Sachbuchliteratur

Wolfs-Boom auf dem Buchmarkt

Ein Rudel Wölfe streift im Februar 2017 im Wildpark in Poing (Bayern) durch ein Gehege.
Wölfe siedeln sich zunehmend wieder in Deutschland an - das spiegelt sich auf im Buchmarkt wieder. © dpa-Bildfunk / Alexander Heinl
Susanne Billig im Gespräch mit Joachim Scholl · 01.12.2017
Mythisch, wild, faszinierend: Mit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland wächst auch die Anzahl der Bücher über die Raubtiere: Sachbücher, Fotobände, Jugendliteratur. Susanne Billig stellt die wichtigsten Neuerscheinungen vor.
Joachim Scholl: Dass der Wolf, der alte Isegrim, zurück ist in der deutschen und europäischen Literatur, davon haben wir auch gerade in den Nachrichten gehört, als es um den besonderen Schutz geht durch die Europäische Union. Diese schöne biologisch-ökologische Renaissance bildet sich inzwischen auch ganz stark auf dem Buchmarkt ab. Der Wolf, er boomt also. Unsere Expertin und auch naturwissenschaftliche Autorin ist Susanne Billig. Sie hat den Trend für uns erspäht, ist jetzt für uns im Studio. Ich grüße Sie!
Susanne Billig: Guten Tag!
Scholl: Frau Billig, ein Blick auf die Büchertische einer beliebigen Buchhandlung zeigt es schon, Wölfe allenthalben auf und zwischen den Buchdeckeln. Sie haben sich eine ganze Reihe dieser neuen Bücher angesehen. Warum denn gerade Wölfe, warum hat dieses Raubtier solche Konjunktur?
Billig: Der kehrt eben mit Macht zurück. Das ist ja eine unglaubliche Erfolgsgeschichte des Naturschutzes, aber sie ist eben auch sehr zwiespältig. Das begreift man schon, wenn man sich diesen ganzen Bücherberg anschaut. Da ist auf der einen Seite dieses starke, wilde Tier, das uns so seltsam vertraut und unvertraut gleichzeitig ist. Auf der anderen Seite ist da Angst vor dem dunklen Wald, vor etwas, was uns so prinzipiell böse auflauern könnte. Da sind mächtige Jägerverbände, da sind Schäfer, die um ihre Existenz ringen. Das ist Drama und großes Kino, und da kann man natürlich auch spannende Bücher draus machen.

Ratschläge für Tierzüchter

Scholl: Das hört sich aber jetzt an, als ob es schon ein bisschen so eine Ernüchterung gäbe in Sachen Wolf. Ist es das, was die Bücher widerspiegeln?
Billig: Ja, das kann man sagen. Ganz deutlich wird das zum Beispiel an einem Buch von Andreas Beerlage, "Wolfsfährten", das zeichnet so die aktuellen Debatten um die Rückkehr des Wolfes nach, und das zeigt sich im Inhaltsverzeichnis geradezu demonstrativ skeptisch. "Wölfe überschreiten rote Linien, Comeback der Angst, Wer will die Wahrheit hören vom Wolf als Todesursache", so heißen dann da Kapitel. Im Buch selbst relativiert sich das dann wieder ein bisschen. Dann sieht man, ja, Wölfe haben tatsächlich in der Vergangenheit auch Menschen als Beute angesehen und getötet, aber oft hat dann eben doch die Tollwut eine wichtige Rolle gespielt, oder die Tiere sind angefüttert worden und hatten keine Scheu mehr. Ein bisschen weniger reißerisch geht Eckart Fuhr das in seinem Buch "Rückkehr der Wölfe" an, aber auch der mahnt zur Vorsicht und bringt vor allem die Interessen der Nutztierhalter ins Spiel, die um ihre Tiere fürchten beziehungsweise natürlich um den Geldwert ihrer Tiere.
Scholl: Und wie stellen denn diese Realisten, könnte man vielleicht sagen, unter den Autoren sich so eine Zukunft eigentlich dann mit dem Wolf vor? Oder glauben die dann doch gar nicht an eine Zukunft?
Billig: Doch, die glauben schon daran. Aber der Wolf muss scheu bleiben, das ist ihnen wichtig, und die Weidetierhalter sollten nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben. In diesem Zusammenhang gibt es ein schönes Buch, das erscheint zwar erst im Januar, das ist so ein richtig dickes Special-Interest-Fachbuch, "Wildlebende Wölfe", geschrieben von Frank Faß. Der leitet ein großes Wolfsgehege in Deutschland, und der informiert da auf weit über 400 Seiten ganz ausführlich über die ganzen Möglichkeiten, wie man Nutztiere vor Wölfen schützen kann. Da geht es dann mit Fotos und mit präzisen Bauanleitungen um Elektrozäune, um Schutzhunde. Schutzesel gibt es auch. Kapitelweise aufgeteilt nach den jeweiligen Nutztieren. Wie schützt man Enten, Gänse, Schafe, Ziegen, bis hin zu Pferden. Ein Riesenfachbuch, Handbuch, nichts für den Normaluser von Naturbüchern, aber ich denke, das wird so ein Meilenstein schon sein in Richtung friedliche Koexistenz.

Wild und weise

Scholl: Das sind nun wirklich sehr nüchterne und realistische Bücher, Susanne Billig. Gibt es denn die anderen Bücher auch, die sich ungebrochen fasziniert und begeistert vom wilden Wolf zeigen?
Billig: Ja, das gibt es. Elli Radinger, die hat einen Namen in der Szene, die hat ein neues Buch geschrieben, "Die Weisheit der Wölfe". Die hat viele Jahre im Yellowstone-Nationalpark verbracht und hat da wilde Wölfe beobachtet, und die schwelgt so richtig in der Liebe zum Wolf, und ich muss sagen, das steckt schon auch an. Sie schreibt wunderbar anschaulich und gibt einem wirklich das Gefühl, mit ihr da durch den Park zu streifen und zu sehen, wie die Wolfsmutter die Welpen in die Welt setzt und wie die ihre Welt erkunden, wie die groß werden, wie die abwandern. Und das Buch saugt so richtig in diese wilde Wolfswelt hinein.
Scholl: Man fragt sich ja immer so ein bisschen, sind Wölfe jetzt so faszinierend, weil sie so ganz anders sind als Menschen, wilder und freier, oder weil sie doch sozusagen als kulturelle Tiere auch uns ähnlich sind auf eine Weise.
Billig: Sie setzt schon auf die Ähnlichkeit, und sie sagt, das ist ja kein Zufall, dass Menschen und Wölfe beziehungsweise Hunde sich gefunden haben, so innig gefunden haben. Denn wir teilen basale Bedürfnisse. Und um diese Nähe geht es auch in dem Buch, also die Bedeutung von Familie. Man kümmert sich um die, die einem anvertraut sind. Oder die kluge Führung von Artgenossen. Wölfe sind ja eigentlich sehr entspannt, weiß man heute. Die ziehen sich auch mal zurück, selbst, wenn sie stärker sind, und lassen jemand anders erst ans Futter oder lassen jemand anders den Willen durchsetzen, bestehen da nicht drauf. Und das sehen wir auch an unseren Hunden. Was könnten die uns beißen, wenn sie wollten. Aber sie tun es nicht. Die mögen Kooperation, die mögen so einen kleinen Blickkontakt, eine Verständigung. Und diese Punkte geht das Buch durch. Das Bedürfnis nach Heimat oder lebenslang zu spielen, da Freude dran zu haben. Sie driftet aber dann, muss man sagen, oft auch ins Esoterische. Und wenn sie dann so ein ganzes Kapitel von dem Erweckungserlebnis schwärmt, das eine Frau haben kann, wenn sie von einem Wolf geküsst wird, also –
Scholl: Ach du Schreck!
Billig: Die schlabbern einem, soweit ich informiert bin, mit der Zunge, die vorher ich weiß nicht genau, was gefressen hat, quer übers Gesicht. Man muss das wirklich mögen.
Scholl: Das sagt die Hundehalterin Susanne Billig. Die weiß, was Tierzungen anrichten können. Also, jenseits dieser leicht esoterischen Schlagseite schildern Sie es aber so, als ob es sehr schön erzählt ist. Gibt es denn aber auch die anderen Bücher, also von denen Sie erzählt haben, die seriösen, die auch ein bisschen fürs Fachpublikum, die mit Wölfen direkt zu tun haben, geschrieben sind, sind die auch genauso gut geschrieben, oder gibt es da doch eine scharfe Trennung zwischen U und E, sage ich jetzt mal?
Billig: Nein, kann man nicht so sagen. Es gibt ein wunderschönes Buch, das heißt "Die Intelligenz der Tiere" von Carl Safina. Und das ist so ein Beispiel dafür, das widmet einen Riesenabschnitt mit mehreren Kapiteln auch den Wölfen. Und der kann unglaublich gut erzählen und macht es gleichzeitig fachlich ganz seriös, erzählt aber eben auch Geschichten, in denen die Tiere gar nicht so edel daherkommen, sondern sich als ziemlich üble Brudermörder und Welpen tötend zeigen. Also auch diese Seite des Wolfs zeigt er eben, den Wolf als Raubtier. Er erinnert aber auch daran, dass, was immer Wölfe Übles in unseren Augen tun, ist nur ein Staubkörnchen gegen die Vernichtungsfeldzüge des Menschen gegen die Wölfe.

Bloß nicht streicheln!

Scholl: Doch noch mal das Stichwort Raubtier. Wenn sich jetzt, sagen wir mal, so ein Trumm – die wiegen ja, glaube ich, bis 30, 40, 50 Kilo, so ein richtig ausgewachsener Wolf –, wenn jetzt so einer mal auf einen Kindergarten zuschnürt, so ganz ohne Scheu, dann wird es ja schon ein bisschen schwierig so mit dem romantischen Blick auf die Wölfe. Es gibt wahrscheinlich bestimmt auch viele Bücher für Kinder und Jugendliche. Setzen die dann eher auf den wilden oder vielleicht auch gefährlichen Wolf oder der gute Freund im Wald, der jetzt mal kommt und sich streicheln lassen will.
Billig: Bloß nicht. Der sich streicheln lässt, der hat Tollwut, den will man nicht streicheln. Nein, die versuchen, so eine schöne Balance. Neu aufgelegt wurde jetzt zum Beispiel, das ist eigentlich ein ganz schönes Beispiel, das Buch "Wölfe" aus der "Was-ist-Was"-Kindersachbuchreihe. Und nur mal als Beispiel: Da gibt es dann so eine Doppelseite, da sieht man ganz seriös die Evolution des Wolfs, wir sehen den Urahnen, Tomarctus hieß der, das ist so ein kantiges Tier. Und aus der Entwicklungslinie haben sich dann die Schakale abgespalten und die Kojoten und die Füchse und so weiter. Gleich daneben aber auch so eine ganz typische "Was-ist-Was" große Zeichnung, die so die Urszene zeigt zwischen Mensch und Wolf, zwei Steinzeitmänner, die eine Beute gemacht haben und sich dann entscheiden, so einen großen Brocken Fleisch diesem Wolf in der Ferne da zuzuwerfen. Beide Seiten schauen sich verhalten an und entscheiden sich aber für dieses Vertrauen. Das sind also ganz gefühlvolle Szenen, verschränkt mit seriöser Wissenschaft, und das ist so ganz typisch für das, was im Kinderbuch passiert.
Scholl: Gut. Themenschwerpunkt über Wolfsbücher wäre nicht vollständig, liebe Frau Billig, wenn es nicht natürlich auch was Tolles, Prachtvolles anzuschauen gäbe. Sie haben natürlich auch ein paar Bildbände sich angeschaut. Man muss wohl nicht groß raten – tote Schafe sieht man da eher nicht, oder?
Billig: Man sieht sie nicht, sie stehen nicht im Vordergrund, aber sie sind durchaus zu sehen. Das wird schon ernst genommen auch, diese skeptische Seite. Zum Beispiel in dem sehr, sehr schönen Bildband "Deutschlands wilde Wölfe" von Axel Gomille, das ist der erste Bildband, der sich ausschließlich mit den Wölfen in Deutschland beschäftigt. Der hat da acht Jahre dafür auf der Lauer gelegen.
Scholl: Acht Jahre?
Billig: Acht Jahre lang. Zeigt ganz intime Einblicke, das sind wunderschöne Bilder, ganz hinten gibt es ein totes Schaf. Aber es gibt auch viele prachtvolle Wölfe zu sehen, und man staunt einfach schon davor, dass das möglich ist, dass diese Tiere nach Deutschland jetzt zurückkehren können.
Scholl: Der Wolf im Buch. Susanne Billig hat uns auf den aktuellen Stand gebracht. Danke Ihnen! Alle Bücher, die wir jetzt hier erwähnt haben, die stellen wir für Sie übersichtlich auch auf unsere "Lesart"-Seite unter www.deutschlandfunkkultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Bücherliste:
Andreas Beerlage: Wolfsfährten – Alles über die Rückkehr der grauen Jäger
Gütersloher Verlagshaus, 240 Seiten, gebunden, 19,99 Euro
Erscheinungsdatum 16.10.2017
Frank Faß: Wildlebende Wölfe. Schutz von Nutztieren - Möglichkeiten und Grenzen
Verlag Müller Rüschlikon, 288 Seiten, gebunden, 34,90 Euro
Erscheinungsdatum: 25.01.2018
Eckard Fuhr: Rückkehr der Wölfe. Wie ein Heimkehrer unser Leben verändert
Goldmann Verlag, Paperback, 224 Seiten, 9,99 Euro
Erschienen: 18.04.2016
Elli H. Radinger: Die Weisheit der Wölfe. Wie sie denken, planen, füreinander sorgen. Erstaunliches über das Tier, das dem Menschen am ähnlichsten ist
Ludwig Verlag, 288 Seiten, gebunden, 19,99 Euro
Erscheinungsdatum: 30.10.2017
Carl Safina: Die Intelligenz der Tiere. Wie Tiere fühlen und denken
Übersetzt von Sigrid Schmid und Gabriele Würdinger
CH Beck Verlag, 526 Seiten, gebunden, 26,95 Euro
Erscheinungsdatum: 16.03.2017
Till Meyer: WAS IST WAS Band 104: Wölfe. Im Revier der grauen Jäger
Tessloff Verlag, gebunden, 48 Seiten, 9,95 Euro
Erschienen: Neuauflage 1. November 2017 (Erstauflage: 2013)
Uta Reichardt: Im Wolfsland
Fabulus Verlag, gebunden, 208 Seiten, 16,95 Euro
Erschienen: Februar 2017
Axel Gomille: Wölfe - Begegnungen in freier Wildbahn. Deutschlands wilde Wölfe kehren zurück
Frederking & Thaler Verlag, Bildband, gebunden, 190 Fotos, 168 Seiten, 30 Euro
Erschienen: 30. Januar 2017
Shaun Ellis (Autor),‎ Monty Sloan (Fotograf): Der Wolf: Wild und faszinierend
Bildband, Delphin Verlag, gebunden, 256 Seiten, 12,99 Euro
Erschienen: 1. August 2017
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