Sachbuch "Die Wahrheit über Eva"

Wider das männliche Überlegenheitsdenken

14:27 Minuten
Eva, um die sich eine blaue Schlage ringelt, reicht Adam den Apfel.
Selbstbewusste Eva, zögerlicher Mann - ganz daneben lag die Bibel nicht. Auch die Autoren van Schaik und Michel räumen auf mit männlichem Überlegenheitsdenken. © Getty Images / Heritage Images / Fine Art Images
Moderation: Christian Rabhansl · 09.01.2021
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Zwei Männer schreiben ein Buch über Eva und das weibliche Geschlecht - muss das sein? Ja, finden die Autoren Carel van Schaik und Kai Michel. Männer hätten Frauen die jahrhundertelange Missachtung eingebrockt, eine Wiedergutmachung sei überfällig.
Christian Rabhansl: Als vor ein paar Jahrzehnten viele Frauen aufbegehrten gegen die Übermacht der Männer, da war wirklich unvorstellbar, dass wir auch im Jahr 2021 noch über die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern diskutieren würden. Aber offensichtlich lässt sich das Patriarchat dann doch nicht so einfach stürzen. Steckt’s uns vielleicht doch in den Genen?
Ein Evolutionsbiologe und ein Kulturwissenschaftler haben sich auf die Suche nach den Ursprüngen dieser Ungleichheit begeben: der Primatenforscher Carel van Schaik und der Historiker und Literaturwissenschaftler Kai Michel. Und weil die beiden es gründlich machen, fangen sie wirklich ganz vorne an, nämlich bei Adam und Eva, und sie versprechen uns nicht weniger als "Die Wahrheit über Eva", so lautet der Titel ihres Buches.
Herr van Schaik, bevor wir zu dieser Wahrheit über Eva kommen: Hatten Sie beide keine Angst, dass Sie mit diesem Buch als typische "Mansplainer" ausgelacht werden, also zwei Männer, die noch mal in einem ganz dicken Buch aufschreiben, was Frauen eh längst wissen?
Carel van Schaik: Ja, und da kommt noch dazu, dass wir beide alt und grau sind – oder vielleicht spreche ich nur für mich im Moment. Die Wahrheit über Eva ist ja eigentlich, dass wir die Lüge über Eva aus der Welt schaffen möchten, und das Buch hat zu tun mit den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern. Die Lüge ist von den Männern in die Welt gesetzt, also haben wir doch eine Verantwortung als Männer, das auch wieder zurechtzumachen.
Rabhansl: Okay, jetzt bringen Sie uns also die Wahrheit über Eva. Wir kennen alle diesen Mythos von der schwachen Frau, die sich verführen lässt, die von der verbotenen Frucht isst und damit die Menschheit ins Unglück stürzt. Alles gelogen, schreiben Sie jetzt. Herr Michel, was ist denn die Wahrheit über Eva?
Kai Michel: Ich glaube, dieser Wahrheitsbegriff ist wichtig: Dass man versteht, wie Carel eben schon sagte, es geht uns wirklich darum, die Lügen über Eva aus der Welt zu räumen. Wir wollen keine neuen Wahrheiten verkünden, sondern zeigen, es ist weder die Biologie noch Gott gewesen, der die Frauen zum zweiten Geschlecht verdammt hat, sondern das ist eine kulturelle Verirrung gewesen. Dass in 99 Prozent der Menschheitsgeschichte Gleichberechtigung kein Problem gewesen ist, dass auch starke Frauen das Erfolgsgeheimnis unserer Spezies gewesen sind, das ist eigentlich, wenn man es auf Wahrheit über Eva fokussieren wollte, unsere Wahrheit.

Eva, die Starke

Rabhansl: Wenn wir diese biblische Eva uns noch mal angucken, hatte ich bei Ihnen den Eindruck, man könnte sie sogar genau andersrum lesen, nämlich als das starke Geschlecht, weil sie sich überhaupt nicht von so kleinlichen Verboten irgendeiner höheren Autorität beeindrucken lässt.
Michel: Da haben Sie völlig recht, das ist ja eigentlich auch ein Kompliment, dass Eva dort als Protagonistin auftritt. Und das ist ja auch eigentlich sehr typisch für die längste Zeit der Menschheitsgeschichte. Eva gibt nichts da drauf, was ihr irgendwelche Autoritäten verordnen. Sie überlegt selbst, sie kommt dann zu ihrem eigenen Urteil, fragt auch nicht ihren Mann um Erlaubnis, sondern greift nach dieser Frucht und teilt sie dann. Insofern steht das eigentlich für die starke Position der Frauen, die sie die längste Zeit der Menschheitsgeschichte innegehabt haben.
Buchcover von "Die Wahrheit über Eva" von Carel van Schaik und Kai Michel
Buchcover von "Die Wahrheit über Eva" von Carel van Schaik und Kai Michel© Rowohlt / Deutschlandradio

Carel van Schaik/Kai Michel: "Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern"
Rowohlt, 2020
704 Seiten, 26 Euro

Rabhansl: Das Spannende an dem Buch ist jetzt ja wirklich dieses Interdisziplinäre, also der Historiker und der Affenforscher, dieses Verbinden von kulturwissenschaftlichem Blick und evolutionsbiologischem Blick. Deshalb schreiben Sie ja auch über zwei Evas: diese biblische, die wir gerade genannt haben, aber auch über die biologische Eva. Carel van Schaik, wen meinen Sie, wenn Sie von der biologischen Eva schreiben?
van Schaik: Niemand hat sie gesehen, und es hat sie wahrscheinlich auch nicht gegeben, es ist eine Rekonstruktion. Aber anstatt 6000 Jahre alt, wie es in der Bibel steht, ist die Menschheit irgendwo zwischen zwei Millionen und 300.000 Jahre alt, je nachdem, wo man sagt, jetzt fangen wir an, über Menschen zu reden. Wie Kai schon gesagt hat, bevor dieses Patriarchat entstanden ist vor ungefähr 5000 Jahren, gab es ein ganz anderes Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Es gab Teamwork, es gab Teilen, es gab einander Unterstützen und Helfen, auch bei der Kinderaufzucht und so weiter, also eine ganz andere Eva, als später rekonstruiert ist, eigentlich noch nicht so wie in Genesis, aber sicher, als wie man sie später gesehen hat.
Rabhansl: Wie war das Geschlechterverhältnis zur Zeit des Jagens und Sammelns, wie haben denn die Steinzeitfrauen die Männern in Schach gehalten?
van Schaik: Es stimmt, dass die Männer natürlich stärker waren, aber die Frauen hatten auch so ihre Waffen, und das Wichtigste war, sie waren ökonomisch mehr oder weniger gegenseitig abhängig. Die Frauen haben im Durchschnitt gesammelt, die Männer im Durchschnitt gejagt, aber auch vieles gemeinsam gemacht. Das bedeutet, der eine konnte nicht ohne die andere und umgekehrt. Da kommt noch dazu, die waren noch nicht angesiedelt, also beide Geschlechter konnten noch mit ihrer Familie in Kontakt bleiben, und das bedeutet auch, dass die Frauen nicht isoliert waren und von ihren Ehemännern und deren männlichen Verwandten, wie später, dominiert werden konnten.
Rabhansl: Es gibt da so ein paar Wegmarken in der Menschheitsgeschichte, die auch in anderen Büchern immer wieder so als zentrale Punkte für die Entstehung von Ungleichheit genannt werden, wie zum Beispiel das Sesshaftwerden, das Erfinden von Ackerbau und auch diese Erfindung von Privateigentum, die ja überhaupt erst durch beides möglich wird – ist auch bei Ihnen ganz zentral. Warum geht die Erfindung des Privateigentums ausgerechnet so zulasten der Frauen?
van Schaik: Wenn man sich ansiedelt und der Ackerbau wird produktiv – und das kommt erst viel später, wenn es auch zum Beispiel Metallwerkzeuge gibt und so weiter –, dann gibt es da große Begehrlichkeiten. Da gibt es gutes Land, da gibt es Vorräte, da gibt es gute Häuser wahrscheinlich, und die muss man verteidigen. Die Verteidigung geht durch Männerallianzen, und die Männer müssen sich gegenseitig total blind vertrauen können, das bedeutet, es entwickeln sich Clans von verwandten Männern. Das bedeutet erst mal als erster Schritt, dass die Frauen irgendwo anders herkommen müssen.
Als zweiter Schritt sehen wir dann, dass das Land auch Privateigentum wird und nicht mehr Kommunaleigentum, die Vorräte und die Häuser werden Privateigentum – da entsteht also Arm und Reich. Dann entsteht eine soziale Ungleichheit, das führt zu Polygamie, das führt zur Vererbung an Söhne, und da sind wir beim Patriarchat, dass die ganze Gesellschaft so organisiert wird, dass die reichen, mächtigen Herren und ihre Söhne alle Macht bekommen. Die Frauen kommen ja irgendwo woanders her, die werden gekauft, könnte man sagen, das bedeutet, dass sie sich in ein Gefüge einfügen müssen, das völlig männerdominiert ist. So ist die männliche Vorherrschaft entstanden, also mit Privateigentum und Vererbung.
Michel: Das Faszinierende daran ist auch, dass dieser Prozess damit einhergeht, dass die Frauen vereinzelt werden. Sie kommen in fremde Familien, sind dort erst mal isoliert, müssen arbeiten, müssen Kinder zur Welt bringen. Und was dort geschieht, ist, sie verlieren ihre alten Netzwerke, ihre alten Allianzen, und das schwächt sie natürlich. Das ist so eine der Sachen, die ganz wichtig sind auch in unserem Buch, dass wir zeigen, wie wichtig Frauenallianzen, Frauennetzwerke sind für die starke Position der Frauen.

Im Galopp durch zwei Millionen Jahre

Rabhansl: Sie galoppieren in Ihren 700 Seiten durch zwei Millionen Jahre, deswegen springen wir jetzt auch mal ganz gewaltig: Nämlich, wenn zu diesen Prozessen jetzt doch wieder die Religion, Stichwort Eva, dazukommt und insbesondere die christliche Religion und die katholische Kirche. Denn was die Frauen damals auch so unabhängig machte, war, so mein Eindruck, dass die Idee der lebenslangen monogamen Ehe noch nicht erfunden war. Herr Michel, warum stellt sich die als so ein Gefängnis für Frauen heraus?
Michel: Weil sie die Frau an einen einzigen Mann bindet, weil es auch die meiste Zeit einfach eine Alibimonogamie war. Das Ideal der ewigen absoluten Treue galt nur für die Frauen. Für die Männer war es sowieso – dann kommt dieser ganze griechische Einfluss hinzu – gang und gäbe, dass sie Geliebte hatten und dergleichen mehr. Das Besondere mit der Religion ist eben, dass das Patriarchat schon viel älter ist, aber durch die Religion und vor allem durch den Monotheismus erhält das Patriarchat den göttlichen Segen. Dann ist die Welt so eingerichtet, und sei es nur als Strafe für Evas Vergehen.
Das passiert im Christentum, weil dann diese religiöse Unterordnung der Frau, die Legitimation dafür, mit der griechischen Philosophie verschmilzt, die in das Christentum einfließt. Aristoteles und dergleichen haben ja gesagt, die Frau, das ist eigentlich ein Mängelwesen, ein minderwertiger Mann. Das kommt zusammen auch mit der frühen Naturwissenschaft, der Medizin. Und damit wird dann das, was wir so die patriarchale Matrix nennen, komplett. Dann schließt sich der Kreis, weil die Frauen endgültig den Männern untertan sind, und, wie es bei Paulus heißt: Der Mann ist einfach das Haupt der Frau.

Einladung zum Dialog

Rabhansl: Und so wirken dann auch die Kirche und die Religion da mit. Eine klare Erkenntnis in Ihrem Buch ist ja, dass die Ungleichheit weder naturbedingt noch wirklich göttlich gewollt ist, weder rein biologisch noch rein kulturell begründet. Das Spannende an Ihrem Buch ist wirklich, wie Sie die verschiedenen Disziplinen verbinden, und das machen Sie nicht zum ersten Mal. Sie haben schon einmal ein gemeinsames Buch geschrieben, über die Bibel als "Tagebuch der Menschheit". Wie arbeiten Sie da zusammen? Schreibt da der Biologe die Biologiethemen und der Kulturwissenschaftler die Kulturthemen oder bewusst andersrum? Ich hab am Tonfall nicht erkannt, wer was schreibt.
Michel: Nein, das Schreiben ist meine Sache, weil es ja auf Deutsch geschieht und Carel lange in den USA gelebt hat, von Hause aus Niederländer ist. Insofern ist es eigentlich – und das ist das Schöne – ein ständiger Dialog. Wir treffen uns und haben vorher das Thema verabredet, diskutieren das, bringen unsere Sichtweisen rein – auch beim Bibel-Buch fühlten wir uns die ganze Zeit wie auf Schatzsuche.
Wir waren einfach neugierig und haben diese ganzen Sachen diskutiert. Insofern habe ich dann eine erste Version geschrieben, die Carel kommentiert hat, dann haben wir wieder diskutiert, und so ging das immer weiter hin und her. Insofern ist dieses Buch ein ständiger Dialog, und das ist es auch, was uns eigentlich am Herzen liegt für die Leser: Wir wollen nur das Wissen, das wir zusammen ausgegraben haben, den Lesern zur Verfügung stellen und sie nicht mit unseren Wahrheiten vor den Kopf stoßen, sondern sie zu diesem Dialog einladen.

Die Biologen sehen überall Gene

Rabhansl: Waren Sie sich da immer gleich einig, jetzt insbesondere Herr van Schaik? Ich beobachte in der Gegenwart, wenn konservativ argumentiert wird, der Feminismus sei irgendwie zu weit gegangen, dann wird gerne mit Natur und Evolution argumentiert. Sie sind Evolutionsbiologe, aber waren Sie sich trotzdem auch gleich einig: Nein, evolutionär lässt sich die Ungleichheit nicht begründen?
van Schaik: Genau, das ist ein gegenseitiger Lernprozess. Die Biologen sind, könnte man sagen, durch ihre Ausbildung geneigt, überall Gene zu sehen und die Kultur einfach zu vernachlässigen. Ich hatte das Glück, als Primatenforscher ist man manchmal ein bisschen näher bei Menschen dran, und man muss auch bei Primaten mit Kultur rechnen und all diese Einflüsse miteinbeziehen. Ja, man hat die Neigung, aber dann kommt der Dialog. Und dann merkt man, wenn man sich gegenseitig vertraut und weiß, dass beide auf der Suche sind und nicht irgendwie eine Debatte gewinnen möchten, dann entsteht etwas ganz Spannendes, nämlich: Wir sehen, die Kultur alleine kann es nicht erklären, die Biologie alleine kann es nicht erklären, es ist nur die Interaktion zwischen den beiden. Das ist genau das Spannende an unserer Zusammenarbeit, dass wir beide versuchen, so gut wie möglich eine Erklärung herzustellen, und egal, wo wir landen, wir schauen einfach, wo die Fakten uns hinführen.
Rabhansl: Es ist auch schon deutlich geworden, was Sie vorhin gesagt haben, 99 Prozent der Menschheitsgeschichte sind ohne diese Ungleichheit ausgekommen. Am Ende frage ich mich, wenn das so eine junge Sache ist, so eine junge Erfindung, da müsste sie sich doch eigentlich auch wieder gut abschütteln und überwinden lassen. Warum tun wir uns als ach so aufgeklärte Menschen so schwer, auch nur die gleiche Geschlechtergerechtigkeit wie Steinzeitmenschen hinzubekommen?
Michel: Das war etwas, was mich bei der Arbeit auch am meisten verblüfft hat, weil man sonst eigentlich denkt, Kultur ist veränderbar – ganz klar, das ist sie –, aber wir haben auch festgestellt: Eigentlich ist die Kultur das, was uns Probleme bereitet. Sie ist viel hartnäckiger. Die Biologie öffnet ein riesiges Spektrum an Möglichkeiten, wir sind dort extrem flexibel. Aber wir sehen es ja auch im Alltag – wie man isst, was man essen darf, wie man sich verhalten soll, all diese Sache, die wir einmal gelernt haben.
Das ist ja das, was wir zweite Natur nennen, das ist uns so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass es uns extrem schwer fällt, das zu lösen. Aber wie Sie eben sagten, in 99 Prozent der Menschheitsgeschichte war Gleichberechtigung kein Problem, auch nicht für die Männer. Warum, also, soll es das heute sein? Wenn wir uns dieser Prozesse bewusst werden, was dort schiefgelaufen ist, fällt es natürlich viel einfacher, die heutige Kultur zu verändern.
Rabhansl: Der Blick in die Vergangenheit zeigt ja auch – Sie haben vorhin schon ein paar Faktoren genannt –, weibliche Allianzen sind ganz wichtig, ökonomische Selbstständigkeit und sexuelle Autonomie. Wären das Ratschläge für heute?
van Schaik: Absolut. Und wir werden ja häufig gefragt, wieso brauchen wir das Buch überhaupt noch? Denn es stimmt schon, dass in, sagen wir mal, Nordwesteuropa eigentlich die Reise fast zu Ende ist, wir fast die Gleichheit erreicht haben. Aber es gibt immer noch verborgene Elemente, zum Beispiel in der Medizin oder auch im Beruflichen, in der Entlohnung und so weiter – wir sind noch nicht ganz da. Dieses Wissen jetzt, dass es nicht biologisch ist und dass es nicht göttlich verordnet ist, das kann uns helfen, um wirklich die ganze Sache zu Ende zu denken und endgültig die echte Chancengleichheit und -gerechtigkeit zu erreichen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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