"Selbstinszenierung als starker Mann"

Stefan Meister im Gespräch mit Jürgen König · 13.08.2010
Russlands Premier Wladimir Putin inszeniert sich angesichts der verheerenden Waldbrände als tatkräftiger Krisenmanager. Doch die Bevölkerung fühlt sich vom Staat zunehmend allein gelassen, sagt der Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik.
Jürgen König: Seit zwei Monaten nun herrscht in Russland extreme Hitze, die Ernteausfälle sind groß, ein Viertel der Getreideernte sei vernichtet worden, teilte Präsident Medwedew mit. Die Exporte wurden gestoppt, was schon jetzt weltweit die Getreidepreise steigen lässt. Gleichzeitig leidet Russland unter den schwersten Waldbränden seiner Geschichte, wie es heißt, gestern teilte das nationale Krisenzentrum mit, die Lage habe sich leicht entspannt, die Zahl der Feuer, auch die Größe der brennenden Flächen würden sich allmählich verringern, dennoch stünden immer noch rund 80.000 Hektar Wald- und Torfgebiete in Flammen. 560 Brandherde gebe es, 60 Großfeuer.

In den nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 radioaktiv verseuchten Gebieten seien keine erhöhten Strahlenwerte gemessen worden, sagte der Leiter des nationalen Krisenzentrums Wladimir Stepanow. Was von solchen Entwarnungen, was überhaupt von Putins Medien- und Öffentlichkeitsarbeit zu halten ist, das soll jetzt Thema sein im Gespräch mit Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik. Herr Meister, schön, dass Sie gekommen sind!

Stefan Meister: Hallo, guten Morgen!

König: Während das nationale Krisenzentrum gestern von keinen erhöhten Strahlenwerten sprach, räumte die russische Waldschutzbehörde ein, dass es seit Juli auf rund 3900 Hektar verstrahltem Land gebrannt habe, und rief die staatlichen Stellen in den betroffenen Gebieten auf, Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen. Nun müssen sich ja, Herr Meister, diese Aussagen nicht widersprechen, dennoch hat man als Laie nicht den Eindruck, wirklich zu wissen, was da zum Beispiel in diesen sogenannten toten Wäldern von Brjansk passiert. Wie sehen Sie diese Gemengelage?

Meister: Die sehe ich schon auch problematisch, also mir scheint doch hier das übliche Problem in Russland zu sein, dass die Behörden eher Informationen zurückhalten, dass sie eher auch Probleme, die da sind, runterspielen und dass die Bevölkerung eben nicht informiert ist. Also es geht eben nicht darum, die Bevölkerung zu informieren, sondern es geht darum, die Behörden zu schützen. Und in der Hinsicht muss man schon alle Aussagen, die von öffentlichen Behörden kommen, mit Vorsicht genießen und auch immer wieder überprüfen.

Also ich sehe auch zum Teil widersprüchliche Aussagen von Angehörigen dieser Behörden, und mir scheint es auch umso wichtiger zu sein, dass eben auch Nichtregierungsorganisationen – wir haben bestimmte Informationen zum Beispiel nur von Greenpeace erhalten, und auf den Druck sozusagen von diesen Organisationen haben dann die Behörden erst reagiert. Also da sieht man, wie wichtig diese Gegenöffentlichkeit ist, wie wichtig Nichtregierungsorganisationen sind, um auch russische Behörden dazu zu zwingen, die Wahrheit zu sagen oder zu sagen, was sie wissen, sagen wir es vielleicht zumindest mal so.

König: Greenpeace hat vor schweren Atomunfällen gewarnt, die Waldbrände in Russland könnten zu gefährlichen Stromausfällen bei Atomkraftwerken führen, Hochspannungsleitungen könnten zerstört und Notstromgeneratoren könnten durch Rauch und Hitze unbrauchbar gemacht werden, wodurch dann die Reaktoren der Werke nicht mehr wie notwendig gekühlt werden. Kommen solche – das sind ja sehr konkrete Warnungen – kommt das bei einem interessierten russischen Bürger an? Via Regierung, via Medien in Russland?

Meister: Das, würde ich sagen, nein. Also erst mal reagiert die Bevölkerung sehr skeptisch auf Nichtregierungsorganisationen, und auch wenn es gerade noch internationale Organisationen sind, reagiert man doch sehr skeptisch, falls diese Informationen überhaupt durchdringen zur Bevölkerung. Weil die Mehrheit der Bevölkerung informiert sich über das Fernsehen, und im Fernsehen sieht man vor allem Putin und Medwedew, wie sie Feuer löschen, wie sie Personen entlassen, Anweisungen geben, aber man – und eben auch, wie Behörden entwarnen oder bestimmte Informationen geben. Aber diese Informationen erhält man eher über das Internet, die erhält man eher auch über bestimmte Zeitungen, andere Medien, und die werden nun wieder vom geringeren Teil der Bevölkerung gelesen.

König: Bleiben wir erst mal noch mal beim Fernsehen. Wenn ich nun jeden Abend als russischer Bürger Ministerpräsident Putin zum Beispiel mit diesen aufgekrempelten Ärmeln die Brände löschen sehe sozusagen oder vom Hubschrauber aus ihn inspizieren sehe, wird das geglaubt oder gibt man sich damit zufrieden?

Meister: Also es scheint zu funktionieren. Die Kritik und auch, was die innerrussische Debatte betrifft, geht im Moment noch an Medwedew und auch an Putin insbesondere vorbei, also diese Selbstinszenierung als starker Mann, als derjenige, der das am Ende in den Griff bekommt und von dem alles abhängt sozusagen, funktioniert noch bis zum gewissen Grade. Aber umso länger diese Brände natürlich dauern, umso stärker entwickelt sich eben diese Diskussion: Ja, wer ist denn hier verantwortlich und wie ist das sozusagen auch mit der Machtvertikale?

Die Beweisungsbefugnis geht eben bis zum Premierminister und geht bis zum Präsidenten. Also sagen wir so: Die Bevölkerung ist, glaube ich, dann am Ende doch skeptisch, glaubt das bis zu einem gewissen Grade, sieht eben wenn dann noch in Putin und vielleicht noch in Medwedew eine Person, die das irgendwie in den Griff bekommen kann, aber die Skepsis natürlich gegenüber öffentlichen Behörden und letztlich dann aber auch der Führung, die ist da.

König: Und diese Skepsis in staatliche Institutionen war ja eigentlich immer schon da – irgendwie habe ich immer den Eindruck, konstituierend für das russische Selbstgefühl sozusagen – und wird durch diesen Umgang mit der Waldbrandkatastrophe nur noch gestärkt.

Meister: Die Bevölkerung fühlt sich sozusagen bestätigt in dem, was sie schon immer gewusst hat, dass der öffentliche Raum, dass der Staat letztlich hier wieder versagt, sie weder richtig informiert noch richtig schützen kann. Und das zeigt eben auch diese Lücke, die es gibt zwischen Staat und Bevölkerung, also die Bevölkerung erwartet nichts vom Staat, sie organisiert sich selbst, sie kann sich nur leider bei diesen Bränden nicht wirklich selbst organisieren.

Also da fühlt man sich letztlich bestätigt, dass der Staat versagt. Und wenn, dann sind es eben einzelne Personen, denen man vielleicht noch traut und denen man vielleicht noch zutraut, dass sie das in den Griff bekommen. Aber Sie sehen ja auch wieder ein sehr Typisches für Russland: Personen sind entscheidend, nicht Institutionen. Und auf Institutionen kann man sich nicht verlassen, und man verlässt sich dann eher wiederum auf einzelne Personen.

König: Wird hier auch zum Problem, dass wir es mit einer – sagen wir ruhig – überzentralisierten Staatsmacht zu tun haben, die sich gegenübersieht ja doch einer mehr zersplitterten Gesellschaft, als es früher zu Sowjetzeiten der Fall war, zum Beispiel hier einer doch deutlich größer gewordenen Zahl von privaten Waldbesitzern, die einfach nicht wissen, wie sie mit diesen Bränden umgehen können oder sollen und auch von staatlicher Seite aus nicht wirklich Hilfe bekommen?

Meister: Also ich denke, das Problem dieser Zentralisierung von Macht und auch von Entscheidungsbefugnissen hat mehrere Ursachen oder hat mehrere Folgen, sagen wir es vielleicht mal so. Das hat was damit zu tun, also auch diese späte Reaktion der Behörden, dass man eben die Brände nicht eingeschränkt hat, früher und schneller darauf reagiert hat, hat eben was damit zu tun, dass die unteren Behörden sehr spät reagiert haben, dass sie erst mal gewartet haben auf Anweisungen von oben, dass man Angst hat, dass man vielleicht für irgendetwas zur Rechenschaft gezogen wird, weil man selber sehr wenig Freiraum hat. Also ich denke, das ist ein Problem innerhalb der Behörden, dass die Leute zu wenig Spielraum haben, zu wenig selbstständig auch agieren.

Aber wir haben natürlich auch eine Entwicklung unter Putin, die zum Teil zu einer Privatisierung öffentlicher Aufgaben geführt hat, und gerade auch Waldschutz ist zum Teil privatisiert worden, ist auch an Agenturen, also an staatliche Agenturen übertragen worden, ohne dass einerseits diese Agenturen dafür die nötigen Mittel und die Ausstattung bekommen haben, und dann eben auch die untergeordneten Behörden, die diese Waldbrände dann löschen sollen, als auch, dass die privaten Pächter nicht kontrolliert worden sind oder überhaupt nicht geklärt worden ist, wer ist hier eigentlich zuständig.

König: Wird in Medien irgendwann mal deutlich gesagt, hier hat der Staat versagt?

Meister: Es gibt Medien, die das sagen, also es gibt Medien, die auch klar sagen, der Waldkodex, also dieses Forstgesetz, ist eben unter Putin abgeschafft worden, unter Putin ist diese Agentur eingeführt worden und so eine Teilprivatisierung hat stattgefunden. Also das taucht in Medien auf, das taucht aber nicht im Fernsehen auf. Das taucht eben in den Printmedien auf, und da würde ich auch schon sagen, dass die russischen Medien doch pluralistischer sind, als das gemeinhin hier dargestellt wird. Also es gibt auch Zeitungen, es gibt auch große Zeitungen, die Kritik äußern, die jetzt vielleicht nicht persönlich angreifen, aber die schon auch sachliche Kritik äußern. Und Sie haben natürlich auch das Internet, wo die Menschen sich austauschen, wo es Foren gibt, wo auch Blogs da sind, wo die Menschen berichten, wie die Behörden in den Regionen auf der lokalen Ebene versagt haben.

König: Kommen wir mal aufs Internet: Wie reagieren dann die Behörden zum Beispiel, wie Sie es gerade beschrieben haben in diesem Beispiel?

Meister: Also es gibt eben ein Beispiel, dass ein Blogger – zum Beispiel Echo Moskwy ist eines dieser Radiosender oder das einzige wirklich relativ freie Radio – eben an diesen Radiosender eine E-Mail geschickt hat und darin kritisiert hat, wie die Behörden in dem Ort versagt haben, wie die ganzen Brandschutzmaßnahmen abgeschafft worden sind unter Putin. Und diese Mail ist an Putin durch den Radiosender weitergeschickt worden, und Putin hat direkt drauf reagiert: Er wird dort wieder die Warnglocke einführen, er wird sozusagen persönlich sich darum bemühen, dass hier wieder Brandschutzmaßnahmen eingeführt werden. Also das ist sehr typisch auch für Putin und sehr typisch für Russland …

König: Wenn ich den starken Mann rufe, antwortet er auch.

Meister: Genau. Auch dieses manuelle Regieren sozusagen – man sagt das auch in Russland –, das wird eben nicht Institution, sondern Putin reist dann hin und verspricht den Leuten, sie bekommen wieder Geld für den Aufbau oder sie bekommen ein Feuerwehrauto oder dergleichen, aber das löst natürlich nicht die Probleme.

König: Ja, ja. Aber löst das jetzt nicht eine Flut von E-Mails an den Ministerpräsidenten aus? Wenn der nun auch geantwortet hat – ich meine, das zeigt ja doch den Erfolg solcher Maßnahmen.

Meister: Natürlich. Wir kennen das ja auch zum Beispiel von Demonstrationen, die gemacht worden sind in der Vergangenheit, als Fabriken geschlossen werden sollten, wo Putin hingereist ist und dann die Besitzer gezwungen hat, die Fabrik wieder zu öffnen, und danach gab es dann Demonstrationswellen in Russland. Die Behörden versuchen das eben auch dann wieder einzuschränken. Und Putin reagiert natürlich auch nicht auf jede Mail, das sind dann Exempel sozusagen, die gesetzt werden.

König: Aber könnte eine solche Entwicklung nicht doch langsam Schritt für Schritt Russland auch doch sehr verändern, also dieses ganze Internetblog-System?

Meister: Also da bin ich ehrlich gesagt skeptisch. Also es hat zumindest eine Gegenöffentlichkeit geschaffen und es hat zum Beispiel, wenn wir, es jährt sich auch gerade das Kursk-Unglück, wo Putin ja auch sehr schlecht oder fast gar nicht reagiert hat. Und die Behörden haben inzwischen gelernt, Öffentlichkeit ist wichtig, man muss reagieren und also auch im Zustimmung, um Legitimation auch der eigenen Macht, der eigenen Position zu bekommen, inszeniert man sich eben so. Aber das führt nicht zu den Konsequenzen, zu denen es führen müsste, um diese strukturellen Probleme zu beseitigen.

Es führt eben dann nicht dazu, dass Institutionen gestärkt werden, dass man vielleicht … Versicherungswesen ist ein großes Problem – warum sind die Leute zum Teil nicht versichert und müssen auf staatliche Gaben sozusagen angewiesen sein. Diese ganzen strukturellen Fragen, Behörden, wer ist zuständig, Hierarchien und diese ganzen Dinge, die werden hier nicht verändert, sondern man reagiert ad hoc auf solche Katastrophen, ja, aber es fehlt eben der Strukturwandel.

König: Wie Russland medial mit den verheerenden Waldbränden umgeht – ein Gespräch mit Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik. Herr Meister, ich danke Ihnen!

Meister: Bitte schön!
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