Marc Engelhardt: Heiliger Krieg – heiliger Profit,
Afrika als neues Schlachtfeld des internationalen Terrorismus.
Ch. Links Verlag Berlin, März 2014
224 Seiten, 16,90 Euro, auch als ebook
Schlachtfeld des internationalen Terrorismus

Es geht weniger um religiösen Fanatismus als ums Geschäft. Marc Engelhardt kommt zu der Einschätzung, dass hinter den terroristischen Verbrechen in Afrika oft eine Allianz aus Politik und organisiertem Verbrechen steckt.
Mehr als 200 christliche Mädchen wurden Mitte April dieses Jahres im nigerianischen Chibok von der Terrorgruppe Boko Haram entführt. Niemand weiß genau, wo sie stecken.
Einziges Lebenszeichen bislang war ein Video, das einige sichtlich verängstigte, verschleierte Mädchen zeigt. Die meisten, heißt es in dem Video, seien zum Islam übergetreten. Es gehe ihnen also gut. Jene, die sich der Konversion verweigerten, würden getötet oder in die Sklaverei verkauft.
Gäbe es nicht eine weltweite Aktion unter dem Titel „Bring Back our Girls“, an der sich sogar die amerikanische First Lady Michelle Obama beteiligt, die Entführung der Schülerinnen hätte vermutlich wenig Aufmerksamkeit erregt.
Genauso wenig, wie ein Anschlag auf das UN-Hauptquartier vom 26. August 2011 in Nigerias Hauptstadt Abuja, bei dem 25 Menschen getötet wurden. Oder die Anschläge auf christliche Kirchen im mehrheitlich muslimischen Norden Nigerias am Weihnachtstag des Jahres 2011. All diese Angriffe – und noch sehr viele weitere – werden Boko Haram zugeschrieben, deren Name übersetzt so viel bedeutet wie „Westliche Erziehung ist Sünde“.
Wir sollten genauer nach Afrika sehen. Weil es einige Erfolgsgeschichten zu erzählen gäbe, weil der Kontinent strategisch immer wichtiger wird. Aber auch, weil Terrorgruppen, so der langjährige Afrika-Korrespondent Marc Engelhardt, überall auf dem Kontinent Einfluss gewinnen.
In weiten Teilen Somalias führte die Al-Shabaab lange ein Schreckensregime. Sie war auch verantwortlich für das einträgliche Geschäft der Piraterie am Horn von Afrika und für den Terroranschlag in einem Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi vom September 2013.
Terroristen viel weniger ideologisch verblendet, als man glauben mag
Die einstmals wohlhabende malische Handelsmetropole Timbuktu wurde im März 2013 von Tuareg-Rebellen sowie Kämpfern der Al-Quaida im Maghreb und der islamistischen Ansar Dine eingenommen. Sie zwangen nicht nur Frauen unter den Schleier oder verurteilten angebliche Verbrecher per Schnellgericht zu drastischen Strafen. Sie brannten auch die Bibliotheken Timbuktus mit hunderttausenden der wichtigsten Dokumente afrikanisch-islamischer Gelehrsamkeit nieder.

Cover – „Heiliger Krieg – heiliger Profit“ von Marc Engelhardt© Ch. Links Verlag Berlin
In Nord-Nigeria herrscht faktisch Boko Haram. In der Demokratischen Republik Kongo wüten die Kämpfer Joseph Konys und seiner christlichen Terrortruppe „Lord’s Resistance Army“. Afrika ist ein Schlachtfeld des neuen internationalen Terrorismus, so Engelhardt. Nur: geht es hier wirklich um Ideologie? „Heiliger Krieg. Heiliger Profit“ heißt sein äußerst informatives Buch. Aus gutem Grund.
„Europäische Politiker tun gut daran, den Terror in Afrika zu fürchten, obwohl afrikanische Islamisten sich (anders als oft dargestellt) nicht auf dem Marsch nach Europa befinden. Auch sind sie viel seltener ideologisch verblendet, als man glauben mag.
Sicher, es gibt sie, die Islamisten, die für ein globales Kalifat kämpfen, oder die Extremisten, die für die Vorherrschaft ihrer Volksgruppe Terror verbreiten. Viele von ihnen sind Mitläufer.
Was die Terrorgruppen vor allem antreibt, vor allem an ihrer Spitze, ist aber etwas ganz anderes: das Geschäft.“
Der Erfolg des Terrors beruht auf dem Schrecken, den er zu verbreiten mag. Weitgehend vergessen aber wird eine ganz banale Tatsache: Terror ist teuer. Terroristen brauchen Waffen, Logistik, eine Infrastruktur.
Marc Engelhardts Verdienst ist es, dass er sich nicht in religionsphilosophische Erörterungen über die Natur und die Urgründe des religiösen Fanatismus verliert. Er hat sich auf seinen zahlreichen Recherchereisen in die gefährlichsten Gebiete des Kontinents genau angesehen, wie Terror finanziert wird. Nämlich durch eine sehr unheilige Allianz von Politik und organisiertem Verbrechen.
„Es gibt eine Parallelwelt, ein weiteres internationales Wirtschaftssystem. Es hat sich in drei großen Etappen entwickelt: erst die staatliche Terrorfinanzierung, dann die Privatisierung und drittens die Globalisierung des Terrorismus.
Ebenso wie die Wirtschaft haben sich militante Terrororganisationen untereinander vernetzt und sind wichtige Geschäftsbeziehungen mit dem organisierten Verbrechen eingegangen.“
Alle Terrorgruppen – von Boko Haram über Al Kaida bis zu den Al-Shabaab – greifen als Geldbeschaffungsmaßnahme auf die ganze Palette krimineller Aktivitäten zurück: Drogen- und Menschenhandel, Handel mit geschützten Gütern wie Elfenbein, Auftragsmorde, Schutzgelderpressung, Prostitution. Von Geldwäsche natürlich ganz zu schweigen.
Die wichtigste Erkenntnis dabei ist: Ideologie und Politik sind oft nur noch Kulissen für den Terror. Es geht um Konten statt Kalifate. Um die Bereicherung derer, die an der Spitze sehen. Die meisten ideologischen Gruppierungen, so Engelhardt, sind eher Mafiosi als Gotteskrieger.
Politisches Versagen der Regierungen Nigerias, Malis und Somalias
Dass nun ausgerechnet Afrika zum Schlachtfeld des Terrorismus wird, hat wiederum einen ganz politischen Grund.
„Eines haben der Aufschwung von Boko Haram in Nigeria, von Al Quaida im Maghreb im Norden Malis und der Shabaab in Somalia gemeinsam: Sie wären niemals möglich gewesen, wenn die Regierungen Nigerias, Malis und Somalias sich in angemessenem Maße um ihre Bürger gekümmert hätten.
Ohne die massive Korruption, ohne Nepotismus und die Billigung der Aufgabe staatlicher Strukturen hätte keine Terrorgruppe so viel Zulauf gehabt.“
Nicht die Wiederkehr der Religion, das alte Problem der Korruption fördert den Terrorismus. Weil Gelder eben nicht in ordentliche staatliche Strukturen wie Polizei und Sicherheitskräfte oder ein ordentliches, unabhängiges Justizsystem investiert werden. Korrupte oder nicht vorhandene Staatlichkeit fördert den Terrorismus. Und der Terrorismus im Verbund mit Organisierter Kriminalität zerstört Staatlichkeit.
Für Europa mag der Terror in Afrika kein gar so großes Problem sein. Die kriminellen Aktivitäten der Terroristen sind es jedoch schon. Um dem einen Riegel vorzuschieben, sind militärische Mittel nur bedingt hilfreich. Wichtiger wäre es, mit viel Nachdruck, aber auch politischer Kreativität dabei zu helfen staatliche Strukturen wieder aufzubauen oder zu stärken. Und illegale Geldströme möglichst zu unterbinden.