Sachbuch "Rom - Die Biographie eines Weltreichs"

Mit Glück zum Aufstieg

Das Kolosseum in Rom
Das Kolosseum in Rom - Zeichen der Macht aus der Antike © picture alliance / ZB
Von Ann-Kathrin Büüsker · 15.08.2015
Wie gelang es Rom, ein Weltreich zu werden − und so lange zu bleiben? Dieser Frage geht Greg Woolf in "Rom - Die Biographie eines Weltreichs" nach. In der Fähigkeit, sich von Krise zu Krise neu zu erholen, sieht er die entscheidende Begabung des Imperiums.
Wenn Greg Woolf vom antiken Rom erzählt, bekommt er wahrscheinlich strahlende Augen. Der Historiker bewundert das Imperium.
"Das römische Reich war wie eine gewaltige Flutwelle, die sich immer höher aufrichtete, bis sich ihre Kraft verströmte. Oder es war wie eine Lawine, die klein begann, sich durch die Substanz der von ihr überrollten Schnee- und Geröllmassen anreicherte und sich dann am Ende des Hangs verlangsamte."
Diese Art zu schreiben, zeigt Woolfs Faszination für Rom.
Aus einer kleinen Ansammlung von Hütten am Rande des Tibers wurde ein gewaltiges Imperium, das sich in der Zeit seiner größten Ausdehnung von Portugal bis Syrien erstreckte, von Schottland bis nach Ägypten.
Woolf widmet sich ausführlich der Konsolidierungsphase des Reiches. Wie gelang es Rom, sich innerhalb von Italien zu etablieren? Die Stadt musste sich gegen starke Nachbarn aus dem Norden durchsetzen – die Etrusker. Ein Volk, über das wir nur wenig wissen, von dem aber klar ist, dass es Rom kulturell und politisch beeinflusst hat. Rom selbst befand sich jedoch am Rande des etruskischen Wirtschaftsraums – und gerade darin sieht Woolf einen Schlüssel für die Entwicklung der Stadt. Während sich die etruskischen Städte innerhalb ihrer Sphäre gegenseitig in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung bremsten, konnte sich Rom frei entwickeln und mächtig werden, so Woolfs These.
Cover von Greg Woolfs "Rom. Die Biographie eines Weltreichs"
Cover von Greg Woolfs "Rom. Die Biographie eines Weltreichs"© Klett Cotta
Ein vorstellbarer Gedankengang, der sich jedoch nicht nachweisen lässt, denn für diese Zeit gibt es keine schriftlichen Quellen. Damit hat auch Woolf zu kämpfen:
"Leider wissen wir nur sehr wenig darüber, wie die Römer über sich selbst dachten, bevor sie zu einer Weltmacht wurden. Die ersten Werke der lateinischen Literatur wurden am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. geschaffen."
Vorteil gegenüber den Etruskern
Aus Mangel an literarischen Zeugnissen zieht Woolf viele Schlüsse aus historischen Entwicklungen. Da es den Römern gelang, sich gegen die Etrusker durchzusetzen, muss Rom einen gewissen Vorteil gehabt haben – die Idee der freien Entwicklung außerhalb der etruskischen Sphäre ist hier ein Ansatzpunkt, den Woolf mit weiteren ergänzt. In der Summe waren es vor allem kleinteilige Aspekte, die Roms Aufstieg begünstigten – und es gehörte auch etwas Glück dazu.
Es ist angenehm ehrlich, dass Woolf keine ultimative Wahrheit für sich beansprucht, sondern Möglichkeiten darstellt. Dabei argumentiert er stringent und gut nachvollziehbar. Etwa wenn er darstellt, warum antike Weltreiche in der Regel Monarchien waren.
Im Falle Roms bringt er die Gründe auf eine kurze Kernaussage:
"Rom hatte ein imperiales Reich, bevor es imperiale Kaiser hatte."
In der Zeit der Republik dominierten einzelne Aristokraten den Senat und die römische Politik.
Um Beute und Prestige zu erlangen, zogen sie in Kriege – und vergrößerten damit aus reinem Eigennutz das Römische Reich. Ab einer gewissen Größe waren diese Einzelinteressen aber nicht mehr dazu geeignet, Sicherheit und Stabilität herzustellen, schreibt Woolf, weil die Aristokraten zu kurzfristig und zu lokal begrenzt agierten. Als Beispiel nennt Woolf den Kampf gegen die eskalierende Piraterie, die sich im gesamten Mittelmeer ausgebreitet hatte. Die Gegenwehr einzelner Provinzstatthalter führte nur dazu, dass die Piraten andere Küstenabschnitte unsicher machten. Erst konzertierte Aktionen des Feldherrn Pompeius, die an mehreren Punkten ansetzen, konnten die Piraterie unter Kontrolle bringen.
"Große Militärführer sorgten für die Koordination der Kräfte und der Politik, die das Reich dringend brauchte. Die Kaiser taten das sogar noch besser und sie erzwangen auch den Frieden."
Lange Phase innerer Stabilität
Die Kaiserzeit brachte dem Römischen Reich eine lange Phase innerer Stabilität, die nur durch gelegentliche Krisen erschüttert wurde – etwa 68 n. Chr., als nach dem Tode Neros gleich mehrere Männer mit Gewalt versuchten seine Nachfolge zu übernehmen. Doch insgesamt blieb das Reich bis ins dritte Jahrhundert stabil – bis der Niedergang begann.
Woolf beschreibt diesen als einen langsamen Prozess, immer wieder unterbrochen von Versuchen das alte Reich wieder herzustellen, die dann doch scheiteten. Aus Woolfs Sicht eine zwingende Konsequenz.
"Die in diesem Buch zum Ausdruck gebrachte Meinung ist, dass eher Fortbestand und Überleben erklärungsbedürftig sind als Niedergang und Fall. Die außerordentliche Begabung Roms und sein gutes Glück lag in der Fähigkeit sich von Krise zu Krise neu zu erholen. Bis zu dieser letzten."
Die Welt veränderte sich – und das Reich war durch wirtschaftliche Krisen, Krankheiten und beginnende Völkerwanderungen gezwungen sich zu verändern. Dieser Prozess gipfelte 395 n. Chr. in der Teilung des Imperiums und etwa 100 Jahre später im Untergang des weströmischen Reiches.
Woolf versucht mit seiner Biographie des römischen Weltreiches einen analytischen Pfad zu beschreiten, er will weg von einer chronologischen Darstellung der Geschichte. Weil es aber ganz ohne nicht geht, hat sich Woolf eine Kapitelstruktur auferlegt, in der sich Chronologie und Analyse abwechseln. Doch auch dieser Versuch scheitert – die Geschichte Roms ist zu komplex. Insofern bleiben viele Themen nur kurz angeschnitten. Doch das ist legitim, denn es geht Woolf nicht darum, eine Gesamtdarstellung der römischen Geschichte zu liefern. Er verfolgt stringent seine Grundfrage: Wie gelang es Rom ein Weltreich zu werden und so lange zu bleiben? Die Antwort ist komplex. Woolf arbeitet sehr detailliert die einzelnen Faktoren heraus, stellt sie miteinander in Beziehung, wodurch sich ein vielschichtiges Bild ergibt. Seine Biografie Roms eröffnet neue Blicke auf die Geschichte des Reiches. Bei einem so intensiv erforschten Thema wie der römischen Geschichte ist das eine beachtliche Leistung.

Greg Woolf: Rom. Die Biographie eines Weltreichs
Verlag Klett-Cotta, Berlin 2015
495 Seiten, Hardcover 23,95 Euro, Ebook 23,99 Euro

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