitischen Zwängen oder ideologischen Vorstellungen unterwerfen müssen, sondern sich um rein örtliche Probleme kümmern können.
Nach Schätzungen des Landesverbandes Freier Wähler gibt es in Sachsen-Anhalt etwa 1.000 Wählergemeinschaften, in denen rund 8.000 Menschen organisiert sind.
"Man darf auch nicht ganz ignorieren, dass für Bürgerinnen und Bürger, die Schwelle sich einer parteifreien Gruppierung vor Ort anzuschließen, niedriger liegt, als einer Partei beizutreten."
Unter Experten wird jedoch die Rolle der Wählergemeinschaften durchaus kontrovers diskutiert. Was auch daran liegt, dass vielerorts völlig unklar ist, welche politischen Haltungen, Einstellungen und Wertvorstellungen Mitglieder von Wählergemeinschaften vertreten, die ja nicht mal eine Satzung haben müssen. Genau an dieser Stelle wird die Überforderung und Ratlosigkeit vieler Bürgermeister offenkundig, unterstreicht Norbert Eichler. Präsident des Städte- und Gemeindeverbands in Sachsen-Anhalt. Bürgermeister in Haldensleben, eines über 1000 Jahre alten Börde-Städtchens.
"Mein Eindruck ist, dass man dort nur Menschen einsammelt, die unzufrieden sind. Entweder mit ihrer Straße, mit ihrem Wohngebiet. Sie höhlen auch in gewissem Maße die gewählte Demokratie, den gewählten Stadtrat aus. Das sind nur Partikularinteressen, die dort wahrgenommen werden."
Ein nicht zu unterschätzendes Problem sei auch die Größe der Städte und Gemeinden, ergänzt Eichler. Denn im Ranking der flächenmäßig größten Städte nimmt Sachsen-Anhalt bundesweit einen Spitzenplatz ein. So ist beispielsweise die altmärkische Hansestadt Gardelegen, bestehend aus 49 Ortsteilen, die sich auf einer Fläche von 631 Quadratkilometern verteilen - was ungefähr der Größe von Ibiza entspricht - die drittgrößte Stadt Deutschlands. Auf Platz vier und fünf folgen das bei Magdeburg liegende Möckern und Zerbst in Anhalt. Da ist es beinahe verständlich, dass die Bürgermeister gänzlich den Überblick verloren haben, wer wo mit welcher Einstellung im Ortschaftsrat sitzt.
"Wenn es um das Spritzenhaus geht, die Ausgestaltung von Straßen, das sind eminent wichtige Angelegenheiten, die kann man nicht mit einem unpolitischen Kontext lösen ..."
…unterstreicht David Begrich. Der 42-jährige Magdeburger Sozialwissenschaftler ist Mitarbeiter des Vereins Miteinander e.V., der sich für Toleranz und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt engagiert. Wählergemeinschaften beschreibt Begrich als ein Auffangbecken für Politikverdrossene, Frustrierte oder Gescheiterte etablierter Parteien.
"Ich glaube, die entscheidende Frage ist es, zu einer Repolitisierung des Selbstverständnisses von Kommunalpolitik zu kommen. Die Politik ist gut beraten alles zu unterlassen, was sozusagen der Entpolitisierung Vorschub leistet."
Rechte Parteien werden stärker
Jerchel: Ein kleines altmärkisches Dorf in den idyllischen Elbniederungen im Norden Sachsen-Anhalts. Das Zentrum bildet eine trutzige romanische Kirche, einst Stammsitz des preußischen Adelsgeschlechts der von Itzenplitz. Hier – weit weg vom Fokus der breiten Öffentlichkeit - kandidiert für die Freie Wählergemeinschaft der Ex-Bundeswehrsoldat, Maurer und Wehrleiter der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr Enrico Mertynink.
Mertynink ist ein knapp 40-jähriger Mann, kurze Haare, Ohrring, Vater zweier Kinder. Auf seiner Facebook-Seite hat er lange Zeit ungeschminkt ausländerfeindliche Witze und islamfeindliche Statements verbreitet, wie etwa: "Hey Moslems, wenn euch unsere Meinungsfreiheit nicht gefällt, nutzt doch eure Reisefreiheit." Eintragungen, die Enrico Mertynink mittlerweile von seiner Facebook-Seite gelöscht haben soll, nachdem ein Beitrag des Deutschlandfunks auf den Fall aufmerksam gemacht hat.
Doch bis heute will sich der Jerchler Ortschaftskandidat Mertynink öffentlich dazu nicht äußern. Seine politische Haltung beschrieb er erst vergangenen Freitag in einem Telefonat gegenüber Deutschlandradio Kultur, mit – Zitat - "gesundem Nationalstolz, vielleicht ein bisschen mehr als bei Anderen".
Mertynink sei ein Mann, der im Ort immer wieder polarisiere, so Nachbar Dietrich Schulze. Er würde ihn durchaus als einen Anti-Demokrat bezeichnen und…
"…auf jeden Fall frauenfeindlich, auch menschenverachtend aus meiner Sicht. Und es gibt auch einige aus dem Ort, die sich dem auch angeschlossen haben."
Das ehemalige SED-Mitglied Dietrich Schulze kandidiert als Einzelbewerber für den Ortschaftsrat Jerchel. Der Gegenkandidat reagiert verschnupft, dass möglicherweise bald Enrico Mertinink das kommunalpolitische Amt eines Ortschaftsrates antreten könne.
"Was er hier so verbreitet, ist sehr bedenklich. Und sehr kritisch zu sehen. Aber es ist nicht als kriminell einzustufen. Er wird ja deswegen nicht belangt. Fällt ja alles noch – leider, aus meiner Sicht – unter die große Überschrift der Meinungsfreiheit."
Ähnlich hat es vor ein paar Wochen bereits die Ortsbürgermeisterin Elke Behrens formuliert.
"Großkotzig. Und er denkt, er ist wer, die Anderen sind klein. 'Ne schwierige Sache."
In den Augen Mertininks ist Bürgermeisterin Behrens eine, wie er sagt - Zitat - "Nestbeschmutzerin", weil sie ihn öffentlich kritisiert hat.
Aktuell will der Jerchler Ortschaftsrats-Kandidat Enrico Mertynink von den Vorwürfen jedoch nichts mehr wissen. Beispielsweise, dass er sich in der Öffentlichkeit gern mit einem Thor Steinar-Basecap gezeigt hat, einer bei Neonazis beliebten Kleidermarke, deren Tragen im Bundestag oder anderen öffentlichen Gebäuden verboten ist. "Dummheiten" nennt er diese Dinge heute, nachdem sie öffentlich wurden.
Für den Magdeburger Rechtsextremismus-Experten David Begrich dagegen liegt der Fall klar auf der Hand:
"Wir beobachten, dass Leute sich nicht mehr von den demokratischen Parteien repräsentiert fühlen, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Und dann in den politisch eher diffusen Wählergemeinschaften oder freien Wählergruppen sich zusammenschließen. Und da finden sich dann auch, Betonung liegt auf 'auch', Personen, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind. Oder bei denen es tatsächlich Anhaltspunkte dafür gibt – und davon würde ich in dem Fall ausgehen, dass es tatsächlich Anhaltspunkte gibt, dass hier eine Orientierung am Rechtsextremismus vorliegt."
In Sachsen-Anhalt, so das Ergebnis einer erst Montag erschienenen Studie der Bertelsmann-Stiftung, sind Menschen an ihrem Ort weniger interessiert, ist der Gemeinsinn schwächer ausgeprägt, als in allen anderen Bundesländern. In Zahlen: 79 Prozent der Bürger zwischen Arendsee und Zeitz interessiere es nicht, was mit ihren Mitmenschen geschehe.
Der in Jerchel lebende ehrenamtliche Kommunalpolitiker Schulze beobachtet, dass sich – der Unübersichtlichkeit wegen – die Menschen in seiner Umgebung fast komplett aus der Kommunalpolitik zurückgezogen haben. Die Ursachen kann er klar benennen:
"Ja, das ist ein Problem. Das seh' ich auf jeden Fall so. Vor allen Dingen hat man die Gemeinden entmachtet und die Verwaltungen entfernen sich immer mehr von den Bürgern. Das ist alles ein bisschen bürgerfremd."
Schulzes Gegenvorschlag:
"Ich bin dafür, dass zum Beispiel Gremien des Stadtrates oder der Kreisverwaltung auch reingehen in die Orte, in die Gemeinden und dort Sitzungen durchführen. Und dort auch die Gemeinden ganz konkret mit einbeziehen."
In Stresow wählte jeder vierte NPD
Ortswechsel. Dornburg liegt inmitten des UNESCO-Biosphärenreservats Mittelelbe. Im östlichen Sachsen-Anhalt, auf halber Strecke zwischen Berlin und Hannover. Eigentlich ein idyllisches Fleckchen Erde, hier steht mit dem gelb glänzenden Barockschloss Dornburg - sowas wie eine kleine Kopie von Versailles. Auf dem Dach prangt eine herrschaftlich goldene Krone, das Zarensymbol. Einst sollte das Schloss die Sommerresidenz Katharina der Großen werden, die ursprünglich aus dem anhaltischen Zerbst stammt. Doch vom Glamour vergangener Tage ist kaum noch was zu spüren.
Denn in Dornburg trainieren auch die Fußballer des – bundesweit in die Schlagzeilen geratenen – rechten Vereins FC Ostelbien Dornburg. Trainer, Vorstand und Spieler: Fast alle haben rechte Weltanschauungen, auch polizeibekannte Hooligans sind darunter.
Mittelstürmer und Star des Fußball-Vereins ist Torjäger Dennis Wesemann. Dass er die Rückennummer 18 trägt, ist kein Zufall. Die Zahlen sind ein Code unter Rechtsextremen, sie stehen für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets – für die Initialien von Adolf Hitler. Jetzt kandidiert er als Einzelbewerber für den Ortschaftsrat des 130 Seelen-Örtchens Stresow, dass zu Möckern gehört.
Eine Neonazi-Hochburg. Bereits bei den letzten Landtagswahlen 2011 machte jeder Vierte sein Kreuz bei der NPD. Damit ist Stresow für die Rechtsextremen eine sichere Bank, die Wahlaussichten für Dennis Wesemann sehen rosig aus.
NPD-Aufkleber mit der Aufschrift: "Danke Schweiz. Minarettverbot auch hier"
Die NPD erhält in Sachsen-Anhalt mancherorts viel Zustimmung.© picture alliance / dpa / Arno Burgi
Mit Journalisten spricht Dennis Wesemann nicht. Seine Biografie liest sich wie ein Auszug aus einem Polizeibericht. Gefährliche Körperverletzung, Landesfriedensbruch, Zeigen von Symbolen verbotener Organisationen: Wesemann wurde wegen all dieser Delikte schon angezeigt. Er ist Gründungsmitglied der Hooligangruppe Blue White Street Elite, die mit großer Brutalität gegen Andersdenkende vorgegangen und lange Zeit verboten war.
"Es gibt im Moment leider keinen landesweiten Überblick darüber, wer in diesem Kontext kandidiert. Das ist bedauerlich, liegt aber auch an der Kleinteiligkeit der Kommunalwahl."
Cornelia Habisch von der Landeszentrale für politische Bildung.
"Im ländlichen Raum kennt man sich und leider neigt man in manchen Regionen dazu, das zu verharmlosen. Die Attraktivität solcher Gruppen ist nicht zu unterschätzen."
... weshalb Politikberaterin Habisch eine Art TÜV-Plakette für Wählergemeinschaften und Einzelbewerber fordert. Ein Ansinnen, dass man vom Landesverband Freie Wähler in Sachsen-Anhalt ausdrücklich begrüßt. Das sei zwar ein schwieriges Unterfangen, aber hilfreich, ergänzt Habisch, weil man als Wähler dann genau wisse, wer hinter den Wählergemeinschaften stecken würde.
"In Wahlkämpfen Positionen herauszubilden und einen demokratischen Streit über das bessere Rezept zu führen, ist Aufgabe der Parteien und nicht der Kommunalverwaltungen."
Die CDU hat erst vergangenen Freitag die Forderung nach einer Extremismus-Klausel erhoben. In der die Kandidaten, die sich für politische Wahlämter zur Verfügung stellen, sich künftig schriftlich zur Verfassung bekennen sollen. Damit Extremisten – wie der Quedlinburger Sven Schulze von der Jungen Union in Sachsen-Anhalt betont – "in Gemeinde- und Stadträten und Kreistagen keine Chance haben".
"In den kommunalen Parlamenten - egal ob Kreistag oder Gemeinderat, Stadtrat - da geht's ausschließlich darum, dass man für die Region macht. Ich habe es selbst erlebt, dass beispielsweise die NPD mit einer Stimme reingekommen ist. Die haben sich nicht um die Region gekümmert, die haben sich ausschließlich darum gekümmert, dass sie dort ihre Ideologie verbreitet haben. Und den ging es nicht um den Menschen, es ging ihnen einfach um ihre rechtsradikale Gesinnung."
Damit auch Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren wollen, nicht abgeschreckt werden, sollte eine Extremismus-Klausel oder TÜV her, so CDU-Mitglied Schulze weiter. Rechtsextremismus-Experte Daniel Begrich ist davon nicht überzeugt:
"Ich bin da skeptisch. Ich glaube, dass es da schon hilfreich ist, in der Frage der Kommunalpolitik deutlich zu machen, dass es tatsächlich um politische Inhalte geht. Das heißt, die Politik sollte nicht versuchen einen TÜV zu entwickeln, sondern Strategien für die Re-Politisierung von Kommunalpolitik."
Zurück aufs Land, kann es, kann und muss es für die etablierten demokratischen Parteien heißen, sagt Begrich noch. Die etablierten Parteien müssten es sein, die wieder als die Kümmerer auftreten.
Die wiederum würden das auch gerne, sagen ihre Vertreter, hinter vorgehaltener Hand. Aber sie könnten es nicht, das Personal würde fehlen. So kandidieren in Sachsen-Anhalt beispielsweise für die zwei großen Volksparteien zum großen Teil nur parteilose Kandidaten. Bei der SPD sind es 30, der Union gar 43 Prozent.
Wählergemeinschaften vertreten oft nicht das Gemeinwohl
"Der Rommel hat mal ein Spruch gepflegt, als er noch OB von Stuttgart war, der hat gesagt: Die Summe von Partikularinteressen machen noch lange nicht das Gemeinwohl aus."
So Norbert Eichler vom Städte und Gemeindebund in Sachsen-Anhalt. Seiner Erfahrung nach, können Bürgermeister in vielen Fällen mit den Wählergemeinschaften nur wenig anfangen, würden sie überfordern. Da sie sich üblicherweise nicht die sachlichen Argumente einer Sache zu eigen machen, stattdessen affektiv, persönlich und höchst emotional handeln.
Der Hallenser Parteienforscher Everhard Holtmann schüttelt bei diesem Szenario energisch mit dem Kopf.
"Andersrum wird ein Schuh draus. Viele Menschen wollen sich aus verschiedenen Gründen eben nicht innerhalb einer politischen Partei engagieren, sondern sich nur auf der lokalen Ebene, um die örtlichen Angelegenheiten kümmern. Und das ist aller Ehren wert."
Dennoch: Man ist sich einig - über alle Grenzen hinweg -, dass die Kommunalpolitik vor großen Herausforderungen steht, wie dem demografischen Wandel, einem um sich greifenden Politikverdruss, einer immer größer werdenden fehlenden Identifikation mit dem durch Gebietsreformen gesichtslosen Stadtgebilden. Auch gegen die Gefahr extremistischer Unterwanderung kommunaler Vertretungen muss einiges mehr passieren. Tatsachen, mit denen viele Bürgermeister täglich konfrontiert werden, worüber sie öffentlich nicht gern reden.
Zurück nach Gommern, zum Bürgermeister Jens Hünerbein, der gerne Klartext spricht.
Er hat auch ein paar Ideen, wie man das kommunalpolitische Engagement fördern könnte. Die Aufwandspauschale für die ehrenamtlichen Ortschaftsräte von 25 Euro anzuheben, hält er beispielsweise für sinnvoll.
Andererseits sollte man den Menschen, die sich in Ausschusssitzungen - ob auf dem Dorf oder der Kreisstadt – die Nächte um die Ohren schlagen, um sich durch Akten zu wühlen, einfach mehr Verantwortung geben. So wie es auch die neue Kommunalverfassung des Landes Sachsen-Anhalt vorsieht, wenn sie dann kommt. Indem man die Ortschaftsräte künftig freier über das ihnen zugewiesene Budget entscheiden lasse.
"Das ist richtig. Wenn ich nichts entscheiden kann, dann verlier ich irgendwann die Lust. Das haben wir auch schon praktisch erlebt, dass einige gesagt haben: Ich gebe mein Mandat zurück, es ist eh unsinnig, was ich hier mache. Wenn ich aber weiß, dass ich was zur Verfügung habe, kann da auch wirklich was richtig bewegen, macht es natürlich mehr Spaß. Aber - ist etwas schwierig."
Mehr zum Thema