Russland brennt, Putin lenkt

Von Isabella Kolar, Deutschlandradio Kultur · 14.08.2010
Film ab: Nachdem Russlands Premier Wladimir Putin in den vergangenen Jahren schon an Bord eines Jagdflugzeuges gesichtet wurde, als Kampfsportler, Rocker und Tiger-Bändiger zu beeindrucken wusste, mit nackter muskulöser Brust hoch zu Roß aus dem Urlaub grüßte sowie mit einem U-Boot durch die Tiefen des Baikalsees tauchte, kann es jetzt wirklich niemanden mehr überraschen, ihn höchstpersönlich als Feuerbekämpfer, obersten Brandmeister und Co-Piloten an Bord eines Löschflugzeugs zielgenau den Abwurf von Wasserladungen steuern zu sehen.
Nebenbei bereist er sämtliche Brandorte, verteilt Millionen Rubel als Entschädigung und für den Wiederaufbau, erklärt den Provinzbeamten, sie müssten auch am Wochenende arbeiten, da das Feuer keine Pause mache. Und auch er macht sicher keine an diesem Wochenende: Von zu Hause aus überwacht er rund um die Uhr per extra installierter Videokamera den Wiederaufbau im Land, Big Putin is watching you, das beruhigt ungeheuer. Aber wir Deutschen mit unserem Gummistiefel-Hochwasser-Schröder und unserem Deichgraf-Jahrhunderflut-Platzeck können da ja mit Kritik und Häme mal ganz still sein, Wahlen gewinnen wollen eben auch andere.

Im nächsten Jahr sind Parlamentswahlen in Russland, im übernächsten Jahr die Präsidentschaftswahl – und Präsident Medwedjew und sein Premier und Konkurrent Putin haben noch nie so niedrige Zustimmungswerte in Umfragen gehabt wie im Moment, heißer Aktionismus hin oder her. Denn Profilierungs- und Wahlkampfschlachten sind nicht das, was die leidgeprüften Menschen in Russland, die ihr Hab und Gut und teilweise fast ihr Leben verloren haben, wirklich interessiert, ja interessieren soll.

Wie auch: Russland ächzt wochenlang unter einer 40-Grad-Rekord-Hitze, dichtem Smog, hohen Kohlenmonoxidkonzentrationen weit jenseits der Grenzwerte, es lodern Wälder und Torfwiesen kreuz und quer durchs Land, verstrahlte Gebiete geraten in Brand, gewaltige Ernteverluste drohen, die Flammen werden teilweise stümperhaft bekämpft, es fehlt professionelles Personal und die repressive Informationspolitik sowie das katastrophale Krisenmanagement tragen sowjetische Züge. Und Putin schaut Video – okay.

Es war der damalige Präsident Putin, unter dem 2007 ein Forstgesetz verabschiedet wurde, das die Forstwirtschaft kommerzialisiert und die Bekämpfung der Brände den Regionen zuschiebt, die aber meist gar nicht die Mittel dafür haben. Die Forsthüter und damit der effektive Brandschutz wurden praktisch abgeschafft, denn niemand kontrollierte mehr die großen Waldflächen. Auch das Feuerwehrwesen wurde kaputtgespart. Es fehlt an Personal und Material. Die Gelder und die Zahl der Mitarbeiter der föderalen Forstaufsichtsbehörde wurden vor kurzem zusammengestrichen.

Zudem schlägt Putins Machtvertikale, das Prinzip "Moskau entscheidet" zurück: Das fehlende Verantwortungsgefühl der russischen Gouverneure für ihren Einflussbereich erklären viele damit, dass Putin als Präsident die Volkswahl der Gouverneure abgeschafft hat, um diese selbst zu bestimmen.

Doch hinter der Katastrophe, wie sie Russland derzeit heimsucht, steckt noch mehr: Umweltbewusstsein ist hier immer noch eine vernachlässigte Größe im Alltag, Kyoto hin oder her. Umweltengagement ist das Hobby einer belächelten Minderheit. Solche Waldbrände wie die derzeitigen in Russland werden vorwiegend von Menschen verursacht. Die sogenannte Übernutzung der Landschaft durch Abholzung lässt trockene Steppenlandschaften ohne Bäume entstehen. Die Zahl an Großkahlschlägen im Land hat dramatisch zugenommen, seit einigen Jahren wird die Forstnutzung vermehrt an Privatleute vergeben und der Wald als Ausbeutungsressource gesehen.

Zahllose Sümpfe, Tümpel und Torfgebiete wurden trockengelegt für den Bau von Landhäusern, denn es winkten große Immobiliengewinne. Der Grundwasserspiegel geriet aus dem Gleichgewicht. Das ist nicht nur ein russisches Phänomen, aber das macht es nicht besser.

Die Waldbrände in Russland sind nicht der übliche Sommerlochkatastrophenschlager, es handelt sich um eine in diesem Land nie gekannte Ausnahmesituation. Und wenn irgendwann und hoffentlich bald die letzten Feuer gelöscht sind und der Rauch sich gelegt hat, wird mit dem Wiederaufbau auch die Ursachenanalyse beginnen. Dann werden sich die Menschen jenseits vom Katastrophenaktionismus ihrer Führungsfiguren fragen, wie es soweit kommen konnte.

Und Joseph Beuys würde wieder neue Bäume pflanzen, so wie 1982 die 7000 Eichen für die Documenta in Kassel. Film ab für unsere russischen Actionhelden: Putin und Medwedjew graben und pflanzen gemeinsam. Endlich mal ein Video, das sich lohnen würde anzuschauen.
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