Russische Drohungen

"Ich konnte an nichts anderes mehr denken"

08:50 Minuten
Schatten einer Frau über einem Mann, der das Internet benutzt
Wer sich pro-ukrainisch äußert, läuft Gefahr, bedroht zu werden. © imago images / Ikon Images / Darren Hopes via www.imago-images.de
Von Joseph Röhmel · 17.10.2022
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Viele pro-ukrainische Aktivistinnen und Aktivisten berichten, dass sie bedroht werden, wenn sie sich im Netz gegen den russischen Angriffskrieg positionieren. Auch hierzulande erhalten sie Hassnachrichten und -Anrufe. Wir haben ein Opfer besucht.
Eine Wohnung irgendwo in Bayern. Kim ist Mitte 30, der Blick ernst. Mehrere Wochen lang wurde sie immer wieder angerufen und bedroht. Das nagt an ihr:
"Ich habe mich pressemäßig für ein ukrainisches Medium engagiert. Dieses Medium ist vertreten im Fernsehen und in verschiedenen sozialen Netzwerken. Meine Aufgabe war es, eines dieser sozialen Netzwerke zu verwalten – eines, das auf Deutsch funktioniert. Und vor Kurzem habe ich Anrufe von unbekannten Nummern bekommen. Es waren Nummern aus den USA, aus Georgien."
Kim heißt nicht wirklich so. Denn sie hat Angst vor weiteren Konsequenzen. Kim spricht Deutsch und Russisch, sie lebt in Bayern. Von hier aus arbeitet sie für das ukrainische Medium. Sie ist keine Journalistin, sondern macht das nebenberuflich.
Im Sommer 2022 erhält Kim die erste Drohung. Sie geht davon aus, dass die Anrufe mit ihrem Engagement für die Ukraine zusammenhängen, die Leute, die sie am Telefon bedrohten, hätten allesamt Russisch gesprochen. Am heftigsten sei gewesen, dass die Anrufer einen Account einer Freundin gehackt hätten – bei einem sozialen Netzwerk, über das auch Anrufe möglich sind. Als das Telefon klingelte, dachte Kim, es sei die Freundin. Aber: "Dann war dieser Typ da, der Russisch mit Bedrohungen und Schimpfwörtern geredet hat."

"Du wirst erledigt sein – sehr bald"

Dann erhielt Kim auf Russisch über den offensichtlich gehackten Account eine Nachricht. Kim liest sie von ihrem Smartphone ab: "Du wirst erledigt sein – sehr bald. Warte nur. Aus Spaß macht man das nicht."
Sie vermutet, es handelt sich um russische Trolle. Leute, die von der Regierung bezahlt werden und so etwas professionell machen. Wer steckt hinter den Attacken? Sind hier russische staatliche Stellen im Spiel? Ein Geheimdienst? Wir sprechen mit Gerhard Schindler über den Fall. Schindler war von 2011 bis 2016 Chef des Bundesnachrichtendienstes:
"Irgendeine antirussische oder pro-ukrainische Äußerung in Deutschland, die dann dazu führt, dass der Account gehackt wird, dass man in den sozialen Medien plattgemacht wird, das klingt eher nicht nach einer strategischen Vorgehensweise eines russischen Dienstes. Das sind dann sicherlich irgendwelche Hilfstruppen, die proaktiv für den Staat dort arbeiten. Das ist in autokratischen Staaten wie in Russland gar kein Problem, dass man sich quasi halbkrimineller Strukturen bedient, die das dann für einen abarbeiten."
Wer auch immer hinter den Attacken gegen Kim steckt: Der Aggressor lässt sich nur schwer finden. Laut Bayerischem Verfassungsschutz gibt es aktuell keine konkreten Hinweise darauf, dass pro-ukrainische Personen von einem russischen Nachrichtendienst im Cyber-Raum attackiert wurden. Allerdings attackierten sich Sympathisanten der Kriegsparteien gegenseitig im Netz, berichtet Verfassungsschutz-Sprecher Florian Volm:
"Der militärische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wird auch von unterschiedlichsten Operationen im Cyberraum begleitet. Und dabei stellen wir fest, dass es vor allem eine Solidarisierung nicht-staatlich gesteuerter Cyber-Gruppierungen gibt, die dann jeweils im Sinne einer der beiden Kriegsparteien auch Hacker-Angriffe durchführen."

Zweistellige Zahl an Anzeigen in Bayern

Das Bayerische Landeskriminalamt hat auch Attacken gegen pro-ukrainische Aktivisten und ukrainische Staatsbürger registriert. Mehrfach gab es Anzeigen. Das LKA spricht von einer zweistelligen Zahl seit Kriegsbeginn. Bedroht wurden Personen häufig im Cyber-Raum per Mail oder durch Messenger-Kommunikation in sozialen Netzwerken, aber auch durch Telefonanrufe. 
Wie es deutschlandweit aussieht, dazu kann das Bundesinnenministerium nichts sagen. Man führe speziell zu diesen Cyber-Attacken keine Statistik.
Kim sagt uns, sie habe auch von anderen Fällen gehört. Zum Beispiel eine ukrainisch-stämmige Person aus Bayern, mit der Deutschlandfunk Kultur sprechen konnte. Das Facebook-Profil schmückt sie mit der Flagge ihres Heimatlandes. Immer wieder wettert sie gegen den Angreifer Russland. Die Person berichtet, dass sie kurz nach Beginn der Ukraine-Invasion mit Hasskommentaren attackiert wurde. Zudem sei wenig später versucht worden, ihren Facebook-Account zu hacken. Sie hat Angst, dass sich diese Sache weiter hochschaukelt. Deshalb will sie sich nicht vor dem Mikrofon äußern.

Mehr Angriffe offline als online

Offenbar macht sich der Ukraine-Krieg in Deutschland vor allem im nicht-virtuellen Raum bemerkbar. Deutlich wird das an den Berichten der Bundesländer an das Bundeskriminalamt. Dort ist von der Beschädigung ukrainischer Flaggen und Fahrzeugen die Rede. Im Visier der Aggressoren sind auch pro-ukrainische Demos. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es: 
„Aktuell zählen wir seit Beginn des Krieges insgesamt rund 3.340 politisch motivierte Straftaten im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg. Dabei wird auch die Motivation erfasst: Über 2.000 dieser Delikte sind pro-russisch bzw. anti-ukrainisch motiviert. Es handelt sich dabei aber nicht nur um körperliche Angriffe auf Personen, sondern auch um Angriffe gegen Sachen. Die Mehrzahl dieser Straftaten verzeichneten wir in den ersten Kriegsmonaten. Seitdem sind die Zahlen insgesamt rückläufig.“
Doch was ist der Grund für den Rückgang? Das Bundesinnenministerium hat beobachtet, dass es weniger Veranstaltungen und Versammlungen gibt, die den Ukraine-Krieg thematisieren. So vermutet das Ministerium, dass deshalb auch Straftaten abgenommen haben. Doch die Ängste der ukrainischen Aktivisten bleiben. Kann der Staat diese Attacken auf der Straße und im Cyber-Raum besser unterbinden?
Kim sagt, dass sie die Ereignisse verfolgen. "Irgendwie wusste ich, dass ich kein großer Aktivist bin. Eine Seite sind rationale Argumente. Und die andere Seite ist, wie sich das psychisch anfühlt. Eine Zeit lang konnte ich an nichts anderes denken."

Was tun, wenn man bedroht wird?

Das Bayerische Landeskriminalamt empfiehlt, dass man bei einer akuten Bedrohung die Notrufnummer 110 wählen soll.
Bei Cyber-Angriffen rät das LKA Privatpersonen, Straftaten anzuzeigen und Daten zu sichern, beispielsweise Mails, Chat-Verläufe, digitale Fotos oder Videos. Das sei mittels eines Screenshots möglich, so das LKA.
Kim selbst hat die Fälle bisher nicht angezeigt, überlegt sich aber, ob sie jetzt aktiv wird. Vorerst hat sie dafür gesorgt, dass sie im Internet nicht mehr so gut sichtbar ist:
"Ich nehme an, ich habe fahrlässig im Sinne von Privatsphäre gehandelt. Das heißt, sie konnten meine Nummer sehen. Und nachdem ich diese Anrufe bekommen habe, habe ich an der Privatsphäre gedreht und meine Nummer verdeckt."
Seit ein paar Wochen hat Kim keine Drohungen mehr erhalten. Sie hofft, dass es so bleibt.
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