Russland

Berlin muss sich nicht an Moskau anbiedern

Angela Merkel und Wladimir Putin bei einem Treffen im Mai 2015
Alles richtig gemacht? Deutschlands Politiker sollen sich nicht anbiedern, fordert Thomas Franke. © picture alliance / dpa / Maxim Shipenkov / Pool
Von Thomas Franke · 18.03.2016
Russland-Korrespondent Thomas Franke empfiehlt den Deutschen, Moskauer Propaganda nicht auf den Leim zu gehen. Denn Berlin und Europa hätten Russland nach dem Ende der Sowjetunion wirtschaftlich geholfen und nicht politisch gedemütigt.
Müssen Staaten auf die Couch? Wäre es an der Zeit, Paartherapie in die internationale Politik einzuführen? Betrachtet man die Situation zwischen Deutschland und Russland, könnte man den Eindruck bekommen.
Auf der einen Seite ein Russland, das von Minderwertigkeitskomplexen gebeutelt wird, die es mit überzogenem Selbstbewusstsein und Aggression kompensiert. Auf der anderen Seite ein Deutschland, das unsicher und voller Angst vor der eigenen Stärke ist.
Diplomatisch gehen deutsche Politiker auf alle zu, suchen Kompromisse, unterdrücken Eitelkeiten, erst recht jeden Stolz. Dafür sorgt bei vielen ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein.

Deutsche Unsicherheit trifft auf neue russische Diktatur

Nun ist das deutsch-russische Verhältnis zu Recht ein spezielles. Deutschland hat die Sowjetunion überfallen, bestialische Verbrechen begangen. Feingefühl und Zurückhaltung sind deshalb angebracht. Jedoch sollte man nicht übersehen, dass Russland nur ein Nachfolgestaat der Sowjetunion ist. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust wüteten vor allem auf dem Gebiet des heutigen Weißrusslands und der Ukraine.
Die alte deutsche Unsicherheit trifft heute auf eine neue russische Diktatur. Putin und seine Leute sind angetreten, freie und liberale Gesellschaften zu spalten und nennen es Krieg. Und um den zu gewinnen, investieren sie viel Geld in Propaganda und andere "Zersetzungsmaßnahmen". Während deutsche Besucher unverändert glauben, sich in Moskau anbiedern zu müssen, als hätten sie sich für irgendetwas zu entschuldigen.
Nun, die Paartherapie könnte damit beginnen, selbstbewusst aufzutreten und Lügen einfach als das zu benennen, was sie sind. Ehrlichkeit wäre eine Lösung für die Beziehungskrise. Das bedeutet: Es gibt keinen Grund, defensiv aufzutreten, gar liebedienerisch. Russland ist nicht die Sowjetunion, auch wenn es zurzeit gern so tut.

Russland wurde vom Westen nicht gedemütigt

Russland wurde nach dem Ende der Großmachtära nicht gedemütigt. Tatsächlich gab es Aufbauhilfen, Absprachen und Kooperationen – militärisch, politisch, wirtschaftlich. Deutschland und die EU haben in den 90er-Jahren dafür gesorgt, dass in Russland das Licht nicht ganz erlischt. Und westliche Firmen helfen seit dem Ende der Sowjetunion, die russische Gesellschaft zu stabilisieren.
Russland ist auch militärisch nicht bedroht, schon gar nicht von der Nato umzingelt. Da reicht ein Blick auf die Landkarte. Eine Grenze hat es lediglich mit dem Baltikum, halbrund um die Exklave Kaliningrad, ganz im Norden nochmal mit Norwegen und ganz weit im Osten mit Alaska eine Seegrenze.
Russland wurde gar in den 2000er-Jahren massiv überprivilegiert, als die Gruppe der 7 den russischen Präsidenten in den Kreis der führenden demokratischen Wirtschaftsnationen einzuladen begannen, ohne dass seine Politik die hohen Anforderungen erfüllte.

Ehrlicher Meinungsstreit würde Beziehung retten

Gerade Europäer wissen, Konflikte zu lösen – mit einer Methode, welche die Russen derzeit regierungsamtlich verachten: mit Meinungsstreit und Kompromiss. Aber ohne geht es nicht. Russland und Deutschland wirken wie ein altes Ehepaar, das sich nicht mehr liebt. Dieses allerdings könnte sich trennen, sollte es keine gemeinsame Basis mehr finden.
Länder dagegen werden von der Geografie gezwungen, Nachbarn zu bleiben – und das möglichst friedlich. Bei ihnen würde es reichen, wenn Vernunft einzöge in das zerrüttete Verhältnis. Dann dürfte es beiden Seiten besser gehen.
Eine Paartherapie sollte deswegen den Deutschen vermitteln, sofort aufzuhören, sich unter Wert zu verkaufen, und den Russen klarmachen, dass sie besser aufhören, den starken Max zu markieren. Ohne realistische Selbsteinschätzung wird eine politische Harmonie nicht gelingen. Weil das Gefühl bleibt, sich nicht – wie zu alten Zeiten – aufeinander verlassen zu können.
Thomas Franke, studierte Politologie, Geschichte sowie Soziologie und arbeitet seit 1989 als freier Journalist, ist Mitgründer des Büros "texte und toene" und spezialisiert auf Ost- und Südosteuropa.
Thomas Franke
Thomas Franke© privat
Seit 2012 lebt er ständig in Russland und berichtet für Deutschlandradio, ARD-Anstalten und die BBC.
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