Sachbuch "Furchtlos in 7 Tagen"

"Angst kann sehr komisch sein"

10:55 Minuten
Eine Frau versteckt sich unter einem Bettlaken und hält sich den Kopf.
Angst treibt mitunter seltsame Blüten. © eyeem / Carameluh
Gregor Eisenhauer im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Vor irgendetwas hat jeder Mensch Angst: die einen vor Höhe, die anderen vor Spinnen, und fast alle vor dem Tod. Wie geht man mit Ängsten am besten um? Der Autor eines neuen Sachbuchs rät zu weniger TV-Krimis, zur Kafka-Lektüre und zu genügend Humor.
Andrea Gerk: Angst gehört wie Ekel oder Trauer zu den sogenannten Basisemotionen. Das sind Emotionen, die überlebensnotwendig sind für uns, denn wer vor nichts Angst hat und nicht schnell losrennt, wenn im Gebüsch ein Bär oder ein Bösewicht lauert, der hat in der Regel schlechte Karten. Andererseits gibt es auch Ängste, die eher hinderlich sind – Angst vorm Fliegen, vor Nähe oder den Grillpartys der Nachbarn. Wie man in sieben Tagen furchtlos wird, erklärt Gregor Eisenhauer in seinem neuen Buch "Wie wir die Angst vor der Angst verlieren: Furchtlos in 7 Tagen. Welche Angst wollten Sie denn oder möchten Sie vielleicht immer noch loswerden?
Eisenhauer: Oh, es gibt ganz viele. Die Existenzangst wird man nie los. Wir alle werden sterben, die Angst kann einem keiner nehmen. Aber es gibt diese kleinen Ängste, die einem das Leben sehr schwierig machen. Bei mir war es die Angst vorm Autofahren, die mich irgendwann überkam, als ich nachts auf der Autobahn unterwegs war und dann praktisch wie so ein Dämon gezwungen war, in die Leitplanke zu halten. Ich konnte das noch abwenden, aber danach blieb diese Angst. Und dann setzten Jahre ein, wo einem Ärzte sagten: Dann fahren Sie doch einfach langsamer.
Gerk: Oder mit der Bahn.
Eisenhauer: Genau, oder mit der Bahn, oder Freunde sagten: Stell dich nicht so an und übe es einfach. Aber es gibt Ängste und Leute, die vor Schlangen Angst haben, vor Spinnen, vor der Tiefe, die kann man nicht so einfach kleinreden und man kann sie auch gar nicht ausreden.

Ängste kommen und gehen

Gerk: Und es gibt Ängste, die kommen und gehen. Ich hab seit ein paar Jahren plötzlich Angst vor hohen Brücken, da kann ich nicht mehr mit dem Auto drüberfahren. Hatte ich früher gar nicht. Aber es gibt auch Grundängste: Sie haben schon die Angst vor dem Tod genannt. Da sind Sie ja Experte, denn Sie schreiben viele Nachrufe für den "Tagesspiegel". Sie haben auch ein Buch über die zehn wichtigsten Fragen des Lebens geschrieben, da gehört ja das Ableben auch dazu. Wenn man sich mit dem Sterben auseinandersetzt, also viel damit konfrontiert: Nimmt das eher Ängste oder macht es sie größer?
Eisenhauer: Das nimmt Ihnen die Angst, weil Sie sehen, wie Angehörige, wie Freunde im Angesicht des Todes eines Menschen, den sie lieben, über sich hinauswachsen. Wie sie den Mut zeigen, Stärke an den Tag zu legen, die sie in dem Moment gar nicht besitzen. Und da wächst das gegenseitige Vertrauen, was uns verloren geht im Augenblick, in dem wir denken, wir kommen an die anderen Menschen gar nicht mehr heran. In diesen schwierigen Situationen, wenn man die Hand des anderen halten muss, weil man nichts mehr sagen kann, weiß man, dass man so eine Angst zusammen überwinden kann.
Gerk: Sie betreiben in Ihrem Buch auch eine Art Konfrontationstherapie, und da haben Sie sich einen Gewährsmann genommen, geradezu einen Angst-Klassiker: Franz Kafka – wenn man so an "Der Prozess" denkt, wo einem eben der Prozess gemacht wird und er weiß gar nicht warum –, oder Gregor Samsa wacht als Käfer auf. Das sind ziemlich beängstigende Szenarien. Warum denken Sie, dass Kafka einem Angst nehmen kann – weil er sie so gut kennt?
Eisenhauer: Zum einen, weil er sie so gut kennt. Und das gute Beispiel: Man wacht als Käfer auf. Das ist ja eine so bizarr komische Situation, dass Sie sich gleichermaßen fürchten wie in Lachen ausbrechen. Er hatte diesen Sinn, in jeder Situation, die uns ängstigt, auch dieses komische Moment wahrzunehmen. Wieso soll uns eine Spinne wehtun, wieso schadet uns eine Schlange? Ich stürze nicht in die Tiefe, wenn ich am Geländer stehe, ich verliere nicht mein Augenlicht – wie er das immer so formulierte –, Angst, dass mein Augenlicht nicht für mein ganzes Leben reichen würde. Angst ist oft eine Form der Einbildung, die sehr, sehr komisch sein kann. Und wenn man diese Komik auflöst, hat man manchmal die Hoffnung, dass mit der Komik, mit dem Lachen auch die Angst vergeht.

Bewältigung braucht Zeit

Gerk: Lachen hilft gegen Angst, Singen und Tanzen haben Sie ausprobiert. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Eisenhauer: Tanzen löst erst mal Angst aus – Paartanz oder wenn man die Paare in Berlin beim Tangoüben am Ufer sieht, dann merkt man, was es oft für ein Krieg der Partner gegeneinander ist. Aber wenn man die anfängliche Angst vor dem Tanzpartner verloren hat, und wenn man diese Syntax, dieses Zusammenspiel wie von selbst dann einübt und irgendwann auch ganz natürlich ausüben kann, dann hat man eine Form des angstfreien Zusammenseins, die weder sexuell überbelastet ist noch jetzt den kommunikativen Austausch braucht, um Harmonie herzustellen. Und das finde ich etwas ganz Faszinierendes, diese Begegnungsform.
Gerk: Sie haben Ihr Buch wie eine Woche aufgeteilt, damit man seine Übungen jeden Tag machen kann. Sie versprechen ebenso augenzwinkernd: Furchtlos in sieben Tagen. Könnte ich damit auch meine Flugangst loswerden?
Eisenhauer: Danke, dass Sie augenzwinkernd sagen. Es kommt nicht darauf an, in sieben Tagen angstfrei zu werden. Worauf es ankommt, ist zum einen, diesen Wochenrhythmus mal für sich zu entdecken. Wenn ich am Montag meine Angst loswerden will und sie ist Dienstag noch nicht weg, bin ich gescheitert. Man braucht für Dinge Zeit, und diese Zeit ist unterschiedlich rhythmisiert. Man muss nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Ich muss mich auf ein Problem einstimmen, ich muss es mir vergegenwärtigen, ich muss drüber nachdenken. Ich suche Hilfe vielleicht am Donnerstag, ich lass es mal auf die Krisis ankommen am Freitag, indem ich ins Flugzeug steige oder auf den Turm. Und dann resümiere ich am Samstag, was aus all dem geworden ist, und Sonntag gebe ich mir frei.
Gerk: Das Reflektieren der Angst ist offenbar auch wichtig. Es reicht nicht, dass ich den Flug mal wieder wie erstaunlicherweise jedes Mal bis jetzt überstanden habe. Sondern ich soll mir schon hinterher auch noch mal Gedanken machen, wie sich das angefühlt hat und warum ich so eine Angst hatte?
Eisenhauer: Im Vorfeld nachdenken. Nach dem Angriff auf das World Trade Center in 9/11 sind viele Leute vom Flugzeug ins Auto gestiegen. Mit der Folge, dass es danach erheblich mehr Autounfälle mit tödlichem Ausgang gab. Wenn ich mir im Vorfeld überlege, wie gefährlich ein Unternehmen ist, und im Nachspann überlege, wie jetzt meine Emotionen mich wirklich behindert haben, dann, glaube ich, kann man – immer vorausgesetzt, Sie suchen auch therapeutische Hilfe und machen das nicht in Eigenregie – in der Konfrontationstherapie solche Ängste gut überwinden.

Denken mit Kafka, lieben mit Dora

Gerk: Zurück zu Kafka: Wie hat der Ihnen dabei geholfen, der ist ja kein Therapeut. Was haben Sie bei ihm gefunden, was Sie vielleicht ermutigt hat?
Eisenhauer: Es war weniger Kafka – er begleitet einen wunderbar durch seine Reflexion. Aber er war auf der ewigen Suche nach Liebe und scheute immer davor zurück, weil er die Bindung nicht wollte. Und dann, im letzten Jahr, in seinem Todesjahr, fand er Dora Diamant, eine Frau, 15 Jahre jünger, die ihn bedingungslos liebte. Und dieses Bedingungslose, dieses nicht ständig reflektieren, was kann er mir eigentlich zurückgeben? Irgendwann ist er eh tot, würde der vernünftige Liebende sagen oder die Ratio ihr einflüstern. Aber sie hat sich voll und ganz auf diesen Franz Kafka eingelassen und ihm das schönste Jahr seines Lebens geschenkt. Also in Sachen Angstbewältigung: Denken mit Kafka, aber lieben mit Dora Diamant.
Gerk: Und Lesen von Kafka, denn lesen ist ja an sich gut, um Angst zu bewältigen, oder? Ist die Literatur nicht ein Riesenfundus, um unsere kleinen Ängste auch besser in den Griff zu kriegen? Da erleben wir Sachen, die man selbst eigentlich nicht unbedingt erleben möchte.
Eisenhauer: Lesen ist die beste Therapie, heißt es. Ich würde unterscheiden: Wir sehen in den Buchhandlungen jetzt nur noch Kriminalliteratur der blutrünstigsten Art. Man kann sich natürlich immer wieder in das Grauen hineinversenken, aber das …
Gerk: True Crime, das hat, glaube ich, gerade Hochkonjunktur, also auch die echten Verbrechensgeschichten.
Eisenhauer: Ja, es ist mir unbehaglich. Wir sind eh schon ein Volk der Mörder, wir haben im Zweiten Weltkrieg hundert Millionen Menschen umgebracht und versammeln uns sonntags zum "Tatort", um zu sehen, wie der Nachbar umgebracht wird. Also die Einstellung zur Gewalt, die Angst vor Gewalt, ist etwas, was man nicht immer wieder durchspielen sollte, als wäre es ein Gesellschaftsspiel. Sondern da wünschte man sich, dass man auch drüber nachdenkt, woher dieses wohlige Gruseln eigentlich rührt.
Gerk: Ja, auch kollektiv gesehen, denn Sie interessieren sich auch für die gesellschaftliche Angst. Früher gab es die German Angst, das hab ich schon lange nicht mehr gehört, obwohl man den Eindruck hat, die Menschen sind insgesamt wieder sehr ängstlich vor ganz vielen Sachen.

Die Menschen fühlen sich unsichtbar

Eisenhauer: Das ist die soziale Klimakatastrophe. Wenn wir aus dem Haus gehen und ich stolpere über den Fahrradkurier, der keinen Blick für mich hat, und als Nächstes fährt mich der elektrisch betriebene Tretroller um, und dann gehe ich auf eine Touristentraube zu, die sich einfach nicht teilen will, weil sie mich gar nicht sieht. So hat jeder inzwischen das Gefühl: Mein Nachbar, mein Nebenmann nimmt mich gar nicht wahr, ich bin unsichtbar.
Gerk: Und daraus entstehen Ängste.
Eisenhauer: Ja.
Gerk: Aber was hilft denn da? Wir können ja nicht das ganze Land zum Lesen verurteilen – also verurteilen im Kafka'schen Sinn –, oder vielleicht doch?
Eisenhauer: Gestern beim Einkaufen kam einer dieser gut erzogenen jungen Start-up-Männer rein und tänzelte so auf die Kassiererin zu, nickte immer so im Takt. Und die Kassiererin fragte, Payback-Karte, und er nickte weiter so im Takt. Er hat die Frau noch nicht mal angesprochen. Die ist für ihn eine Kasse, keine Kassiererin mehr. Ich glaube, es würde schon helfen, wenn man Guten Tag sagt.

Angst kann hilfreich sein und macht erfinderisch

Gerk: Also schon eine Schule des Benehmens mal wieder, der Wahrnehmung.
Eisenhauer: Der Wahrnehmung, genau.
Gerk: Und da hilft Lesen ja auch, sind wir schon wieder bei der Literatur. Aber grundsätzlich ist Angst auch nicht immer nur schlecht, es gibt sehr viele positive Aspekte von Angst. Ohne Angst könnten wir gar nicht überleben, oder?
Eisenhauer: Der Trainer von Mark Tyson hat das gut gesagt: Angst ist wie ein Feuer, es kann verbrennen, es kann mich auch wärmen. Angst macht unglaublich erfinderisch – von der Taschenlampe bis zur abschließbaren Toilettentür. Angst macht uns wach für die Umgebung, Angst lässt mich in gesundem Maß auch misstrauisch werden.
Gerk: Also pflegen Sie auch manche Ängste ein bisschen?
Eisenhauer: Es ist ein großes Vergnügen, jeden Tag eine andere Angst zu entdecken. Wenn man sich selbst nicht langweilig werden will, muss man sich ja immer ein bisschen neu erfinden. Es gibt so viele, unzählige Ängste, die man durchspielen kann. Und ich finde, dieses Durchspielen hilft dabei, es auch ein bisschen zu überwinden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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