Russlands nationaler Reichtum
Der Name Gazprom wird häufig mit Korruption und Geldwäsche in Verbindung gebracht. Doch kaum ein anderes Unternehmen hat weltweit so viel Macht und Einfluss. Der Journalist Jürgen Roth deckt in seinem Buch die Verbindungen des Gazprom-Netzwerks auf.
Die Kamera gleitet über computeranimierte Bohrinseln in stürmischer See. Männer in Schutzkleidung inspizieren Gaspipelines. Spezialisten überwachen an großen Kontrolltafeln die Gasversorgung Russlands und Europas. So präsentiert sich Gazprom im Hochglanzwerbefilm.
"Gazprom – nazionalnoje dostojanije"
"Gazprom – Russlands nationaler Reichtum", heißt das. Und tatsächlich beeindrucken die Unternehmenszahlen: Mit 400.000 Mitarbeitern ist Gazprom Herr über 155.000 Pipelinekilometer, etwa ein Viertel der weltweiten Gasreserven und über das Exportmonopol auf russisches Gas.
Und dennoch ist der staatliche Gasriese mit engsten Verbindungen zum Kreml weniger "nationaler Reichtum" des russischen Volkes als Selbstbedienungsladen der russischen Elite. Die bereichere sich vor allem am lukrativen Gasexport nach Europa, argumentiert der Autor Jürgen Roth. Der korrupte Gazprom-Konzern sei wichtigste Stütze des ebenso korrupten Systems Putin:
Jürgen Roth:"Gazprom und Putin – das ist so etwas wie ein goldenes Dreieck. Die Ebene, sozusagen das Fundament, sind die mafiösen Machtstrukturen in den Neunzigerjahren in Sankt Petersburg. Die beiden Seitenwinkel sind Wladimir Putin und seine Amigos auf der einen und Gazprom samt seinen Managern auf der anderen Seite. Ein goldenes Dreieck ist es deshalb, weil alle Beteiligten dieser Konstellation bisher in hohem Maße von diesem goldenen Dreieck profitierten."
Roths These ist nicht neu. Doch selten hat ein Journalist so detailversessen das unheimliche Imperium Gazprom analysiert. Korruption und Veruntreuung haben bei Gazprom gewaltige Dimensionen erreicht - auch weil der Kreml dem Staatskonzern Russlands gewaltige Energieressourcen und gleichzeitig seiner Machtclique Zugang zu Schlüsselpositionen in dem Gasimperium zuschanzen kann. Dadurch ist seit dem Ende der Sowjetunion ein undurchsichtiges Geflecht aus Tochterunternehmen, Scheinfirmen und Zwischenhändlern entstanden – auch zum Schaden der Gaskunden in Europa, so Roth.
Roth:"Unbestritten dürfte sein, dass in den letzten Jahren Hunderte von Millionen Euro in mehr oder weniger dunklen Kanälen versickert sind. Und genauso sicher ist, dass die Bürger in Europa kaum Aussichten haben, billiger Gas geliefert zu bekommen – im Gegenteil. Sie müssen mit immer höheren Energiepreisen rechnen."
Hier greift Roth zu kurz: Tatsächlich gerät Gazprom derzeit in Europa wegen des wachsenden Markts für verflüssigtes Erdgas massiv unter Druck. Erst im Juli hat der deutsche Energiekonzern E.ON mit Gazprom einen Milliardenrabatt ausgehandelt.
Dennoch: Auch Gazproms Geschäft in Europa ist durch und durch korrupt, wie Jürgen Roth anhand unzähliger Beispiele zeigt. Seine Recherchen führen ihn zur russischen Mafia, in diverse Steuerparadiese und immer wieder zu den Karrierestationen von Russlands Präsident Wladimir Putin. Auffallend ist, wie viele ehemalige Stasi-Offiziere heute Schlüsselpositionen in Gazproms Europageschäft besetzen.
Die meisten lernte Putin in seiner Zeit als KGB-Offizier in Dresden kennen. Ohnehin sind viele, die heute mit Gazprom dick im Geschäft sind, langjährige Freunde des Kreml-Chefs. Prominentes Beispiel: Gerhard Schröder. Dass der Altkanzler inzwischen im Aufsichtsrat der Ostseepipeline Nord Stream viel Geld bekommt, ist ein zentraler Kritikpunkt Roths.
Gerhard Schröder: "Diese Gas-Pipeline wird Europas Energieversorgung deutlich sicherer machen. Soviel ist klar. Und man kann das nicht genug sagen. Und diese Gas-Pipeline leistet einen zentralen Beitrag, damit Europa einen direkten Zugang zu den gewaltigen russischen Energie-Ressourcen, etwa denen in Sibirien, erhält."
Schröder hatte als Bundeskanzler das Gazprom-Projekt maßgeblich unterstützt. Was er später als Gazprom-Lobbyist als Energiesicherheit pries, ist für Roth eine gefährliche Abhängigkeit von einem zwielichtigen Konzern.
Roth: "Abhängig zu sein bedeutet, erpressbar zu sein, und es heißt auch, dass die Preise für den Verbraucher ohne jeglichen Widerstand erhöht werden können, wann immer es geboten erscheint – auch um politischen Druck auszuüben."
Die Ukraine, Bulgarien, Griechenland – immer wieder zeigt Roth, wie Gazprom dank seiner Marktmacht und enger Kontakte zum russischen Geheimdienst FSB politisch Einfluss nimmt. Immer tiefer taucht er auf den knapp 300 Seiten in das System Gazprom ein. Doch oft verliert sich der Autor in den Details von Tochterfirmen und Querbeteiligungen.
Streckenweise mutet das Buch deshalb fast wie eine Recherchesammlung an. Selbst der russlandkundige Leser kann in dem Gewirr von Namen kaum den Überblick behalten. Hier fehlt ein strenges Lektorat, das vom Autor eine stärkere Thesenbildung und mehr Orientierung für den Leser eingefordert hätte.
Zudem unterlaufen dem Autor faktische Fehler. So macht Roth den späteren russischen Präsidenten Medwedew zum Vorstandschef von Gazprom, obwohl dieser Aufsichtsratschef war. Das kratzt an der Autorität des Autors ebenso wie die Tatsache, dass russische Namen oft falsch und uneinheitlich transkribiert sind.
Insgesamt beeindrucken bei der Lektüre das gewaltige Ausmaß von Korruption bei Gazprom und die Tatsache, wie weit das Netzwerk des Konzerns auch in Europa reicht. Vieles, was Roth schreibt, stand bereits in westlichen Medien. Alle Informationen zusammengetragen zu haben, ist trotz aller Schwächen das Verdienst von Roths "Unheimlichem Imperium".
Rezensiert von Erik Albrecht
Jürgen Roth: Gazprom - Das unheimliche Imperium
Westend Verlag
288 Seiten, 19,99 Euro
"Gazprom – nazionalnoje dostojanije"
"Gazprom – Russlands nationaler Reichtum", heißt das. Und tatsächlich beeindrucken die Unternehmenszahlen: Mit 400.000 Mitarbeitern ist Gazprom Herr über 155.000 Pipelinekilometer, etwa ein Viertel der weltweiten Gasreserven und über das Exportmonopol auf russisches Gas.
Und dennoch ist der staatliche Gasriese mit engsten Verbindungen zum Kreml weniger "nationaler Reichtum" des russischen Volkes als Selbstbedienungsladen der russischen Elite. Die bereichere sich vor allem am lukrativen Gasexport nach Europa, argumentiert der Autor Jürgen Roth. Der korrupte Gazprom-Konzern sei wichtigste Stütze des ebenso korrupten Systems Putin:
Jürgen Roth:"Gazprom und Putin – das ist so etwas wie ein goldenes Dreieck. Die Ebene, sozusagen das Fundament, sind die mafiösen Machtstrukturen in den Neunzigerjahren in Sankt Petersburg. Die beiden Seitenwinkel sind Wladimir Putin und seine Amigos auf der einen und Gazprom samt seinen Managern auf der anderen Seite. Ein goldenes Dreieck ist es deshalb, weil alle Beteiligten dieser Konstellation bisher in hohem Maße von diesem goldenen Dreieck profitierten."
Roths These ist nicht neu. Doch selten hat ein Journalist so detailversessen das unheimliche Imperium Gazprom analysiert. Korruption und Veruntreuung haben bei Gazprom gewaltige Dimensionen erreicht - auch weil der Kreml dem Staatskonzern Russlands gewaltige Energieressourcen und gleichzeitig seiner Machtclique Zugang zu Schlüsselpositionen in dem Gasimperium zuschanzen kann. Dadurch ist seit dem Ende der Sowjetunion ein undurchsichtiges Geflecht aus Tochterunternehmen, Scheinfirmen und Zwischenhändlern entstanden – auch zum Schaden der Gaskunden in Europa, so Roth.
Roth:"Unbestritten dürfte sein, dass in den letzten Jahren Hunderte von Millionen Euro in mehr oder weniger dunklen Kanälen versickert sind. Und genauso sicher ist, dass die Bürger in Europa kaum Aussichten haben, billiger Gas geliefert zu bekommen – im Gegenteil. Sie müssen mit immer höheren Energiepreisen rechnen."
Hier greift Roth zu kurz: Tatsächlich gerät Gazprom derzeit in Europa wegen des wachsenden Markts für verflüssigtes Erdgas massiv unter Druck. Erst im Juli hat der deutsche Energiekonzern E.ON mit Gazprom einen Milliardenrabatt ausgehandelt.
Dennoch: Auch Gazproms Geschäft in Europa ist durch und durch korrupt, wie Jürgen Roth anhand unzähliger Beispiele zeigt. Seine Recherchen führen ihn zur russischen Mafia, in diverse Steuerparadiese und immer wieder zu den Karrierestationen von Russlands Präsident Wladimir Putin. Auffallend ist, wie viele ehemalige Stasi-Offiziere heute Schlüsselpositionen in Gazproms Europageschäft besetzen.
Die meisten lernte Putin in seiner Zeit als KGB-Offizier in Dresden kennen. Ohnehin sind viele, die heute mit Gazprom dick im Geschäft sind, langjährige Freunde des Kreml-Chefs. Prominentes Beispiel: Gerhard Schröder. Dass der Altkanzler inzwischen im Aufsichtsrat der Ostseepipeline Nord Stream viel Geld bekommt, ist ein zentraler Kritikpunkt Roths.
Gerhard Schröder: "Diese Gas-Pipeline wird Europas Energieversorgung deutlich sicherer machen. Soviel ist klar. Und man kann das nicht genug sagen. Und diese Gas-Pipeline leistet einen zentralen Beitrag, damit Europa einen direkten Zugang zu den gewaltigen russischen Energie-Ressourcen, etwa denen in Sibirien, erhält."
Schröder hatte als Bundeskanzler das Gazprom-Projekt maßgeblich unterstützt. Was er später als Gazprom-Lobbyist als Energiesicherheit pries, ist für Roth eine gefährliche Abhängigkeit von einem zwielichtigen Konzern.
Roth: "Abhängig zu sein bedeutet, erpressbar zu sein, und es heißt auch, dass die Preise für den Verbraucher ohne jeglichen Widerstand erhöht werden können, wann immer es geboten erscheint – auch um politischen Druck auszuüben."
Die Ukraine, Bulgarien, Griechenland – immer wieder zeigt Roth, wie Gazprom dank seiner Marktmacht und enger Kontakte zum russischen Geheimdienst FSB politisch Einfluss nimmt. Immer tiefer taucht er auf den knapp 300 Seiten in das System Gazprom ein. Doch oft verliert sich der Autor in den Details von Tochterfirmen und Querbeteiligungen.
Streckenweise mutet das Buch deshalb fast wie eine Recherchesammlung an. Selbst der russlandkundige Leser kann in dem Gewirr von Namen kaum den Überblick behalten. Hier fehlt ein strenges Lektorat, das vom Autor eine stärkere Thesenbildung und mehr Orientierung für den Leser eingefordert hätte.
Zudem unterlaufen dem Autor faktische Fehler. So macht Roth den späteren russischen Präsidenten Medwedew zum Vorstandschef von Gazprom, obwohl dieser Aufsichtsratschef war. Das kratzt an der Autorität des Autors ebenso wie die Tatsache, dass russische Namen oft falsch und uneinheitlich transkribiert sind.
Insgesamt beeindrucken bei der Lektüre das gewaltige Ausmaß von Korruption bei Gazprom und die Tatsache, wie weit das Netzwerk des Konzerns auch in Europa reicht. Vieles, was Roth schreibt, stand bereits in westlichen Medien. Alle Informationen zusammengetragen zu haben, ist trotz aller Schwächen das Verdienst von Roths "Unheimlichem Imperium".
Rezensiert von Erik Albrecht
Jürgen Roth: Gazprom - Das unheimliche Imperium
Westend Verlag
288 Seiten, 19,99 Euro