Rüdiger Barth, Hauke Friederichs: "Die Totengräber"

Tage der Strippenzieher und Volksverführer

Buchcover Rüdiger Barth, Hauke Friedrichs: "Die Totengräber"
"Die Totengräber" erzählt spannend die Tage vor der Machtergreifung. © S. Fischer Verlag / dpa / picture alliance
Von Hans von Trotha · 24.05.2018
Wie kam es zur Machtergreifung Hitlers? Rüdiger Barth und Hauke Friederichs rekonstruieren in "Die Totengräber" die letzten Tage vor dem 30. Januar 1933 - und bedienen sich dabei eines Erzählstils, der an "House of Cards" erinnert.
"Die Totengräber" nennen die Journalisten Rüdiger Barth und Hauke Friederichs ihr Buch über die unmittelbare Vorgeschichte des 30. Januar 1933. Eine komplexe Gemengelage, die schon den Zeitgenossen undurchsichtig blieb. Die "Tägliche Rundschau" meinte: "Es ist unmöglich, die Geschichte dieser Kabinettsbildung zu schreiben. Sie ist derartig verwirrt und durchkreuzt von den verschiedenartigsten Einflüssen, dass das Knäuel schwer zu entwirren ist."
Nun geht es Barth und Friederichs gar nicht darum, das Knäuel zu entwirren. Die Verwirrung kommt ihrer Erzählintention vielmehr entgegen. Was hier passiert, passiert im Präsens und so, als seien wir dabei. Das rückt die Erzählung in die Nähe eines historischen Romans, trotz oder gerade wegen des Anspruchs, möglichst viel Stoffvermittlung an Originalzitate wie Tagebücher, Zeitungen, Briefe zu delegieren. Das bringt uns zudem nah an die Figuren ("In diesem Moment empfindet Goebbels große Einsamkeit"). Das Erzählprinzip, historische Situationen aus arrangierten Zitatsplittern stimmungsvoll zusammenzusetzen, ist freilich nicht ganz neu.

Ein Buch wie ein TV-Film

"Oskar Loerke, Lektor des S. Fischer Verlags", hatte schon im August 1932 das Gefühl gehabt: "Ich werde vertrieben werden. Die Totengräber Deutschlands werden mich bei lebendigem Leib begraben" – und so seinem Nachfolger im Amt einen angemessen dramatischen Titel für ein Buch beschert, das vor allem auf Drama setzt. Florian Illies wiederum, Autor des S. Fischer Verlags, hat dafür mit "1913" eine Blaupause geliefert, die seither vielfach für historische Erzählungen genutzt worden ist. Barth und Friedrichs geben allerdings ein anderes Vorbild für ihr Buch an: die TV-Serie "House of Cards".
Tatsächlich: Dieses Buch wäre gern ein TV-Film. Es hat einen Vorspann, einen Nachspann und sogar ein Making off. Allerdings: "House of Cards" ist literarische Fiktion, die bisweilen bestürzend nah an die Realität reicht. Barth und Friedrichs dagegen reduzieren einen komplexen historischen Sachverhalt auf sein – zugegebenermaßen erstaunliches – erzählerisches Spannungspotenzial. Und das gelingt ihnen. Sie können mit ihrer "Schnittechnik" tatsächlich Vorzüge des TV-Films gegenüber dem Sachbuch in Anschlag bringen: In puncto Spannung, Pointen, Überraschung, den Kriterien, nach denen hier komponiert wird, erreichen sie klar fünf von fünf Sternen.

Beschreibungen statt Erklärungen

Allerdings erschließt sich nicht vollends, warum das Buch trotzdem ein Buch geblieben und nicht ein Film geworden ist, zumal es auf den größten Vorzug des Films (bewegte Bilder) verzichten muss und gleichzeitig freiwillig auf den größten Vorzug des klassischen Sachbuchs verzichtet: die einordnende, interpretierende Autorenstimme, die sich, wie schon bei Illies, nur meldet, wenn dies dem Ryhthmus ("Loerkes Sätze: wie hingetupft"), der Trennung von Abschnitten ("Wahlkampf: Qualkampf") oder der Vorbereitung von Cliffhangern ("Der `Führer´ schweigt.") dient.
Da wäre mehr mehr gewesen, zumindest, wenn man nicht nur vorgeführt bekommen möchte, was geschah, sondern auch verstehen, wie es dazu kommen konnte.

Rüdiger Barth, Hauke Friederichs: Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Republik
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2018
412 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema