Sachbuch

Rückschau in drei Kapiteln

Martin Seel, aufgenommen am 09.10.2013 auf der 65. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main (Hessen).
Der Philosoph Martin Seel © picture alliance / dpa-Zentralbild / Arno Burgi
Von Michael Opitz · 22.08.2014
Die Aufsatzsammlung zeigt, mit welchen Fragen sich der Philosoph Martin Seel in den Jahren 2005 bis 2013 beschäftigt hat. Es geht um Neugier als Tugend und als Laster und um Wissen, das nur angehäuft und nicht verarbeitet wird.
Neugier zeigt sich für Martin Seel unter anderem darin, dass man sich dafür interessiert, was die Kollegen so treiben. So hat er es in seinem Aufsatz "Neugier als Laster und als Tugend" formuliert. Bezieht man diese Maxime auf den Autor selbst, dann erfährt man aus seinem Buch "Aktive Passivität", woran Seel zwischen 2005 und 2013 gearbeitet hat. Denn in diesem Zeitraum sind die 18 Aufsätze entstanden und auch veröffentlicht worden, die nun in dem Band "Aktive Passivität" vorliegen.
Ob ein solcher Zweitaufguss einen positiven Effekt auf die Neugier von Lesern hat, erfährt man aus dem Aufsatz nicht. Seel weist aber darauf hin, dass die Neugier lange Zeit als eine Tugend angesehen wurde, weil sie mit der Jagd nach Wissen und dem Aufbrechen zu neuen Wissenshorizonten in Verbindung gebracht wurde. Ein Laster ist die Neugier allerdings, wenn es darum geht, über den neuesten Klatsch Bescheid zu wissen oder wenn Wissen nur gehäuft wird, um mitreden zu können.
Poröses Wissen
Wird nämlich keine Zeit darauf verwendet, Wissen zu verarbeiten, führt das in der Folge zur "Entwertung des Wissens", da es dann von "frei flottierenden Informationen nicht ergänzt und modifiziert, sondern in einen porösen Zustand versetzt und somit geschwächt wird."
Seel erschließt sich sein philosophisches Terrain gern über Dichotomien, was bereits aus den Titeln der Aufsätze hervorgeht, in denen Begriffe wie "Kenntnis und Erkenntnis", "Perspektivität und Objektivität", "Kunst und Natur", "Bewegtsein und Bewegung" gegenübergestellt werden.
Gegliedert hat er sein Buch in drei Kapitel. Sie sind mit "Vom Wahren", "Vom Guten" und "Vom Schönen" überschrieben und dürfen, so der Autor im Vorwort, mit einer "gehörigen Prise Ironie gelesen" werden. Mit dieser nonchalanten Bemerkung scheint Seel andeuten zu wollen, dass die jeweils unter einer Kapitelüberschrift subsumierten Aufsätze in einem eher unverbindlichen Verhältnis zum Überbegriff stehen. Wie er aber diese drei "philosophischen Leitbegriffe" versteht, führt er nicht aus.
Überzeugende Begriffsbestimmung
Dass Seel die Konturen eines Begriffs in seinem ganzen Facettenreichtum sehr überzeugend zu bestimmen weiß, wird beispielsweise in dem Aufsatz "Die Fähigkeit zu überlegen" deutlich. Überlegt der Einzelne, wie er sich in einer bestimmten Situation entscheiden soll, dann wägt er Gründe ab. Die Aufforderung: "Überlegen Sie doch bitte?" ist ein versteckter Hinweis darauf, so Seel, dem Gesprächsgegenüber zu signalisieren, die geäußerte Position noch einmal zu überdenken, sie infrage zu stellen und womöglich zu korrigieren.
Dass der Mensch in der Lage ist zu überlegen und er bedenken kann, was in der Vergangenheit passiert ist und sich in der Zukunft womöglich ereignen wird, unterscheidet ihn von anderen Lebewesen.
Nach eigener Aussage hat Martin Seel in seinem 2009 erschienenen Buch "Theorien" die Karten der Philosophie "erheblich wilder gemischt" als in seinem neuen Publikation "Aktive Passivität". Das wilde Mischen ist nicht das Problem, aber ärgerlich ist, dass er mit alten Karten spielt.

Martin Seel: Aktive Passivität. Über den Spielraum das Denkens, Handelns und anderer Künste
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014
384 Seiten, 24,99 Euro, als E-Book 21,99 Euro

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