Sachbuch

Das Private beginnt im Garten Eden

Die Deckenmalerei "Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies" von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom.
Die Deckenmalerei "Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies" von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom. © picture-alliance / David Ebener
Von Carsten Hueck · 18.02.2014
Quer durch alle Epochen erkunden Wolfgang Schmale und Marie-Theres Tinnefeld den Wert des Privaten - juristisch, kultur- und sozialgeschichtlich. Vor dem Hintergrund des NSA-Skandals erscheint ihr Buch zur rechten Zeit.
Am Anfang war der Garten. Die beiden Autoren beginnen ihre Erkundung des Privaten weit vor unserer Zeit. Der Garten Eden dient ihnen als Ausgangspunkt. Von hier aus definieren sie Privatheit als besonderen Wert und kulturelles Erbe der Menschheit. Zum einen sei an diesem Ort die Scham das Bewusstsein einer Intimsphäre entstanden, die der Mensch - über Zeitalter und Kulturen hinweg - als schützenswert betrachtet habe. Zugleich gibt für den Historiker Schmale und die Juristin Tinnefeld der Garten das Paradigma für Privatheit an sich ab – als Raum individuellen Rückzugs von einer Öffentlichkeit, den der Selbstbegegnung oder des frei gewählten, kommunikativen Austauschs.
In sieben Kapitel unterteilt sind die knapp 200 Seiten dieser Aufklärung zu Bedeutung und Wert des Privaten gut lesbar - mit Ausnahmen einiger Stellen, an denen die Vertiefung eines bestimmten Aspektes durch allzu juristische Diktion leicht überfrachtet wird.
Die beiden Autoren stellen fest: Privatheit setzt informationelle Selbstbestimmung voraus. Diese gibt einem Ich Kontrolle über seine Identität. Das Individuum entscheidet bestenfalls selbst, was es über sich veröffentlichen möchte. "Dass nicht alle auf alle Informationen Zugriff haben, ist Voraussetzung dafür, noch Selbst sein zu können."
Informationelle Fremdbestimmung hingegen verletzt die Privatheit einer Person, insbesondere wenn sie ohne Kontext erfolgt. Durch bloße Zuweisung von Informationen wird eine Identität geschaffen, die nicht Selbstverständnis oder tatsächlicher Identität einer Person entspricht. Wer beispielsweise südosteuropäische EU-Bürger pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge identifiziert, negiert deren Individualität.
Datenschutz als "rechtskulturelle Leistung"
Den Stellenwert der Privatheit für den einzelnen untersuchen die Autoren quer durch die Epochen – juristisch, kultur- und sozialgeschichtlich. Sie beginnen im Rom der Antike, streifen das Mittelalter, und stellen eine wachsende Bedeutung der Privatheit in der frühen Neuzeit fest – just zu der Zeit, in der sich mit Büchern und Zeitungen Informationsmedien und -freiheit verbreiten, in der aber auch die Kontrolle des Bürgers durch den Staat zunimmt.
Personenbezogene Daten werden von seinen Organen produziert und gesammelt – eine Entwicklung, die heute, im digitalen Zeitalter und oftmals unter dem Vorwand der Verbrechensprävention, in einem umfassenden Maße stattfindet.
Daher unterstreichen die Autoren die Bedeutung des Datenschutzes. Er gilt ihnen als "rechtskulturelle Leistung". Sie erläutern seine juristische Ableitung aus den klassischen Individual-und Freiheitsrechten, die sie als unbedingt schützenswert für das Funktionieren einer Demokratie bewerten.
Der Konflikt zwischen selbst geschöpften und von anderen geschaffenen und gespeicherten Informationen über das Selbst ist mit den bekanntgewordenen Aktivitäten der NSA in beunruhigendem Ausmaß augenscheinlich geworden. Insofern erscheint dieses Buch zur rechten Zeit. Es klärt über Zusammenhänge zwischen Grund- und Menschenrechten, Freiheit und Überwachung auf. Es schärft Rechts- und Selbstbewusstsein des Bürgers - und ruft vor allem die Zivilgesellschaft dazu auf, Privatheit im digitalen Zeitalter zu schützen.

Wolfgang Schmale, Marie-Theres Tinnefeld: "Privatheit im digitalen Zeitalter"
Böhlau Verlag, Wien Köln Weimar 2014
207 Seiten, 19,90 Euro

Mehr zum Thema