Sachbuch

Luftangriffe verfehlten ihren Zweck

Nach den Bomenangriffen amerikanischer und britischer Flugzeuge auf Dresden am 13. und 14.02.1945 werden die zahlreichen Leichen, die auf der Straße liegen geborgen. Bei dem Angriff wurde die historische Innenstadt von Dresden nahezu völlig zerstört, bis zu 35.000 Menschen wurden getötet.
Opfer des Bombenangriffs auf Dresden 1945 © picture alliance / dpa
Von Ulrich Baron · 13.12.2014
600.000 Menschen sind nach Schätzungen durch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg in Europa ums Leben gekommen. Anhand von Statistiken und technischer Details erläutert der britische Historiker Richard Overy wie unsinnig und katastrophal der Bombenkrieg war.
Es ist die Front, die der Bombenkrieg verändert. Noch im Ersten Weltkrieg wurde sie durch die Linie bestimmt, an der die Bodentruppen einander gegenüber standen. Im Zweiten Weltkrieg entstand eine weitere Front weit im Hinterland.
"Die Geschichte der 'zivilen Front' im Luftkrieg ist die Geschichte einer Zerstörung von außerordentlichen Ausmaßen: geschätzte sechshunderttausend Tote, ebenso viel Schwerversehrte, Millionen Leichtverwundete, Millionen Ausgebombte; fünfzig bis sechzig Prozent der deutschen Stadtflächen ausradiert, zahllose Kulturdenkmäler und Kunstwerke unwiderruflich verloren."(Seite 37/38)
So nüchtern Richard Overy diese Zahlen präsentiert, so ernüchternd muss es 1945 für amerikanische Ökonomen wie J. K. Galbraith gewesen sein, die angeblichen Erfolge des Bombenkriegs gegen Deutschland zu analysieren. Die Wirtschaft des Dritten Reichs habe keineswegs jene schweren Schäden erlitten, die man erwartet hatte:
"Stattdessen zeigten die überblickshaften Statistiken, dass die Produktion der deutschen Wehrwirtschaft unter dem Druck der militärischen Verpflichtungen auch dann noch dramatisch angestiegen war, als die Bombardements schwerer geworden waren und die Schäden zugenommen hatten." (Seite 867)
Präsenz großer Bomberverbände blieb räumlich und zeitlich beschränkt
Und deshalb wurde auch der Zweite Weltkrieg von Bodentruppen entschieden. Die Präsenz großer Bomberverbände blieb räumlich und zeitlich beschränkt, und wenn statt Fabriken und Flughäfen Wohnviertel und Schulen ausradiert wurden, hatte das keine unmittelbar kriegsentscheidende Wirkung. Die Vorstellung, den Gegner durch Angriffe auf dessen Zivilbevölkerung demoralisieren zu können, erwies sich auf beiden Seiten als zynische Fehlkalkulation.
"Es lässt sich festhalten, dass der strategische Bombenkrieg allein seine eigentliche Aufgabe nicht erfüllen könnte und moralisch kompromittiert war, weil er die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung vorsätzlich verstärkte." (Seite 900)

Dabei waren die Erwartungen groß. Der britische Historiker geht auf literarische Fiktionen zurück, die entstanden, als die Fliegerbombe noch entwickelt wurde. H. G. Wells beispielsweise nahm 1908 in seinem Roman "Der Luftkrieg" die Zukunft vorweg und die moderne Großstadt ins Visier. Die Eskalation der Mittel und Opfer war hier schon angelegt. Es geht nicht mehr um den Kampf zweier Gegner, sondern um größtmögliche Zerstörungen.
Lesart-Cover: Richard Overy "Der Bombenkrieg. Europa 1939–1945"
Cover - Richard Overy: "Der Bombenkrieg"© Rowohlt Berlin
Hier kommt die Stärke von Overys Darstellung zur Geltung. Anders als etwa Jörg Friedrich in "Der Brand" fokussiert er nicht auf Deutschland. Die Bombardierung sowjetischer Städte nennt er mit Recht "Das ungeschriebene Kapitel", und auch Länder wie Frankreich, die Niederlande und Belgien verloren Tausende von Menschen bei Luftangriffen ihrer späteren Befreier, als sie noch von Deutschland besetzt waren.
"In die Freiheit gebombt" ist ein Kapitel überschrieben, das von Frankreich handelt. Besonders den oft unerfahrenen amerikanischen Piloten war nicht immer klar, ob sie eine deutsche, belgische oder niederländische Stadt angriffen.
"Ein Angriff, er das deutsche Erla-Flugzeugwerk bei Antwerpen treffen sollte, verwüstet stattdessen die belgische Kleinstadt Mortsel; unter den 926 belgischen Toten befanden sich 209 Kinder, weil auch vier Schulen von den Bomben getroffene worden waren." (Seite 853)
Katastrophe, die sich nicht rechtfertigen ließ
Das Ziel war klar, doch das Ergebnis war eine Katastrophe, die sich nicht rechtfertigen ließ und die fatale, auf Eskalation ausgerichtete Logik des Bombenkriegs dokumentierte. Richard Overy zeigt auch, warum es unsinnig wäre, Opferzahlen gegeneinander aufrechnen zu wollen. Hätte nämlich die deutsche Luftwaffe über stärkere Waffensysteme verfügt, dann hätte auch sie größere Schäden verursacht.
Weil er sich auf Europa beschränkt, bleibt die atomare Eskalation ausgespart, aber er entwickelt eine Perspektive, in der die ganze Welt zum Kollateralschaden werden könnte.
Sein Buch hat das Zeug zum Standardwerk. Allerdings hätte man sich gewünscht, dass die wichtigsten Daten, technischen Details und Statistiken, die in die epische Darstellung eingebunden sind, auf übersichtlichere Art in einem eigenen Kapitel oder Anhang zusammengefasst worden wären.

Richard Overy: "Der Bombenkrieg. Europa 1939–1945"
Aus dem Englischen von Hainer Kober
Rowohlt Berlin, September 2014
1056 Seiten, 39,95 Euro, auch als ebook

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